#Interview

“Die Startfinanzierung aus der eigenen Tasche erlaubt mehr Freiheit”

Im Jahre 2017 ging Prescreen für rund 17 Millionen an Xing. Nun meldet sich das Prescreen-Team mit fynk, einer Vertragsmanagement-Software, zurück. "Unser Ziel ist es, eine ganze Produktkategorie neu zu definieren", sagt Gründer Constantin Wintoniak.
“Die Startfinanzierung aus der eigenen Tasche erlaubt mehr Freiheit”
Dienstag, 23. Juli 2024VonAlexander Hüsing

Das Wiener Startup fynk, 2022 von den Prescreen-Gründern Constantin Wintoniak, Dominik Hackl und Markus Presle gegründet, positioniert sich als “Vertragsmanagement-Software zur Erstellung, Prüfung, Zeichnung und Analyse von Verträgen in großer Anzahl”. Das Team verspricht seinen Nutzerinnen und Nutzern dabei eine “infache, moderne Vertragsmanagement Software zur Erstellung, Prüfung, Zeichnung und Analyse von Verträgen in großer Anzahl”.

“Wir konnten bereits vor dem offiziellen Start – also Launch – in einer geschlossenen Beta-Phase mit ersten Kunden arbeiten. Davon gibt es ungefähr 50, die ihre Nutzung von fynk auch laufend auf weitere Teams und Anwendungsfälle erweitern. Das geschieht aktuell mit einem Team von 10, bald 12, Mitarbeiter:innen. Da wir erst diese Woche unseren Public Launch hatten, will und kann ich zu Zahlen und Fakten nicht mehr sagen”, sagt Gründer Wintoniak zum Stand der Dinge bei fynk.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Prescreen-Gründer außerdem über Leidenschaft, Perfektionismus und Freiheit.

Wie würdest Du Deiner Großmutter fynk erklären?
Meine Oma und ich sprechen tatsächlich immer wieder darüber und das dient mir als UI/UX-Designer oft als Orientierung, ob es uns gelingt, den Mehrwert unseres SaaS-Produkts zu erklären: Stell dir vor, du hast irgendwo eine verstaubte Kommode voll mit wichtigen Papieren, die sich im Laufe der Jahre angesammelt haben. Jedes Mal, wenn du dann versuchst, etwas Bestimmtes darin zu finden, musst du mühsam Blatt für Blatt durchgehen. Unsere Lösung hilft den Mitarbeiter:innen von kleinen bis mittelgroßen Unternehmen dabei, dass ihnen das nicht passiert. Wir verwenden moderne Technologie, um alte und neue Dokumente sicher im Internet zu speichern. Du hast in letzter Zeit bestimmt schon den Begriff „Künstliche Intelligenz“ gehört: Die benutzen auch wir, als digitalen Assistenten, der den Leuten  dabei hilft, die richtigen Papiere schneller zu finden, deren Inhalt zu verstehen und sich zum Beispiel an wichtige Termine und Fristen erinnern zu lassen, oder kritische Stellen hervorzuheben. Weil es den Menschen Zeit, Nerven und Geld spart, wollen sie in Zukunft jedes Dokument, genauer gesagt Verträge, nur noch auf diese Weise erzeugen, bearbeiten und sogar unterschreiben.

