#Gastbeitrag

Industrielle KI als Chance für deutsche Startups

Das Potenzial künstlicher Intelligenz (KI) für die Industrie ist riesig. Die Anwendungsmöglichkeiten in produzierenden Unternehmen reichen von der Logistikdatenanalyse über Qualitätssicherung und Maschinensteuerung bis hin zu völlig neuen digitalen, datenbasierten Geschäftsmodellen.
Industrielle KI als Chance für deutsche Startups
Dienstag, 10. September 2024VonTeam

Transporter, die selbstständig ihren Weg durch Fabrikhallen finden, Anlagen, die ihren Energieverbrauch optimieren und Maschinen, die während der Fertigung bereits Qualitätskontrollen vornehmen und nachjustieren – das Potenzial künstlicher Intelligenz (KI) für die Industrie ist riesig. Die Anwendungsmöglichkeiten in produzierenden Unternehmen reichen von der Prozess- und Logistikdatenanalyse über Qualitätssicherung und Maschinensteuerung bis hin zu völlig neuen digitalen, datenbasierten Geschäftsmodellen und dem virtuellen Kundenkontakt durch Chatbots. Die Industrienation Deutschland hat die Chance, eine führende Rolle in diesem Bereich zu übernehmen. Eine Gelegenheit vor allem für Startups, in den lukrativen industriellen Markt vorzudringen. Unternehmer, KI-Experte und Tech-Investor Hauke Hansen erläutert, was dabei zu beachten ist.

Die nächste industrielle Revolution

Nach einem von MarketsandMarkets (“Industrial Artificial Intelligence Market by Technology, End-User Industry, and Region – Global Forecast to 2026”) prognostizierten Marktvolumen von 16 Milliarden Dollar bis 2026 wird industrielle KI eines der bedeutendsten Transformationsfelder überhaupt. Sie läutet eine neue Ära der industriellen Revolution ein, die vor allem hochqualifizierte Fachkräfte betrifft. KI-Technologien werden industrielle Geschäftsmodelle grundlegend verändern.

Startups als Innovationstreiber industrieller KI

Trotz Defiziten in Bereichen wie großen Sprachmodellen (LLMs) oder der Verfügbarkeit von Risikokapital hat Deutschland eine ausgezeichnete Ausgangsposition im Bereich der industriellen KI. Die deutsche Wirtschaft kann durch deren aktiven Einsatz ihre Wertschöpfung innovativ weiterentwickeln und so zum zukünftigen wirtschaftlichen Wohlstand beitragen. Während der Markt für LLMs und Enterprise-AI weitgehend verteilt ist, ist das Rennen um die führende Position bei industrieller KI noch offen – mit guten Chancen für deutsche und europäische Unternehmen. Startups spielen hierbei als Innovationsmotor eine zentrale Rolle.

Industrielle KI bereits heute im Einsatz

Industrielle KI revolutioniert schon heute verschiedene Industriebereiche durch Prozessoptimierung, Effizienzsteigerung und die Lösung komplexer Herausforderungen. Beispiele hierfür sind:

  • Siemens: Als eines der führenden Industrieunternehmen in Deutschland nutzt Siemens KI in verschiedenen Bereichen, insbesondere für vorausschauende Wartung (Predictive Maintenance) und Prozessoptimierung.
  • SAP: Als Softwareunternehmen entwickelt SAP KI-Lösungen für verschiedene industrielle Anwendungen, darunter Lieferkettenoptimierung und intelligente Datenanalyse.
  • BMW nutzt KI in der Qualitätssicherung, besonders bei der visuellen Inspektion von Karosserieteilen. Kameras erfassen Bilder, die von ML-Algorithmen analysiert werden, um Fehler in der Lackierung oder anderen Oberflächen zu erkennen.
  • Bosch verwendet KI zur Optimierung der Vertriebs- und Betriebsplanung. Durch die Analyse historischer Verkaufsdaten und anderer Faktoren kann das Unternehmen die Nachfrage besser vorhersagen und die Produktion anpassen.
  • Norcom Information Technology: Das Unternehmen bietet innovative KI-Technologien an – darunter die Aufbereitung von Daten für KI-Anwendungen, individuelle KI-Apps und unternehmenseigene Chatbots – und ist auch im Bereich Big Data tätig.

Erfolgsstrategien für Startups im Bereich der industriellen KI

Industrielle KI bietet deutschen Startups besondere Chancen. Ein Drittel der KI-Gründungen in Deutschland sind universitär und forschungsnah, was ein erhebliches Potenzial für den Transfer von Spitzenforschung in die Praxis darstellt. Allerdings haben es junge Startups oft schwer, Zugang zu etablierten Unternehmen zu finden und müssen auf ihrem Weg einige Hürden überwinden:

  • Daten-Zugang: Technische und spezifische Daten sind für das Training industrieller KI-Lösungen unerlässlich. Diese Daten befinden sich oft bei etablierten Unternehmen, die sie ungern teilen. Partnerschaften können den Zugang zu den notwendigen Daten ermöglichen. Vertrauen und Datenschutz sind dabei entscheidende Faktoren.
  • Integration in bestehende Systeme: Die Integration neuer KI-Technologien in bestehende industrielle Systeme ist essenziell, kann jedoch komplex und zeitaufwendig sein. Startups sollten skalierbare und interoperable Lösungen entwickeln, die sich nahtlos einfügen lassen.
  • Vertrauen und Akzeptanz: Viele Industrieunternehmen stehen neuen Technologien skeptisch gegenüber und bevorzugen bewährte Lösungen. Startups müssen nachweisbare Erfolge vorweisen und eng mit ihren Kunden zusammenarbeiten, um Vertrauen zu gewinnen. Erfolgreiche Pilotprojekte und Fallstudien sind hierbei hilfreich.

