#Interview
“Die schlaflosen Nächte haben sich mehr als gelohnt”
Das Kölner Startup grievy hat sich der digitalen Trauerbegleitung und –unterstützung verschrieben. “Wir nehmen Trauernde in den schwersten Zeiten ihres Lebens an die Hand. Dazu haben wir grievy entwickelt. Eine vertrauenswürdige, barrierearme und sofortige digitale Lösung für den Trauerprozess”, schreibt das Team der Gründer:innen Nele Stadtbaeumer, Daniel Bachmann und Aenis Chebil zur Idee. Im Interview mit deutsche-startups.de stellt Gründerin Stadtbaeumer das Konzept hinter grievy einmal ganz ausführlich vor.
Wie würdest Du Deiner Großmutter grievy erklären?
Ich würde meiner Großmutter erklären, dass wir bei grievy Menschen nach dem Tod einer nahestehenden Person zur Seite stehen. Wenn ein geliebter Mensch verstirbt, kann es schwierig sein, die Vielzahl an Gefühlen zu verarbeiten. Man fühlt sich möglicherweise allein oder von den vielen Entscheidungen, die getroffen werden müssen, überwältigt. Wir haben verschiedene Lösungen entwickelt, die wie eine helfende Hand in der Trauer funktionieren, damit diese Person sich besser fühlt und wieder glücklicher wird. Man kann dort lernen, wie man mit seinen Gefühlen umgeht, sich mit anderen Trauernden in einem geschützten Rahmen austauschen und es gibt auch Experten, die einem zuhören und helfen. Es ist, als ob man einen guten Freund immer bei sich hat, wenn man ihn braucht.
Wie wollt Ihr Geld verdienen, also wie genau funktioniert euer Geschäftsmodell?
Unser Geschäftsmodell basiert auf einer SaaS-Lösung. Unsere Hauptkunden sind Bestattungshäuser, Lebensversicherungen und andere Unternehmen, die ihren eigenen Kunden die Trauerbegleitung mit grievy als zusätzlichen Service anbieten möchten. Wir bieten unterschiedliche Modelle an, die flexibel auf die spezifischen Bedürfnisse unserer Geschäftskunden zugeschnitten sind. Diese Modelle variieren je nach Anzahl der Nutzer, die auf unsere Plattform zugreifen können, sowie dem Umfang der bereitgestellten Services. Auf diese Weise können wir unseren Geschäftskunden maßgeschneiderte Lösungen anbieten, die genau auf ihre Bedürfnisse abgestimmt sind.
Wie ist die Idee zu grievy entstanden?
Als ich 24 Jahre alt war, verstarb mein Vater plötzlich. Ich erlebte, wie konservativ und veraltet die Bestattungsbranche damals an vielen Stellen war. Als Psychologin begann ich mich zu fragen, ob ich die Einzige war, die sich nach dem Verlust alleingelassen fühlte. Also führte ich Interviews mit über 200 Angehörigen, und die Antwort war eindeutig: Mehr als 90 % fühlten sich nach der Beisetzung allein gelassen. Da ich im Rahmen meiner Promotion eng mit dem Thema “Digital Health” gearbeitet habe, hat schlussendlich eins zum anderen geführt und grievy ist entstanden. Der Tod meines Vaters liegt nun fast sechs Jahre zurück. Seitdem hat sich in der Branche viel verändert, und in den letzten zwei Jahren haben wir uns mit grievy als fester Player und Marktführer im Bereich der digitalen Trauerbegleitung etabliert.
Wie oder wo hast Du Deinen Mitgründer:innen kennengelernt?
Daniel Bachmann (CTO) und Aenis Chebil (COO) habe ich 2020 im Rahmen eines Universitätsprojekts kennengelernt. Auf der eher schwierigen Suche nach Entwicklern wandte ich mich an die FH Aachen, die glücklicherweise gerade ein Projektseminar gestartet hatte, bei dem kleine Gruppen von Studierenden Unternehmensprojekte bearbeiten. So stand ich neben renommierten Unternehmen mit meiner Idee für grievy. Daniel und Aenis waren zwei der Studierenden, mit denen wir gemeinsam den ersten MVP entwickelt haben. Ich könnte nicht mehr Glück mit den beiden an meiner Seite haben. Wir haben uns alle über die letzten Jahre wachsen gesehen und gemeinsam jede Herausforderung als Team gemeistert. Dabei ergänzen wir uns nicht nur fachlich, sondern auch persönlich. Und von uns Dreien im Gründungsteam sind wir mittlerweile auf ein Team aus acht Personen angewachsen.
Was waren die größten Herausforderungen, die Ihr bisher überwinden musstet?
Wenn ich auf die letzten Jahre zurückblicke, fallen mir zwei große Herausforderungen ein. Einmal, als wir am Wendepunkt standen, ob wir Finanzierung aufnehmen möchten oder bootstrapped unsere gesamte Energie in unsere Sales-Pipeline stecken. Wir haben uns damals genau an einem Scheitelpunkt befunden, wo der bootstrapped-Weg durchaus realistisch, wenn auch risikoreicher war. Jetzt, acht Monate später, bin ich stolz, dass wir uns für diesen Weg entschieden haben. Wir sind bootstrapped und können uns selber tragen. Im Zuge dieser Entscheidung kam auch eine zweite größere Herausforderung: Wenn man Sales in hoher Intensität betreibt, lernt man schnell, an welchen Stellen das Geschäftsmodell noch Schwachstellen birgt. Wir haben über die letzten Monate unser Geschäftsmodell und unser Pricing noch einmal stark optimiert, viel getestet und an unsere Kunden angepasst. Rückblickend würde ich sagen: Das Risiko und die schlaflosen Nächte haben sich mehr als gelohnt.
