#Gastbeitrag
Speed beats everything
In einer Ära, in der OpenAIs ChatGPT innerhalb von zwei Monaten 100 Millionen Nutzer:innen erreicht hat, war das Motto “Speed beats everything” nie relevanter. Dieses schnelle Meisterstück kennzeichnet nicht nur einen “Day Zero” in der technologischen Adoption, sondern unterstreicht auch eine entscheidende Verschiebung im Startup-Ökosystem. Die Erzählung hat sich von “The winner takes it all” zu einem nuancierteren Verständnis gewandelt: Per sofort ist es von größter Bedeutung, als Erster auf dem Markt zu sein, denn nach “Day Zero” gibt es keine Wettbewerbsphase mehr. Allerdings ist es besonders herausfordernd, diese Geschwindigkeit in der deutschen Startup-Szene zu erreichen. Hier kann die Trägheit nicht-digitalisierter bürokratischer Stellen wie etwa von Notariaten, Amtsgerichten oder einem Bundeszentralamt für Steuern, das auch gerne mal sechs Monate oder mehr für die Vergabe einer einfachen Umsatzsteueridentifikationsnummer braucht, das schnelle Wachstum hemmen.
“Schnell gewinnt: Geht das auch in Deutschland?”
Angesichts des Erfolgs von OpenAI ist die Frage erlaubt, ob deutsche Startups einen ähnlich schnellen Markteintritt nachahmen könnten. Der Schlüssel dazu liegt nicht darin, sich direkt mit den langsam bewegenden Zahnrädern der deutschen Bürokratie zu messen, sondern sie durch digitale Innovation zu umgehen und schlanke Startup-Methoden zu nutzen. Startups müssen digitale Werkzeuge für jeden Aspekt ihrer Operationen nutzen – von der Gründung bis zur Compliance –, um sicherzustellen, dass sie agil bleiben und im richtigen Moment schnell handeln können.
Um den Markteintritt effektiv zu beschleunigen, ist es für Startups unerlässlich, agile und schlanke Methoden anzuwenden. Diese Ansätze konzentrieren sich auf schnelles Prototyping und das Sammeln von Nutzerfeedback in frühen Entwicklungsstadien, um Produkte iterativ zu verbessern. Dies ermöglicht es Startups, schnell auf Marktbedürfnisse zu reagieren und die Entwicklungszeit bis zur Marktreife deutlich zu verkürzen.
Die Teilnahme an Accelerator-Programmen und Inkubatoren ist ebenfalls nicht zu vernachlässigen. Diese Einrichtungen bieten nicht nur wertvolle administrative Unterstützung und Ressourcen, sondern auch Mentoring und Netzwerkmöglichkeiten, die für junge Unternehmen von unschätzbarem Wert sind. Das alles ist zwar bekannt, aber mitnichten geübte Praxis. Mehr noch: Vielleicht ist ein zentraler “Hack” des Ganzen auch die Nutzung der “E-Residency” des EU-Mitgliedstaates Estland, womit die Gründung einer Gesellschaft binnen weniger Tage tatsächlich umgesetzt werden kann – im Gegensatz zu Deutschland.
Tragweite nicht-digitalisierter Behörden in der Startup-Branche
Die Starrheit der nicht-digitalisierten Behörden in Deutschland bremst Startups aus, deren Dynamik und Innovationstempo mit bürokratischen Prozessen kollidiert. Um diesen Herausforderungen zu begegnen, ist die aktive Förderung der digitalen Transformation dieser Behörden essenziell. Eine enge Zusammenarbeit mit Rechts- und Regulierungsexpert:innen, die sowohl die Startup-Welt als auch die regulatorischen Rahmenbedingungen verstehen, kann dazu beitragen, Verzögerungen zu minimieren und den Markteintritt zu beschleunigen.
Durch den Aufbau von Dialogplattformen zwischen Startups, Behörden und Expert:innen lassen sich Lösungen entwickeln, die sowohl den innovativen Ansprüchen der Startups als auch den regulatorischen Anforderungen gerecht werden. Diese Bemühungen tragen nicht nur zur Verbesserung der Situation einzelner junger Unternehmen bei, sondern fördern auch die Modernisierung der gesamten deutschen Wirtschaft. Langfristig wird dies zu einer agileren, effizienteren Verwaltungskultur führen, die den Grundstein für zukünftige Erfolge legt.
