Von Team
Donnerstag, 12. September 2024

Über die Parallelen von Extremsport und Unternehmensgründung

Profikletterer- und Abenteurer Stefan Glowacz sieht viele Parallelen zwischen Extremsport und einer Unternehmensgründung. Denn ohne Visionen wären auch in der Wirtschaft keine Innovationen möglich und damit auch keine Vorteile gegenüber den Mitbewerbern. 

Als Profikletterer und Abenteurer habe ich immer wieder festgestellt: Die wichtigste Parallele zum Unternehmertum ist die, dass sowohl Kletterer als auch Führungskräfte, generell die Leistungsträger in der Wirtschaft, nicht nur kühl kalkulierender Realisten sein müssen, sondern zuallererst Visionäre. Denn ohne die aus einem Traum gewachsene Zielsetzung einer alpinistischen Unternehmung, würden niemals neue und schwierigere Wände durchstiegen werden. Und ohne Visionen wären auch in der Wirtschaft keine Innovationen möglich und damit auch keine Vorteile gegenüber den – meist auch nicht gerade untätigen – Mitbewerbern. 

Es reicht daher auch nicht aus, wenn Führungskräfte Ziele einfach nur ausgeben. Ihre Überzeugung, Begeisterung und Leidenschaft für die Maßnahmen müssen für das Team spürbar sein. Nur wenn ich als Leistungsträger und Führungskraft authentisch wahrgenommen werde, kann ich auch unpopuläre Maßnahmen durchsetzen.

VIER TRAGENDE SÄULEN FÜR DEN ERFOLG

Meine Expeditionen und damals auch mein Unternehmen – den Kletterausrüstungs-Anbieter Red Chili – stelle und stellte ich immer auf vier tragende Säulen:

Das Material

Die am einfachsten zu bauende Säule ist das Material. Wenn ich aufgrund der Analyse eines Ziels ein entsprechendes Anforderungsprofil für die Expedition oder ein Projekt erstellt habe, kann ich relativ präzise bestimmen, welche Hilfsmittel ich einsetzen muss, um Arbeitsprozesse zu erleichtern und zu beschleunigen. Dabei ist aber das Material nur so viel wert, wie die Fähigkeiten seines Benutzers. Ich kann mir das beste Kletterseil der Welt kaufen, es hält Tonnen. Aber wenn ich es unachtsam über eine messerscharfe Felskante laufen lasse, kann es im Fall eines Sturzes wie mit einem Messer durchtrennt werden. Auf der anderen Seite, wenn ein Team tonnenweise eurogenormte Sicherheitsausrüstung mitschleppt, kann die Fülle an Ausrüstung das Team so schwerfällig und unbeweglich machen, dass auch in diesem Fall das Ziel eine Illusion bleiben wird. Es erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl und Erfahrung, um festzustellen, welches Material ich unbedingt benötige und auf welches ich verzichten kann.

Physische Leistungsfähigkeit

Die zweite tragende Säule ist die körperliche Leistungsfähigkeit. Eine komplexe Unternehmung wie eine Antarktisexpedition oder eben ein Firmen-Startup erfordert sehr viel Energie während der einzelnen Abschnitte und über einen extrem langen Zeitraum. Das heißt, ich muss sehr schnell lernen, mit meiner Energie – die begrenzt ist – wirtschaftlich umzugehen. Ich muss lernen, die Energiereserven nicht unnötig zu verschwenden und die Leistung punktgenau abzurufen.

Das Team

Die dritte tragende Säule ist das Team. Alleine kann ich die immensen Aufgaben, die sich bei einer Expedition oder Unternehmensgründung stellen, unmöglich bewältigen. Ich benötige ein Team das in der Lage ist, meine Fähigkeitslücken auszugleichen. Neben der rein fachlichen Qualifikation jedes einzelnen Expeditionsmitglieds ist seine Teamfähigkeit entscheidend für den Erfolg der Unternehmung. Bei einer Expedition mit schwieriger Zielsetzung sind die Teilnehmenden alle Hochleistungsindividualisten, die bereit sind, ihre persönlichen Zielsetzungen dem gemeinsamen Ziel unterzuordnen. 

