#Gastbeitrag
Warum ein Bürokratieabbau nicht die ultimative Lösung ist
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Wer in Deutschland ein Unternehmen gründen will, stößt schnell auf eine der größten Hürden: Bürokratie. Komplexe Genehmigungsverfahren, langwierige Wartezeiten und unklare Vorschriften kosten Gründer:innen nicht nur Zeit, sondern auch Geld und Nerven. 57 % der Gründer:innen empfinden den administrativen und zeitlichen Aufwand bei Ämtern und Behörden als zu hoch. Besonders betroffen sind Startups mit digitalem Fokus, von denen 69 % die analoge und unflexible Behördenstruktur kritisieren.
Kein Wunder, dass der Ruf nach Bürokratieabbau laut wird. Radikale Maßnahmen, wie die Abschaffung von Regulierungen oder eine drastische Vereinfachung von Prozessen, stehen auf vielen Wunschlisten. Diese Forderungen spiegeln die Frustration vieler Gründer:innen wider, die sich mit einem System konfrontiert sehen, das Innovationen ausbremst, statt sie zu fördern.
Warum die Forderung nach Bürokratieabbau zu kurz greift
Auch wenn pauschale Forderungen nach Bürokratieabbau an jedem Stammtisch Zustimmung bekommen, ist das ein schönes Buzzword, aber nicht die ultimative Lösung. Und in der Radikalität, wie sie zum Beispiel Elon Musk in den USA propagiert, sogar gefährlich. Denn die Bürokratie erfüllt einen entscheidenden Zweck: Sie schafft Ordnung in unserer zunehmend komplexen Welt, sorgt, konsequent und transparent angewendet, für Fairness und stabilisiert somit unser Zusammenleben. Bürokratie schafft nicht nur Sicherheit, sondern stärkt auch das Vertrauen der Bürger:innen in staatliche Institutionen – ein unverzichtbares Fundament für eine funktionierende Demokratie.
Auch Startups profitieren von der Bürokratie
Auch für Gründer:innen hat Bürokratie einen Sinn: Sie legt klare Regeln und gleiche Spielregeln für alle fest. Ob es um Patente, Fördermittelanträge oder Insolvenzrecht geht – ohne Bürokratie wäre vieles, was Startups schützt und ihnen den Marktzugang erleichtert, nicht möglich. Klare Regeln schützen Startups vor unfairen Wettbewerbspraktiken und garantieren Standards, die auch Innovationen skalierbar machen – zum Beispiel durch verbindliche technische Normen oder klare Vorgaben zur Produktzulassung.
Das eigentliche Problem liegt daher nicht in der Existenz der Bürokratie, sondern in ihrer Ausgestaltung: Sie ist oft zu langsam, meist kompliziert und damit zu unübersichtlich und wenig transparent.
Was wir stattdessen brauchen: Effizienz statt Abbau
Statt Bürokratie abzubauen, sollten wir sie beschleunigen. Das Ziel muss sein, eine Bürokratie zu schaffen, die effizient, transparent und nachvollziehbar ist. Gründer:innen brauchen eine schnellere und smartere Verwaltung, die ihnen den Rücken freihält und ihre Innovationskraft unterstützt.
Die Antwort liegt in der Digitalisierung. Technologien können helfen, Prozesse zu vereinfachen und Entscheidungen zu beschleunigen. Mit digitalen Lösungen könnten viele bürokratische Vorgänge automatisiert werden – von der Antragstellung bis zur Genehmigung. Doch die Digitalisierung der Verwaltung steckt auch im Jahr 2024 noch in den Kinderschuhen.
Föderale Strukturen und zersplitterte Zuständigkeiten zwischen Bund, Ländern und Kommunen machen eine einheitliche Umsetzung schwierig. Statt auf eine zentrale Plattform zu setzen, digitalisieren über 11.000 Kommunen ihre Dienstleistungen eigenständig, was zu Ineffizienz und inkompatiblen Systemen führt. Hinzu kommt mangelnde Koordination und Priorisierung: Das Online-Zugangsgesetz, das bis 2022 alle Verwaltungsleistungen digital verfügbar machen sollte, wurde nur zu einem Bruchteil umgesetzt.
Gründen: Ein Brennglas für Innovation und Bürokratie
Deutschland braucht einen strategischen Neustart, der Digitalisierung zur Priorität macht. Das wird auch durch die Forderungen der Startups nach weniger bürokratischen Hürden deutlich: Denn Startups sind nicht nur Innovationstreiber, sondern auch ein Pulsmesser für die Belastbarkeit bürokratischer Strukturen. Sie arbeiten schnell, agil und ressourceneffizient – Eigenschaften, die sie eigentlich in die Lage versetzen sollten, sich dynamisch an neue Anforderungen anzupassen. Wenn aber selbst diese flexiblen Akteur:innen an langsamen Genehmigungsverfahren, unklaren Zuständigkeiten oder überholten Regeln scheitern, zeigt das ein grundsätzliches Problem: ein System, das mit der Geschwindigkeit moderner Innovation nicht Schritt halten kann.
Gleichzeitig bieten Startups Hoffnung: Ihre Agilität und Kreativität machen sie auch in komplexen bürokratischen Umfeldern zu Problemlösern. Viele Startups entwickeln Technologien und Geschäftsmodelle, die ineffiziente Prozesse entschlacken und völlig neue Möglichkeiten schaffen. Ob in den Bereichen Verbraucherrechte, Gesundheitsdienstleistungen oder Fluggastrechte – Innovationen entstehen auch dort, wo Bürokratie bislang als schwerfällig galt. Und aus einem Verwaltungsakt ein Service wird. Zumindest für die Menschen.
Bürokratie muss kein Feind von Gründer:innen sein – sie kann ihr stärkster Partner werden, wenn sie effizient, transparent und digital gestaltet wird. Deutschland hat die Chance, eine Verwaltung zu schaffen, die mit der Dynamik der Startups Schritt hält und so Innovationen nicht ausbremst, sondern beschleunigt. Es ist Zeit, Bürokratie als Treiber für Fortschritt zu begreifen – für Gründer:innen, für die Wirtschaft, für die Gesellschaft.
Über den Autor
Till Behnke ist Mitgründer und CEO der Rulemapping Group. Als erfahrener Gründer und Unternehmer leistet er seit über 15 Jahren Pionierarbeit für gesellschaftlichen Zusammenhalt. Nach der Gründung von betterplace.org, der größten Spendenplattform in Deutschland, und nebenan.de, Deutschlands größtem Nachbarschaftsnetzwerk, widmet er sich nun mit der Rulemapping Group der Transformation bürokratischer Prozesse. Gemeinsam mit dem Gründerteam, darunter Ina Remmers und Jura-Professor Stephan Breidenbach, verfolgt er das Ziel, staatliche Strukturen effizient, bürgernah, transparent und zukunftsfähig zu gestalten, um Vertrauen in die Demokratie zu stärken.
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