Es herrscht weiter leichte Krisenstimmung in der deutschen Startup-Szene. Mit welchen Erwartungen blickst Du auf die kommenden Monate?
Ich kann hier nur für uns sprechen, aber ich blicke sehr positiv auf die kommenden Monate, da wir nicht auf externe Investments angewiesen sind. Besonders in Zeiten, in denen die Finanzierungslandschaft angespannt ist, bietet der bootstrapped Ansatz viele Vorteile. Natürlich ist dieser Weg nicht für jedes Geschäftsmodell ideal, aber für uns ermöglicht er eine größere Unabhängigkeit und Flexibilität.
Wo steht grievy in einem Jahr?
In einem Jahr sehe ich grievy in einer Phase des starken Wachstums. Da wir in der DACH-Region bereits stark aufgestellt sind, planen wir aktuell unsere Schritte in Richtung Internationalisierung voranzutreiben und unsere Präsenz in weiteren Märkten auszubauen. Außerdem erweitern wir unser Produkt derzeit um einen ganzen neuen Bereich der Begleitung, um noch gezielter auf die Bedürfnisse unserer Trauernden einzugehen. Ein weiterer Fokus liegt auf dem Ausbau unserer B2B-Partnerschaften, um langfristige Kooperationen zu stärken und neue gewinnbringende Partnerschaften zu erschließen. So möchten wir unsere Position als führender Anbieter im Bereich der Trauerbegleitung weiter festigen.
Reden wir über Köln. Wenn es um Startups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was macht den Reiz der Startup-Szene in Köln aus?
Köln und ganz Nordrhein-Westfalen haben sich als spannende und attraktive Startup-Standorte etabliert. Was Köln für uns besonders reizvoll macht, ist zum einen die extreme Sichtbarkeit in der Startup- und Unternehmens-Szene, die wir hier als junges Unternehmen erlangen dürfen. Zum anderen bietet Köln den großen Vorteil, von der gesamten Startup-Landschaft in Nordrhein-Westfalen zu profitieren. Köln liegt im Herzen von NRW, was den Zugang zu einer Vielzahl von Ressourcen, Events und Fördermöglichkeiten in anderen Städten wie Aachen, Düsseldorf oder dem Ruhrgebiet ermöglicht. Zusätzlich ist es für uns entscheidend, dass in Köln und Umgebung eine hohe Dichte an potenziellen Kunden vorhanden ist. Dies vereinfacht den Sales-Prozess und das Partner Management erheblich und unterstützt uns dabei, unser Geschäft effektiv auszubauen. Und last but not least: es ist wahr, was man über Köln sagt. Die Stadt und die Menschen haben ganz viel Herz und man fühlt sich schnell sehr wohl.
Was ist in Köln einfacher als in Berlin – und umgekehrt?
Da wir mit grievy bisher keine Niederlassung in Berlin haben, kann ich nur spekulieren. Ich vermute Köln bietet im Vergleich zu Berlin: stärkere Sichtbarkeit, leichtere Fördermöglichkeiten und eine große Vielfalt an Unternehmens-Kunden. Andererseits denke ich, dass es in Berlin einfacher ist, wichtige Stakeholder aus der Startup-Szene kennenzulernen und wertvolle Vernetzungen zu schaffen. Die Stadt bietet zahlreiche Gelegenheiten, um Kontakte zu knüpfen und sich mit relevanten Akteuren der Branche auszutauschen. In Köln trifft man jedoch regelmäßig vertraute Gesichter.
Zum Schluss hast Du drei Wünsche frei: Was wünscht Du Dir für den Startup-Standort Köln?
Wir sind mit dem Startup-Standort Köln sehr zufrieden und haben von den vielfältigen Fördermöglichkeiten, die Köln und NRW bieten, stark profitiert. Für den Standort Köln habe ich jedoch zwei kleinere Wünsche: Erstens, eine bessere Koordination und weniger Fragmentierung der verschiedenen Startup-Programme und -Initiativen. Eine gut abgestimmte Förderlandschaft würde es uns erleichtern, schneller die passenden Ressourcen und Unterstützung zu finden und effektiver zu nutzen. Zweitens, wünsche ich mir frischen Wind bei den Netzwerkevents. Neue, wertvolle Kontakte zu knüpfen ist in der Startup-Welt schließlich immer von großer Bedeutung. Und wenn es noch ein dritter Wunsch sein soll, dann das Köln sich genauso weiterentwickelt wie bisher. Die Stadt geht in die absolut richtige Richtung, und ich hoffe, dass dieser Fortschritt auch künftig anhält!
Durchstarten in Köln – #Koelnbusiness
In unserem Themenschwerpunkt Köln werfen wir einen Blick auf das Startup-Ökosystem der Rheinmetropole. Wie sind dort die Voraussetzungen für Gründer:innen, wie sieht es mit Investitionen aus und welche Startups machen von sich reden? Mehr als 550 Startups haben Köln mittlerweile zu ihrer Basis gemacht. Mit zahlreichen potenziellen Investoren, Coworking-Spaces, Messen und Netzwerkevents bietet Köln ein spannendes Umfeld für junge Unternehmen. Diese Rubrik wird unterstützt von der KölnBusiness Wirtschaftsförderung. #Koelnbusiness auf LinkedIn, Facebook und Instagram.