Der nächste Boom in der Startup-Welt
Wo wir bei Erfolgen sind: Die nächste große Welle im Startup-Ökosystem wird voraussichtlich stark von den Prinzipien der Nachhaltigkeit geprägt sein, die sowohl in den Geschäftsmodellen als auch im umfassenderen Kontext des ökologischen Bewusstseins eine zentrale Rolle spielen werden. Dabei rücken Technologien in den Fokus, die innovative Lösungen für den Klimawandel bieten, die Nutzung erneuerbarer Energien vorantreiben und eine effizientere Verwendung von Ressourcen ermöglichen. Diese Entwicklung unterstreicht die wachsende Bedeutung eines verantwortungsvollen Unternehmertums, das ökologische, ökonomische und soziale Nachhaltigkeit als untrennbare Bestandteile des Geschäftserfolgs betrachtet.
Zusätzlich wird die Rolle der künstlichen Intelligenz (KI) und des maschinellen Lernens in der Startup-Landschaft immer bedeutender. Diese Technologien ermöglichen nicht nur, Prozesse zu automatisieren und Effizienz zu steigern, sondern eröffnen auch neue Wege für Innovationen. So können Startups Produkte und Dienstleistungen mit bisher unerreichter Geschwindigkeit entwickeln und auf den Markt bringen. Künstliche Intelligenz mag mittlerweile zu einem Buzzword verkommen sein, wird allerdings in spätestens fünf Jahren schlichtweg zum Alltag dazugehören, so wie das Internet heute. Dann sprechen wir nicht mehr darüber, weil sie einfach überall drinsteckt.
Vergrault der Charakter das Geld?
In den initialen Stadien der Unternehmensgründung, einschließlich Pre-Seed, Seed- und frühen Entwicklungsphasen, ist es entscheidend, die Wahrscheinlichkeit eines Misserfolgs zu minimieren. Neben grundlegenden Ressourcen wie Kapital, struktureller Organisation und technologischer Ausstattung kommt es besonders auf das Engagement und das Talent des Teams an. Gesellschafter:innen und Investor:innen sollten ihre individuellen Stärken einbringen und offen über persönliche Präferenzen sowie bewährte Erfolgsmuster sprechen, statt verdeckte Agenden zu verfolgen und damit Stress in die erforderliche Hochgeschwindigkeits-Dynamik zu bringen.
In dieser kritischen Frühphase liegt der Schlüssel nicht allein im finanziellen Investment oder den Vertragsbedingungen. Vielmehr kann eine übermäßige Konzentration auf finanzielle Aspekte zu einer Vernachlässigung wichtiger Entscheidungs-Prozesse führen, die für den Markteintritt und das langfristige Wachstum bedeutsam sind. Geschwindigkeit und Agilität im Markteintritt sowie der Gründer:innen-Investor:innen-Fit auf Charakterebene überwiegen die Bedeutung von Kapital und Vertragskonditionen.
Investor:innen, keine Frage, sind unabdingbar im Startup-Ökosystem, nicht nur durch finanzielle Unterstützung, sondern indem sie Gründer:innen inspirieren und fördern. Anstatt Managementstrategien aufzuzwingen oder in den Betrieb einzugreifen, sollten sie ihr Netzwerk aktivieren, strategische Einsichten erlauben und dann einen Schritt zurücktreten. Den Gründer:innen zu vertrauen, ihren Weg zum Markt zu navigieren, auch wenn er vom vereinbarten Plan abweicht, fördert Innovation und schnelles Wachstum. Nur so können beide Seiten gemeinsam wachsen und etwas Nachhaltiges aufbauen.
Über den Autor
Christopher Patrick Peterka ist Autor, Prognose-Futurist, Seriengründer und Investor. Mit der Denkfabrik gannaca berät er seit dem Jahr 2002 Top-Entscheider:innen in Organisationen weltweit zu ihrer Innovationskultur und Zukunftsstrategie. Sein besonderes Interesse gilt dabei der Transformation einer Technologie getriebenen Wirtschaft und Gesellschaft im Erdzeitalter des Anthropozäns. Peterka hat in 55 Ländern geforscht und beraten. Die Ergebnisse stellte er im Jahr 2019 in seinem Buch “Deine Wahl” (Murmann, Hamburg) vor.
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