Ich erwarte von jedem Expeditionsmitglied dieselbe Leidenschaft für dieses Ziel wie ich sie selbst empfinde. Wer diese Leidenschaft nicht hat, ist für die Unternehmung genauso wenig geeignet, wie für die Firmengründung und wird zum Risikofaktor.

In einem harmonisch funktionierenden, hoch qualifizierten Team kennt jeder und jede Einzelne die Stärken, aber vor allem Schwächen der anderen. Alle wissen, dass sie sich auf die anderen hundertprozentig verlassen sowie Fehler und Ängste zugeben können, ohne dass es ihnen zum Nachteil ausgelegt wird. Und alle sind bereit, auch “Wasserträgerdienste” zu übernehmen. Alle müssen auch einmal die Arbeit der anderen tun und dürfen sich nicht nur auf ihre Spezialdisziplin konzentrieren. Sepp Herberger, die deutsche Fußballnationaltrainer-Legende prägte einmal das geflügelte Wort: “Es spielen nicht die elf besten Spieler, sondern es spielen die elf, die am besten zusammenspielen.” 

Mentale Leistungsfähigkeit

Die vierte tragende Säule – vielleicht die wichtigste – ist die mentale Leistungsfähigkeit. Wie gut und vor allem wie realistisch habe ich mich auf die bevorstehenden Aufgaben vorbereitet? Eine der wichtigsten Eigenschaften, sozusagen die Lebensversicherung für Kletterer, aber auch für Führungskräfte, ist die realistische Einschätzung ihrer eigenen Fähigkeiten und das ehrliche Hinterfragen ihrer Ambitionen. Die meisten Bergunfälle, aber auch viele Firmenpleiten passieren aufgrund fahrlässiger Selbstüberschätzung.

Die Frage, ob ich wirklich dazu bereit bin, all diese Entbehrungen, diese Ausgesetztheit und Einsamkeit in einer menschenfeindlichen Region und die damit verbundenen Zweifel an dem Erfolg zu akzeptieren, diese Frage muss ich mir ehrlich im Vorfeld der Expedition beantworten. Ich darf während des Unternehmens, auch nach einer Woche im Schneesturm in einem kleinen Zelt, nicht den Tiger aus den Augen verlieren, um beim nächsten Schönwetterfenster die vielleicht letzte Chance auf den Gipfel wahrzunehmen und nicht resigniert den Rückzug anzutreten. 

Doch gilt auch für die mentale Leistungsfähigkeit, das gleiche Prinzip wie bei der Einteilung der körperlichen Ressourcen: Auch mental ist der Mensch nur begrenzt leistungsfähig und auf den “Windschatten” seiner Teammitglieder angewiesen. Jeder durchlebt auf einer Expedition in den Grenzbereich oder bei einer Unternehmensgründung Phasen der Resignation. Darauf muss ich vorbereitet sein und mich auch mental für einige Zeit hinter meinen Partnern einreihen können. 

Über den Autor
Stefan Glowacz ist Profikletterer- und Abenteurer und war lange Zeit auch Unternehmer. Vor ca. 25 Jahren gründete er das Unternehmen Red Chili. Das Unternehmen entwickelte, produzierte und vertrieb Kletterschuhe und Klettermode international. In dieser Zeit hat er alle Höhen und Tiefen des Unternehmertums kennengelernt und festgestellt, dass sich dieses kaum von seinen Expeditionen, die ihn ans Ende der Welt führten, unterschieden hat. Vor acht Jahren verkaufte er Red Chili und widmet sich seitdem ausschließlich seinen Expeditionen, Vorträgen, Büchern und Dokumentationen.

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Foto (oben): Stefan Glowacz