Um diese Herausforderungen zu meistern, können Startups folgende Strategien verfolgen:

  • Kundennutzen: Die Entwicklung von Lösungen, die konkrete und messbare Vorteile bieten, ist entscheidend. Startups sollten sich auf die Lösung spezifischer Probleme konzentrieren und ihren Kunden klare Mehrwerte aufzeigen.
  • Nachweisbare Erfolge: Erfolgreiche Pilotprojekte und Fallstudien schaffen Vertrauen bei potenziellen Kunden und fördern die Akzeptanz neuer Technologien.
  • Partnerschaften und Kooperationen: Enge Zusammenarbeit mit etablierten Industrieunternehmen, Universitäten und Forschungseinrichtungen erleichtert den Zugang zu Ressourcen und Daten und stärkt das Vertrauen in neue Technologien.
  • Flexibilität und Agilität: Startups sollten flexibel und anpassungsfähig sein, um schnell Lösungen auf den Markt zu bringen, für deren Entwicklung etablierte Unternehmen Jahre benötigen.
  • Verschiedene Finanzierungsquellen: Neben Risikokapital sollten Startups auch andere Finanzierungsquellen wie staatliche Förderprogramme und strategische Investitionen in Betracht ziehen, um ihren Finanzbedarf insbesondere in der Frühphase zu decken.

Deutsche Startups im Bereich der industriellen KI

Deutschland verfügt über eine wachsende Anzahl von Startups, die im Bereich der industriellen KI wesentliche Innovationen vorantreiben, darunter erfolgreiche Scale:

  • Twaice, gegründet 2014 von Michael Baumann und Stephan Rohr von der TUM, hat sich auf vorausschauende Analytiksoftware für Lithium-Ionen-Batterien spezialisiert. Ihre KI-Technologie optimiert sowohl die Entwicklung als auch den Betrieb von Batterien, was besonders für die Elektromobilität und erneuerbare Energien relevant ist.
  • KONUX, ebenfalls gegründet 2014, kombiniert KI und IoT, um die Wartung von Eisenbahninfrastrukturen zu optimieren. Ihre Systeme überwachen kontinuierlich den Zustand von Weichen und anderen kritischen Komponenten, um Ausfälle vorherzusagen und die Instandhaltung zu verbessern.
  • TwentyBN aus dem Jahr 2015 entwickelt KI-basierte Lösungen für die visuelle Erkennung und Interaktion. Ihre Technologie wird in der Robotik eingesetzt, um Maschinen das Verständnis und die Reaktion auf visuelle Reize zu ermöglichen
  • Gestalt Robotics kombiniert die Vorteile von KI und Robotik, um innovative Lösungen für die Fertigungsindustrie zu schaffen. Sie integrieren KI in Robotersysteme, um diese intelligenter und anpassungsfähiger zu machen.

Für den auf KI-Startups spezialisierten AI.FUND ist industrielle KI eines der interessantesten Investitionsfelder in Europa. Etwa 10% der über 6000 KI-Startups in der Datenbank des Fonds sind im Bereich industrieller KI aktiv. Beispiele sind das auf LIDAR-Sensorik spezialisierte Startup BlickfeldTvarit für verlustarme Metallverarbeitung, flexible und mobile Roboter von Arculus oder zerstörungsfreies Testen mit Deeplify.

Fazit

KI in der Industre bietet Deutschland einen bedeutenden Wettbewerbsvorteil. Mit der richtigen Strategie, gezielten Investitionen und der Förderung von Kooperationen kann unser Land seine führende Position in der globalen Industrie weiter ausbauen. Innovative Startups im Bereich industrieller KI können eine wesentliche Rolle dabei spielen, diese nächste Entwicklungsstufe erfolgreich zu meistern. Fabian Westerheide schreibt dazu in seinem Buch “KI Nation”: “Industrielle KI ist der Schlüssel zur Sicherung unserer wirtschaftlichen Zukunft. Deutschland hat das Wissen und die Fähigkeiten, um in diesem Bereich führend zu sein – wir müssen nur den Mut haben, diese Chancen zu ergreifen.”

Über den Autor
Hauke Hansen ist Unternehmer, KI-Experte und Tech-Investor. Mit dem Hamburger Frühphasen-Investor AI.FUND investiert Hansen gezielt in “Geschäftsmodelle auf Basis angewandter KI”. Hinter dem AI.FUND stecken mit Hauke Hansen, Ingo Hoffmann, Fabian Westerheide, Petra Vorsteher, John Lange und Ragnar Kruse gleich mehrere erfahrene Unternehmen:innen. In das Münchner Startup Sinpex investierte AI.FUND bereits.

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