War dies von Anfang an euer Konzept?
Wir kennen die Herausforderung, dass Dokumente oft unstrukturiert und schwer zu organisieren sind, schon aus der Vergangenheit. Ursprünglich hatten wir den Plan, erst einmal folgendes Problem zu lösen: Wir wollten erkennen, ob eine oder mehrere besonders kritische Klauseln in einem Vertrag enthalten sind, die man typischerweise im Software-Vertrieb vom Gegenüber – dem potenziellen Kunden – geschickt bekommt. Wir haben also im Herbst 2021 erstmals versucht, eine Klausel-Identifikation mit einem selbst gehosteten LLM zu implementieren. Die Resultate waren vielversprechend, aber wir haben dabei zwei Dinge erkannt. Erstens: Wir bräuchten sehr viele Daten und viel Geld, um so ein Modell ordentlich zu trainieren. Zweitens: Damit Unternehmen dieses Produkt nutzen können, müsste rundherum sehr viel andere Funktionalität zusätzlich vorhanden sein. Nur wenn die Lösung direkt in die wichtigen Unternehmensprozesse integriert ist, können unsere Kunden optimal von moderner KI profitieren. Wir haben unser Modell also nicht verändert, sondern erweitert. Der übliche Tipp „fange mit einem möglichst kleinen MVP an“ war dabei so nicht realistisch umsetzbar. Positiv hat sich ergeben, dass mit dem Aufstieg von GPT und dem Hype um LLMs im Allgemeinen plötzlich eine Technologie zur Verfügung stand, die es uns zu wesentlich geringeren Kosten ermöglicht, eine der Kernfunktionalitäten schneller und vermutlich auch besser zu entwickeln, als das im Alleingang je möglich gewesen wäre.

Was waren die größten Herausforderungen, die Ihr bisher überwinden musstet?
Unser Ziel ist es, eine ganze Produktkategorie neu zu definieren. Das bedeutet, dass wir die Art und Weise, wie Unternehmen mit rechtlichen bzw. kommerziellen Dokumenten arbeiten, verändern wollen. Es handelt sich dabei um ein sehr komplexes Thema, da es mit Microsoft Word ein über 40 Jahre altes Produkt gibt, welches Unternehmen sehr stark an sich bindet. Über 90 % der Unternehmen mit weniger als 500 Mitarbeiter:innen verwenden kein System zur strukturierten Ablage von Verträgen. Um solchen Unternehmen einen Umstieg zu ermöglichen, ist es erforderlich, den gesamten Prozess vom Import bzw. der Erstellung, über die Zusammenarbeit bis zur digitalen Unterschrift, Ablage und Nachverfolgung, in einem Produkt abzubilden. Und dieses muss auch noch unglaublich einfach zu benutzen sein. Das erklärt die 2-jährige Entwicklungsphase, an deren Ende wir nun stehen.

Wo steht fynk derzeit?
Wir konnten bereits vor dem offiziellen Start – also Launch – in einer geschlossenen Beta-Phase mit ersten Kunden arbeiten. Davon gibt es ungefähr 50, die ihre Nutzung von fynk auch laufend auf weitere Teams und Anwendungsfälle erweitern. Das geschieht aktuell mit einem Team von 10, bald 12, Mitarbeiter:innen.

Vor fynk hast Du bereits Prescreen aufgebaut und erfolgreich an Xing verkauft. Was reizt Dich daran, nun wieder ein Startup hochzuziehen?
Persönlich war es für mich reizvoll, wieder selbst „Hand anzulegen“. Ich bin und bleibe im Herzen ein produktfokussierter Mensch und meine Leidenschaft ist UI/UX-Design, sowie Frontend-Webentwicklung. Diese Dinge kommen in einer großen Organisation mit der Zeit irgendwann zu kurz. Sie werden dann von anderen, nicht minder spannenden Herausforderungen abgelöst. Ich denke, dieser Wechsel zwischen unterschiedlichen Phasen und Rollen ist es, der das Leben als Gründer reizvoll macht. In einem Startup hat man die Möglichkeit, mit maximaler Geschwindigkeit den höchsten Innovationsgrad zu liefern. Das liegt einerseits daran, dass man in einem kleinen Team viel kürzere Kommunikationswege hat und andererseits daran, dass man noch sehr eng mit den Kunde:innen zusammenarbeiten kann. Und letztlich auch, weil in einem Startup ein viel höheres Gefühl von Eigenverantwortung entsteht, nicht nur bei den Gründern, sondern auch beim gesamten Team. Hinzu kommt , dass gerade große Unternehmen, insbesondere kurz vor oder kurz nach dem Börsengang, sehr kurzfristig incentiviert agieren. Da geht es selten um Mehrwert und Wachstum, sondern viel mehr um die EBITDA-Marge. Ich sage damit nicht, dass Profitabilität nicht wichtig ist, aber das sehr kurzfristige und manchmal auch kurzsichtige Vorgehen von Konzernen überrascht mich immer wieder.

