Bulletpoint: Frühphasenbewertung in Kurzform
Standing ovations gab es, und das ist schon selten in der Höhle. Doch völlig zu Recht bekam die junge Gründerin Linda Büscher diese Wertschätzung entgegengebracht, denn mit gerade einmal 19 Jahren bewies sie einen Unternehmergeist, von dem sich viele wesentlich Ältere eine Scheibe abschneiden könnten.
Denn Ihr Unternehmen Bulletpoint, dass eine Notiz-App kreiert, die beim aktiven Lernen helfen soll, hat sie nicht nur alleine aufgebaut, sie hat es auch durch Wochenend- und Nachhilfearbeit neben dem Abitur von Grund auf selbst finanziert. Auch ihre eigenen Werte und Grundsätze ließ sie schon früh in die Unternehmensführung mit einfließen, indem sie, beeinflusst von ihrer Betroffenheit durch den Krieg in der Ukraine, über eine Freelancer-Plattform gezielt ukrainische Entwickler für die Programmierung beauftragte.
So hatte Linda Büscher die Löwen schon tief beeindruckt, bevor es an den von vielen Gründer:innen gefürchteten Teil mit den “Zahlenfragen” ging – auch wenn sie die vielleicht wichtigsten Zahlen zu Beginn erst einmal vergaß – ihren Wunschdeal.
Denn bekanntermaßen berechnen die Löwen daraus direkt einmal die vorgeschlagene Bewertung – eine Zahl, die in Investorenverhandlungen außerhalb der Höhle normalerweise erst einmal nicht zur Sprache kommt. Denn viele Investoren checken in einem oder mehreren persönlichen Terminen und durch den Austausch zusätzlicher Unterlagen zunächst die generelle Passung und das Geschäftsmodell ab, bevor sie in die wirkliche Verhandlung eintauchen.
Da aber bei DHDL alles in einem wesentlich kürzeren Zeitrahmen passieren muss, ist die Bewertung auch viel früher ein wichtiges Thema. Im Fall von Linda Büscher und ihres Unternehmens Bulletpoint ergab sich aus den vorgeschlagenen 150.000 Euro für 10% eine Unternehmensbewertung von 1,5 Millionen Euro.
Nachdem die Gründerin auf die Fragen der Löwen zu Zahlen und Geschäftsmodell sehr souverän reagiert hatte, verabschiedeten sich auch bald die ersten Löwen aus der Diskussion, da die Gründerin auch ganz klar einen Tech-Investor für ihr App-Business suchte.
Nils Glagau und Carsten Maschmeyer boten dann zunächst beide die 150.000 Euro Investment an, wollten dafür aber 15% der Anteile am Unternehmen haben. Dies hätte die Bewertung von 1,5 Millionen auf nur noch 1 Million reduziert, woraufhin die Gründerin sich erst einmal Bedenkzeit erbat.
Als sie zurück kam, leitete sie die Verhandlung wieder ein, in dem sie noch einmal ausführlich darlegte, wie sie auf die zuvor vorgeschlagene Bewertung gekommen war.
Zunächst nahm sie auf ihre Pläne Bezug, bis zum Ende des Jahres 5000 zahlende Kunden haben zu wollen. Da sie ein Abo-Modell plant, bedeutet dies einen monatlich wiederkehrenden Umsatz, den sogenannten monthly recurring revenue – oder kurz MRR – von in diesem Fall rund 25.000 Euro. Rechnet man dies auf ein vollen Jahr hoch – also multipliziert es mit 12 Monaten – kommt man auf 300.000 Euro. Diesen so errechneten Jahresumsatz multipliziert sie dann noch einmal mit dem Faktor 5 als sogenanntem “Multiple” und behauptet, dass das alles wirklich “konservertativ” gerechnet ist.
Doch stimmt das, und worauf kann man so eine Rechnung basieren? Zunächst einmal ist der Multiple eine Größe, die starken Schwankungen unterliegt und von vielen Faktoren abhängt. So erreichen Startups im Food-Bereich oft wesentlich geringere Multiples als solche im Tech-Bereich. Auch stärker skalierbare Geschäftsmodelle sind hier oft im Vorteil. Um einen aktuellen Multiple zu bestimmen, braucht es also einiges an Recherche, denn man muss die Bewertungen und zugehörigen Umsätze oder Umsatzplanungen seiner Branche in Erfahrung bringen.
Tatsächlich liegt die Gründerin mit ihrer Behauptung, ein 5er-Multiple sei für ihren Typ von Unternehmen nicht übermäßig hoch, auch richtig.
Doch genauso wichtig wie der Multiple ist die Zahl, mit der er multipliziert wird. Wer häufiger “Die Höhle der Löwen” schaut, wird vielleicht bemerkt haben, dass eine ähnliche Rechnung schon ein paar Mal auftauchte – allerdings wurden fast immer die tatsächlich erreichten Umsätze zu Grunde gelegt und mit dem Multiple multipliziert. Die Bulletpoint-Gründerin zieht allerdings Planumsätze heran – und kommt so natürlich auf eine wesentlich höhere Bewertung. Auch nimmt sie den Jahresendwert – also den geplanten Umsatz vom Dezember – und multipliziert in mit 12, um so eine Art künstlichen Jahresumsatz zu ermitteln.
Beides kann man durchaus so machen, sollte man aber argumentieren. Denn gerade bei einem Modell mit Abos und daher monthly recurring revenues lässt sich erkennen, dass Kunden oft so schnell nicht wieder abspringen und ein einmal zahlender Kunde für viele Monate zahlt. Den letzten und stärksten Monat eines Jahres also als Basis zu nehmen und einfach mit 12 zu multiplizieren ist daher durchaus sinnig.
Auch Plan- statt Ist-Umsätze heranzuziehen kann man in frühen Phasen, in denen vielleicht noch gar kein richtiges Bezahl-Modell implementiert wurde, durchaus durchsetzen. Mit konservativer Berechnung hat das aber nichts mehr zu tun. Trotzdem sollte man es gerade mit einem stark skalierbaren Modell auf jeden Fall versuchen, denn eine Bewertung auf Basis der Ist-Umsätze wird hier oft einfach zu niedrig ausfallen.
Der Dreh- und Angelpunkt bei einer Basierung auf Plan-Umsätze in der Bewertung ist allerdings die Argumentation, warum die Planung denn auch wirklich eintreffen wird. Je besser und genauer man dies auf Basis der aktuellen Zahlen darlegen kann, desto besser wird man auch die darauf basierende Bewertung durchsetzen können.
Im Fall von Bulletpoint schien dies geklappt zu haben, denn schließlich gab es einen Deal mit Carsten Maschmeyer zur ursprünglich von der Gründerin anvisierten Bewertung. Zwar ist dieser nicht zu Stande gekommen, für zukünftige Investorenverhandlungen scheint sie aber schon mehr als gut gewappnet zu sein.
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