Von Alexander
Montag, 3. Juni 2024

“Geldmangel zwingt einem, extrem fokussiert zu arbeiten”

Während des COVID-Lockdowns baute Yanick Steinbeck eine Software, mit der Psychotherapeuten die sogenannte EMDR-Therapie online anbieten konnte. "Dann ging die Software viral", erinnert er sich. Inzwischen wird bilateralstimulation.io "von über 20.000 Therapeuten eingesetzt".

Das Berliner Health-Startup bilateralstimulation.io, 2021 von Yanick Steinbeck und Benjamin Viehauser gegründet, entwickelt Software und Hardware für Psychotherapeuten, damit diese eine bestimmte Art der Traumatherapie – die sogenannte EMDR-Therapie – online anbieten können. Gründer Steinbeck baute die erste Version der Software für seinen eigenen Therapeuten zu Beginn der COVID-Lockdowns.

“Dann ging die Software plötzlich viral und verbreitete sich rasant in der EMDR-Therapeuten-Community! Als wir dann organisch auf 5.000 Therapeuten-User gewachsen waren, beschlossen mein Mitgründer und ich das Ganze zur Firma zu machen”, blickt Steinbeck zurück. “Mittlerweile haben wir neben dem Software- auch ein Hardwareprodukt und sind das weltweit meistbenutzte Online-EMDR-Tool”, führt er weiter aus. Konkret wird das Tool weltweit “von über 20.000 Therapeuten eingesetzt”.

Auf Investorengelder verzichtete das Gründerteam, das ansonsten auf Freelancerinnen und Freelancer setzt, bisher komplett. “Wir haben über die Jahre oft diskutiert, ob wir Venture Capital einsammeln sollen, aber kamen immer wieder zum Schluss, dass das für unseren Markt nicht der richtige Fit ist. Wir hatten zuvor beide viele Jahre in VC-finanzierten Startups gearbeitet und sind mit dieser Welt gut vertraut. Unser Markt ist unserer Ansicht nach kein VC Markt – er ist schlicht zu nischig, um einen VC-tauglichen billion-dollar outcome zu ermöglichen”, meint Steinbeck.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der bilateralstimulation.io-Gründer einmal ausführlich über die Anfänge des Startups, Bootstrapping und Personalausgaben.

Wie würdest Du Deiner Großmutter bilateralstimulation.io erklären?
Wir bauen Software und Hardware für Psychotherapeuten, damit diese eine bestimmte Art der Traumatherapie – die sogenannte EMDR-Therapie – online anbieten können. EMDR wird weltweit von über 100.000 Psychotherapeuten zur Traumabewältigung eingesetzt, zum Beispiel vom US-Militär für Kriegsveteranen oder von der UN für Geflüchtete. Ich baute unsere Software ursprünglich für meinen Therapeuten – ich war selbst EMDR-Patient.

Ab welchem Punkt wurde bilateralstimulation.io zum richtigen Unternehmen?
Ich baute die erste Version der Software zu Beginn der COVID-Lockdowns für meinen ehemaligen Therapeuten. Dann ging die Software plötzlich viral und verbreitete sich rasant in der EMDR-Therapeuten-Community! Als wir dann organisch auf 5.000 Therapeuten-User gewachsen waren, beschlossen mein Mitgründer Benjamin Viehauser und ich das Ganze zur Firma zu machen. Mittlerweile haben wir neben dem Software- auch ein Hardwareprodukt und sind das weltweit meistbenutzte Online-EMDR-Tool.

Wie hat sich bilateralstimulation.io seit der Gründung entwickelt?
Wir werden mittlerweile von über 20.000 Therapeuten weltweit eingesetzt, welche im letzten Jahr unsere Software in über 1.5 Millionen EMDR-Therapiesitzungen verwendet haben.

