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RocketTutor: Wie positiv darf man sein Startup reden?
Die Jubiläumssendung von “Die Höhle der Löwen” hatte es in sich: nicht nur gab es einen erneuten Auftritt der ehemaligen Löwen Frank Thelen und Jochen Schweizer, auch gab es den wahrscheinlich höchsten Multiple der Sendungsgeschichte: RocketTutor verlangte sage und schreibe das ca. 680-fache ihres aktuellen Umsatzes als Bewertung für ihr Mathelern-App-Business. Und Carsten Maschmeyer machte den Deal zu einer Bewertung, die immerhin noch einem Multiple von gut 500 entsprach. Brauchen etwa Gründer und Löwen selbst Mathe-Nachhilfe?
Der Pitch wurde gleich schon zu Beginn gelobt, vor allem Frank Thelen, Löwe der ersten Stunde, hob das professionelle Niveau hervor. Doch was genau begeisterte die Löwen so sehr? Verraten wird das dem Zuschauer nicht, und das sehr selbstsichere Auftreten der Gründer wird bestimmt einen guten Teil dazu beigetragen haben. Was aber diesen Pitch von einigen anderen in der Höhle unterschied, waren vor allem die Zahlen, die hier eine größere Rolle spielen durften. Denn gerade im Venture-Capital-Umfeld geht es beim Pitchen nicht vorrangig um die Idee oder die schön gebaute Lösung, sondern um die Frage, wo das Startup steht und wie gut sein Geschäftsmodell funktioniert und sich weiterhin entwickeln wird.
Unter anderem zeigen die Gründer eine Grafik, die beweisen soll, dass Schüler durch das Lernen mit der App ihre Abiturnoten verbessern können. Doch wer genauer darüber nachdenkt, sollte eigentlich ein wenig stutzig werden. Denn die Grafik zeigt den Zusammenhang zwischen dem erzielten Lernfortschritt und den erreichten Noten. Bei 80% Lernfortschritt wurde so im Durchschnitt die Note 1- erreicht. Doch was genau beweist das? Im Prinzip genau das, was die Gründer behaupten: dass durch Lernen mit der App Noten verbessert werden können. Doch die Betonung liegt hier auf KÖNNEN. Denn was die Grafik lediglich zeigt, ist, dass WENN die Nutzer einen Lernfortschritt von ca. 80% erreichen, dass sie dann im Schnitt eine Note von 1- erzielen. Ihr ist allerdings nicht zu entnehmen, wie viele Nutzer welchen Lernfortschritt erzielen. Im Extremfall könnten also die Nutzer, die wirklich einen Lernfortschritt erzielt haben, in der krassen Minderheit sein.
Es gibt auch Hinweise, dass die Grafik auf keiner allzu großen Datenbasis erstellt wurde: denn 1. zeigt die Kurve starke Schwankungen (so erzielen Nutzer mit 15% Lernfortschritt eine bessere Durchschnittsnote als welche mit über 40% Lernfortschritt) und 2. – und dies sollte generell verwundern – die Kurve startet bei Note 3-4, Nutzer ohne messbaren Lernfortschritt erreichen also eine Durchschnittnote im ausreichenden Bereich. Hier würde man ja eigentlich eher eine Note 5-6 erwarten.
Natürlich gibt es hierzu verschiedene Erklärungen, eine ungünstigere für das Startup wäre, dass die Schüler, die es eigentlich am nötigsten haben, die App gar nicht erst nutzen. Eine weitere, wesentlich günstigere wäre, dass die App bereits einen starken Effekt hat, ohne dass konkret ein Lernfortschritt messbar ist, etwa durch die Erklärungen oder weil der Aufgabentyp dann genauso im Abitur dran kommt und die Lösung zumindest einmal angesehen wurde. Dies mutet eher unwahrscheinlich an, und es mag auch noch einige weitere Erklärungen für das Bild der Grafik geben.
Doch zusammen genommen entsteht zumindest in der fertig geschnittenen Sendung der Eindruck, dass die Löwen tief beeindruckt sind und die Grafik nicht genauer hinterfragen.
Ein Umstand, der leider auch außerhalb der Höhle oft zu beobachten ist: Gründern, die sehr selbstbewusst auftreten, gelingt es immer wieder, Investoren zu beeindrucken, obwohl die Aussagen ihrer Zahlen und Grafiken nicht besonders stark sind.
Zwar können die Gründer noch damit Punkten, dass im ersten Jahr schon jeder 10. bayerische Abiturient sich mit Hilfe ihrer App auf die Mathe-Abiturprüfung vorbereitete, doch ihr momentaner Umsatz von rund 14.000 € lässt die Löwen ob der Bewertung von rund 9,5 Millionen Euro fast sprachlos zurück.
Denn nach wie vor berechnen viele Investoren gerne den sogenannten Multiple, also die Zahl, mit der man den Umsatz multiplizieren muss, um auf die Bewertung zu kommen. Die Löwen sind also vom Multiple des vorliegenden Angebots in Höhe von fast 700 nicht gerade begeistert, Ralf Dümmel bemerkt sogar, dass dies wahrscheinlich der höchste in der Geschichte von “Die Höhle der Löwen” ist. Allerdings muss man Multiples in so frühen Phasen natürlich immer in Relation setzen, so schien es sich hier z.B. bei den 14.000 € nicht um einen kompletten Jahresumsatz zu handeln und es wurde kein Wachstum mit einbezogen. Auch viele andere Punkte bezogen auf das Geschäftsmodell – wie Carsten Maschmeyer später noch erwähnen wird – spielen hier eine Rolle.