Ist beim erneuten Gründen wirklich alles einfacher als beim ersten Mal?
Jein. Das Netzwerk und der Ruf sind ein klarer Vorteil bei der Finanzierung. Die Startfinanzierung aus der eigenen Tasche zu ermöglichen, erlaubt auch mehr Freiheit und manche Fehler lassen sich eher vermeiden. Ein gutes Beispiel dafür ist die verlorene Zeit auf zu vielen „Networking“-Veranstaltungen, die einen nicht näher an sein Ziel bringen, aber Startup-Gründer ganz gerne in ihren Bann ziehen. Andererseits neigt man beim zweiten Mal zu einem stärker ausgeprägten Perfektionismus, der einen ausbremsen kann. Der Trugschluss, dass man schon „alles weiß“, ist eine große Gefahr. Zu guter Letzt habe ich es persönlich auch so empfunden, dass der Druck, jemandem etwas „beweisen zu müssen“ beim zweiten Mal sogar durchaus größer sein kann. Erstens ist man älter. Das Argument „ich bin ja noch jung“ funktioniert irgendwann nicht mehr. Zweitens steht man wieder am Anfang und es heißt: Alles oder nichts.

Welche Erfahrungen aus Prescreen fließen in fynk ein?
Einerseits, was es bedeutet, ein Unternehmen von 0 auf über 100 Mitarbeiter:innen zu entwickeln und wie man ein Software-As-A-Service Produkt in Mitteleuropa erfolgreich skaliert. Andererseits die Arbeit in einem börsennotierten Unternehmen mit über 1.500 Mitarbeiter:innen und brillanten Spezialist:innen, von denen man das Lösen von spezifischen Problemen lernen kann. Auf der negativen Seite, dass jeder Exit mit einem strategischen Kontrollverlust einhergeht und man am Ende manchmal Entscheidungen zusehen muss, die man selbst anders getroffen hätte. Die wichtigste Erfahrung aus der Prescreen-Zeit ist aber, wie oben bereits kurz erwähnt, vor allem die Gewissheit, dass es ein reales Problem gibt, das für viele Unternehmen heute nicht zureichend gelöst ist. Ich selbst wurde oftmals am Wochenende vor einem Quartalsende spätabends angerufen, um noch irgendeinen externen „Supplier Code of Conduct“ oder ähnliches zu prüfen, bzw. irgendwelche Änderungsvorschläge an unseren eigenen Vorlagen zu beurteilen. Dass man den Entscheider anruft, ist nur verständlich, wenn ein Vertriebsteam seine Ziele erreichen will. Aber ich dachte mir damals schon: Es muss besser gehen, es muss dafür doch eine Software-Lösung geben. Die Konsequenz: Meine Co-Founder und ich haben zwei Jahre unseres Lebens der Lösung dieses Problems gewidmet und jetzt gibt es fynk.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Sucht eine unternehmerische Herausforderung, an der ihr gerne arbeitet. Geld soll dabei nie der Antrieb sein. Das hilft besonders in schwierigen Phasen, die unweigerlich vor euch liegen werden.

Wo steht fynk in einem Jahr?
In einem Jahr werden wir vom DACH-Markt in den gesamten europäischen Raum und darüber hinaus internationalisieren und eine deutlich dreistellige Zahl an zufriedenen Kunden vorweisen können.

Foto (oben): fynk, Victor Liska

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.