Du hast bilateralstimulation.io bisher ohne Fremd-Finanzierungen und Kapitalgeber aufgebaut. War dies von Anfang an eine bewusste Entscheidung?
Wir haben über die Jahre oft diskutiert, ob wir Venture Capital einsammeln sollen, aber kamen immer wieder zum Schluss, dass das für unseren Markt nicht der richtige Fit ist. Wir hatten zuvor beide viele Jahre in VC-finanzierten Startups gearbeitet und sind mit dieser Welt gut vertraut. Unser Markt ist unserer Ansicht nach kein VC-Markt – er ist schlicht zu nischig, um einen VC-tauglichen billion-dollar outcome zu ermöglichen. Das trifft auf viele Märkte zu – auch wenn das Startups nicht immer wahrhaben wollen.

Wie war der Start ohne fremdes Geld – was geht recht einfach, was ist als Bootstrapping-Startup recht schwierig?
Man muss als Gründer anfangs irgendwie die Lebenshaltungskosten decken. Wir haben am Anfang beide noch Teilzeit gearbeitet und gefreelanced, was natürlich erstmal Fokus vom Startup wegnimmt und zum Stress und Workload beiträgt. Der Geldmangel zwingt einem aber dazu, auf Geschäftsebene extrem fokussiert zu arbeiten – alles was nicht direkt in Richtung Product-Market-Fit, Wachstum, oder Profitabilität führt, kommt erst gar nicht auf die Agenda. Wir hatten beide in unserer Vergangenheit viele VC-Startups gesehen, wo das anders war – der Fokus und die Dringlichkeit fehlen oft, wenn das Bankkonto voll ist.

Gab es denn viele Dinge, die Du einfach nicht umsetzen konntest, weil das Geld fehlte?
Marketing war hier auf jeden Fall das große Thema – wir hatten viele Ideen für verschiedenste Paid Marketing.Initiativen, konnten diese allerdings erst nach einigen Jahren umsetzen, da am Anfang alles gratis und organisch sein musste. Das war allerdings wiederum gut, weil es uns dazu zwang, organische Channels zu finden, die funktionieren.

Was rätst du anderen Gründer:innen, die sich für Bootstrapping entscheiden?
Erstens: Spart euch idealerweise sechs bis zwölf Monaten Personal Runway an, damit ihr euch zumindest die ersten Monate voll auf die User und aufs Produkt fokussieren könnt. Zweitens: Monetarisiert früh! Idealerweise in einer Art und Weise, die auch euer Kerngeschäft validiert – aber notfalls auch mit non-core Dienstleistungen und Produkten als Überbrückung. Drittens: Seid kreativ und scrappy, zum Beispiel beim Recruiting. Hierzu zwei Stories: Bei der Hardware Prototypenentwicklung waren traditionelle Freelancer und Agencies zu teuer für unser bootstrapped-Budget – deshalb rekrutierten wir unser Entwicklungsteam über obskure Discord Server und Onlineforen. Teilweise kannten wir von unseren Freelancern nur die Online Pseudonyme. Beim Sourcing waren dann die Komponenten zu teuer – die Lösung: Verhandlungen über Skype mit chinesischen Lieferanten und Google Translate. Fazit: Es gibt immer einen günstigeren Weg.

Es herrscht weiter Krisenstimmung in der deutschen Startup-Szene. Mit welchen Erwartungen blickst Du auf die kommenden Monate?
Die Nullzinspolitik ist vorbei und das spüren wir nun in der gesamten Wirtschaft – besonders im Zukunfts- und Wachstums-orientierten Technologiebereich. Für Post-Product-Market-Fit-Startups ist Profitabilität nun oft erstmal wichtiger als Wachstum, was unter anderem weniger Startup Hiring bedeuten wird. Für Pre-Product-Market-Fit-Startups heißt es nun noch scrappier zu sein – wie kann man als Gründerteam ohne große Ausgaben ein MVP auf die Beine stellen und die Kern-Geschäftshypothesen validieren? Personalausgaben sind bei Startups oft die Hauptkosten, weshalb ich erwarte dass vor allem Early-Stage-Gründer vermehrt auf Freelancer anstatt Mitarbeiter setzen werden, und mithilfe von KI-Tools generell kleinere Teams benötigt werden.

Wo steht bilateralstimulation.io in einem Jahr?
Wir haben einige spannende Software Features in der Pipeline und freuen uns darauf, weltweit noch mehr Therapeuten und Patienten zu helfen.

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Foto (oben): bilateralstimulation.io