Gerade in frühen Phasen schaut man hier vor allem auch auf Vorbewertungen. So geben die Gründer an, dass sie noch 75% Anteile am Unternehmen halten und in einer “ersten großen Finanzierungsrunde” 1,2 Millionen Euro eingesammelt haben. Es wird nicht ganz klar, ob es nicht noch kleinere Finanzierungsrunden gab, aber wenn man diese zunächst außer Acht lässt, erzielten die Gründer hiermit eine Post-Money-Bewertung von 4,8 Millionen. Mit ihrem jetzigen Angebot würden sie also ihre Bewertung fast verdoppeln, und das nur nach rund einem halben Jahr, bezieht man sich auf das ungefähre Datum der Aufzeichnung. Doch selbst eine Steigerung von 50% wäre hier noch viel und müsste gut begründet werden.
Hier führen die Gründer an, dass sie seitdem ihre Nutzerzahl ver2,5-facht haben. Doch auch dies ist wieder eine sehr geschickt angebrachte Zahl, denn auch hier fehlt wieder der Bezugswert. Denn, ganz provokativ ausgedrückt: hätte man zunächst nur 10 Nutzer gehabt und dann 25, hätte man auch den Faktor 2,5 erreicht.
Auch, wenn der zeitliche Ablauf nicht ganz klar wird, sollte man hier davon ausgehen, dass zu diesem Zeitpunkt die 10% der bayerischen Abiturienten bereits erreicht waren, was Carsten Maschmeyer mit “Super Leistung!” honoriert.
Doch wie vielen Nutzern entspricht das? Eine kleine Internet-Recherche ergibt 34.000 AbiturientInnen in Bayern, das ergäbe 3400 Nutzer. Für eine App im ersten Jahr nicht übermäßig viele, zumal die Nutzung auch erst einmal umsonst ist und nur für bestimmte Premium-Funktionen ein Abonnement abgeschlossen werden muss. Dieses kostet 15 € im Monat, und im Schnitt beträgt die Abiturvorbereitung wohl um die 4 Monate. Das Startup verdient also rund 60 € mit einem zahlenden Kunden. Leider erfahren wir hier nicht die Marketing-Kosten und vor allem den Anteil der zahlenden Kunden an den Gesamtnutzern.
Eine kurze Rechnung mit den Werten aus dem ersten Jahr (3400 Nutzer und 11.000 € Umsatz, sofern richtig im Schnitt transportiert) ergibt durchschnittliche Einnahmen von etwas über 3 € pro Nutzer. Über Marketing-Kosten erfahren wir leider nichts.
Es wird also nicht klar, ob der einzelne Kunde überhaupt schon profitabel ist und wie stark das Business wirklich skaliert. Zwar behaupten die Gründer, dass der Bedarf weltweit riesig wäre, vor allem, wenn man noch in die jüngeren Jahrgangsstufen expandiert – ein Argument, was durchaus nachvollzogen werden kann. Doch ob der Case wirklich so riesig ist, entscheidet ja nicht die Marktgröße. Denn wenn die Marketingkosten die Einnahmen pro Kunde übersteigen, z.B. weil der Anteil der zahlenden Kunden sehr gering ist oder die Nutzung nicht zwangsläufig durchgängig über einen großen Teil der Schullaufbahn erfolgt, kann der einzelne Kunde nicht profitabel werden und damit auch nicht das gesamte Unternehmen.
Vielleicht meinen die Gründer aber auch hier etwas anderes, denn auch ihr Satz über Profitabilität kann anders verstanden werden, als er zunächst anmutet. Schließlich sagen sie nicht, dass ihr Startup profitabel wird, sondern dass sie sich um die Profitabilität keine Sorgen mehr machen müssen. Dies kann auch dann der Fall sein, wenn sie ein entsprechendes Wachstum erreichen und es gerade in den USA immer wieder Investoren gibt, die auch für ein nicht profitables Startup immense Bewertungen zahlen, bis es vielleicht irgendwann für viel Geld verkauft wird. Hier verlassen wir jedoch den Bereich der wirtschaftlichen Startup-Investitionen und treten ein in die Welt der Spekulationsobjekte.
Vielleicht wollte Carsten Maschmeyer genau diese Wette eingehen, vielleicht hat aber auch sein Due Diligence Prozess weit positivere Zahlen zu Tage gefördert, als die ZuschauerInnen zu hören bekamen. Schließlich scheint er wohl den in der Sendung hart verhandelten Deal von 500.000 € für 7% – also eine Bewertung von immer noch rund 7,1 Millionen Euro – durchgezogen zu haben.
Und auch wenn es natürlich wünschenswert wäre, dass diese App Schülerinnen und Schüler in Mathe weiterbringt: was sie wohl nicht leisten kann, ist das Verständnis für Zahlen, Daten und ihre Darstellung zu erhöhen, was bei weitem nicht nur GründerInnen, sondern leider auch viele Investoren in Deutschland bitter nötig hätten.
Tipp: Alles über die Vox-Gründershow gibt es in unserer großen DHDL-Rubrik.
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