#Gastbeitrag

Warum die Jahre an Erfahrung nicht entscheidend sein sollten 

Was ist für den Erfolg einer Person in einer bestimmten beruflichen Position wirklich wichtig? Die Jahre an Erfahrung jedenfalls nicht. Die Gründe dafür erläutert Job van der Voort, CEO und Mitgründer von Remote, in diesem Gastbeitrag. 
Warum die Jahre an Erfahrung nicht entscheidend sein sollten 
Donnerstag, 15. August 2024VonTeam

Während in Konzernen diverse Studienabschlüsse als Einstellungskriterium noch weit verbreitet sind, ist das in der Startup-Welt bereits kein Indikator mehr für die berufliche Eignung. Das ist richtig und wichtig, denn wie wir wissen, kann zum Beispiel eine Software-Entwicklerin, die sich alles durch eigene Projekte selbst beigebracht hat, genauso produktiv oder sogar produktiver sein als jemand, der sich mehr schlecht als recht durch einen Studienabschluss gequält hat. 

Doch ich möchte gerne dazu anregen, noch einen Schritt weiter zu denken: Wie wichtig ist die in Stellenanzeigen oft geforderte Mindesterfahrung in der Praxis?

Ich glaube nicht, dass die fähigste Person für eine Position unbedingt die Person mit der meisten Erfahrung ist. Erstklassige Unternehmen werden von Menschen mit Tatkraft und Leidenschaft aufgebaut, nicht von denen, die schon sehr lange dasselbe tun. 

Die Forderung nach langjähriger Erfahrung schadet Unternehmen dabei in mehrfacher Hinsicht: Sehr fähige Personen, die nicht die gewünschte Anzahl an Berufsjahren haben, bewerben sich erst gar nicht. Auch Menschen mit übertragbaren Kompetenzen in angrenzenden Bereichen scheuen sich, Kontakt aufzunehmen.  

Meine Erfahrung hat mich schon oft gelehrt: Berufsjahre sind überbewertet. Regelmäßig begeistern mich Menschen, die Erfahrungen in verschiedensten Rollen gesammelt haben. Sie sind am ehesten in der Lage, sich an ein herausforderndes Arbeitsumfeld oder eine schnelllebige Startup-Kultur anzupassen. 

Gleichzeitig brauchen wir natürlich oft auch Mitarbeitende, die bestimmte Aufgaben gleich vom ersten Tag an übernehmen können. Doch dafür gibt es eine Lösung. Statt jahrelanger Erfahrung in einer bestimmten Rolle, können wir einfach klare Erwartungen in der Stellenausschreibung kommunizieren. Zum Beispiel: “Du kannst nachweisen, dass du unsere Marketingausgaben analysieren und Ineffizienzen aufdecken kannst.” Oder: „Du bist nachweislich in der Lage, ein Sprachmodell zu trainieren und einen Chatbot für interne Zwecke zu entwickeln.”

Personalverantwortliche müssen im nächsten Schritt im Bewerbungsgespräch die richtigen Fragen stellen, um die Erwartungen zu verifizieren. Das ist zwar schwieriger als nur auf eine Zahl im Lebenslauf zu schauen. Doch gleichzeitig müssen auch die Bewerbenden härter arbeiten, um zu zeigen, dass sie diese Aufgaben tatsächlich erledigen können. 

So wird aus “jahrelanger Erfahrung” ein “Zeig uns, dass du das kannst”. Je spezifischer, desto besser. Während des Bewerbungsprozesses können die Gesprächsführenden der Person zudem die Möglichkeit geben, ihre Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Falls dafür eine Aufgabe erforderlich ist, dann ist es nur wichtig, die Zeit der Bewerbenden zu respektieren und die Aufgabe so kurz wie möglich zu halten. 

Ich würde sogar noch einen Schritt weiter gehen: Denn ich habe schon häufig erlebt, dass außergewöhnliche Mitarbeitende überhaupt keine Erfahrung in der neuen Rolle mitbringen. Dadurch gehen sie ihre Aufgaben komplett unvoreingenommen an und können neue Blickwinkel einbringen. 

Umgekehrt können Personen mit langjähriger Erfahrung in einer einzigen Funktion und in einem einzigen Unternehmen häufig schlecht geeignet sein. Denn sie tun sich schwerer damit, von einer etablierten Rolle in eine mit neuen Herausforderungen und Verantwortlichkeiten zu wechseln. 

Ich hoffe, dass noch mehr Unternehmen ihre Anforderungen in Stellenausschreibungen überdenken und so mehr Top-Talente finden können. Schließlich beruht meine eigene Karriere darauf, dass mir Jemand die Chance gegeben hat, etwas zu tun, in dem ich keinerlei Erfahrung hatte. Heute bin ich Gründer eines Unicorns und als CEO verantwortlich für über 1.400 Mitarbeitende. 

Über den Autor
Job van der Voort ist Mitgründer und CEO von Remote, einem Unternehmen, das es Arbeitgebern ermöglicht, jeden von überall aus einzustellen. Vor der Gründung von Remote arbeitete Job van der Voort als Hirnforscher, bis er die akademische Welt verließ und VP of Product bei GitLab wurde, wo er Mitarbeitende aus 67 verschiedenen Ländern einstellte. Van der Voort ist ein gefragter Keynote-Speaker, der über Themen wie die Skalierung eines Remote-Startups, die Kultur bei Remote-Unternehmen und die Zukunft der Arbeit spricht. Er hat zwei Kinder und fünfhundert Hobbys.

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Foto (oben): Shutterstock