#Interview

“Wir wollten einfach loslegen und nicht lange warten”

Bei entsorgo dreht sich sich alles um Abfallentsorgung. 2023 erwirtschaftete das Team einen Umsatz in Höhe von 4,5 Millionen Euro. "Im Jahr 2024 rechnen wir mit einem Wachstum von ca. 70 %", sagt Gründer Tim Bierlein. Auf Investorengelder verzichtete das Team bisher.
“Wir wollten einfach loslegen und nicht lange warten”
Montag, 13. Mai 2024VonAlexander Hüsing

Das Berliner Unternehmen entsorgo, 2016 von Tim Bierlein und Roman Jerrent gegründet, kümmert sich für Unternehmen und Privatpersonen um die Abfallentsorgung. “Mit entsorgo bieten wir ihnen die Möglichkeit, ihre Entsorgungen einfach und zuverlässig über das Internet oder per App zu buchen. Und das ohne lange Wartezeiten. Darüber hinaus bieten wir Unternehmen auch maßgeschneiderte Hilfe zur Abfallentsorgung an”, sagt Gründer Bierlein.

2023 erwirtschaftete das Team einen Umsatz in Höhe von 4,5 Millionen Euro – was einem Wachstum von über 40 % gegenüber dem Vorjahr entspricht. “Im Jahr 2024 rechnen wir mit einem Wachstum von ca. 70 %. Bis heute haben wir dabei mit über 20.000 Kunden im gesamten Bundesgebiet zusammengearbeitet”, erzählt entsorgo-Gründer Bierlein. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Jungunternehmer außerdem über Bootstrapping, Freiheiten und Vertriebsarbeit.

Wie würdest Du Deiner Großmutter entsorgo erklären?
Wir kümmern uns um die Abfallentsorgung für Unternehmen wie Baufirmen, Handwerker oder Fabriken, aber auch für Privatpersonen, die beispielsweise ein Haus bauen oder ihr Bad renovieren. Eines haben sie alle nämlich gemeinsam: sie müssen Abfälle entsorgen. Mit entsorgo bieten wir ihnen die Möglichkeit, ihre Entsorgungen einfach und zuverlässig über das Internet oder per App zu buchen. Und das ohne lange Wartezeiten. Darüber hinaus bieten wir Unternehmen auch maßgeschneiderte Hilfe zur Abfallentsorgung an. Hierfür nutzen wir unsere Software, die es unseren Kunden ermöglicht, ihre Entsorgungen in ganz Deutschland planen können. Das ist möglich, weil wir bundesweit mit lokalen Entsorger-Partnern zusammenarbeiten, die die Entsorgungen bei den Kunden für uns durchführen. So kümmern wir uns jährlich um die Entsorgung von zigtausend Tonnen Abfall in ganz Deutschland. Bei all diesen Anstrengungen versuchen wir stets, die Umwelt so wenig wie möglich zu verschmutzen und sie zu schützen. Deshalb sind alle unsere Dienstleistungen auch CO2-neutral.

War dies von Anfang an Euer Konzept?
Ursprünglich haben wir mit einer einfachen Website gestartet, auf der man per Anfrage Entsorgungen wie Entrümpelungen oder Abfallcontainer buchen konnte und haben diese online vermarktet. Nachdem bereits nach einem halben Jahr eine Vielzahl an Aufträgen folgten und die Workload, diese zu bearbeiten, sehr groß wurde, kamen wir auf die Idee einen Online-Rechner zu entwickeln. Damit sollten Interessenten die Kosten für Entrümpelungen oder Abfallcontainer einfach online selbst berechnen können und den gewünschten Service zum Festpreis buchen – schnell, transparent und individuell. Gesagt, getan: Mit der Hilfe eines Bekannten, der Softwareentwickler ist, konnten wir die erste Version innerhalb von wenigen Monaten umsetzen. Eher rudimentär, aber es hat in dem kleinen Rahmen funktioniert. Und: Wir waren die Ersten in Deutschland, die so einen Kostenrechner und ein Buchungsportal für Entsorgungen aller Art angeboten haben. Ein besonderer Meilenstein für uns. Damit war der Startschuss für den Wandel gesetzt: In den darauffolgenden Monaten und Jahren bauten wir gemeinsam im Team ein eigenes ERP-System auf, das den Grundstein für die Digitalisierung bei entsorgo legte. Während dieser Zeit haben wir auch wichtige interne Strukturen für das Unternehmenswachstum geschaffen, unser Marketing professionalisiert und unser Partnernetzwerk in ganz Deutschland ausgebaut. Und dann ging es Schlag auf Schlag: Aufbauend auf unserer entsorgo Software haben wir 2021 begonnen, Entsorgungslösungen für B2B-Kunden zu entwickeln, was unser Geschäftsmodell weiter diversifiziert hat. Nach intensiver Arbeit des gesamten Teams folgte im Januar 2023 darüber hinaus der Launch unserer komplett selbst entwickelten entsorgo App – ein Entsorgungsmanager für das Smartphone. Und auch hier waren wir wieder First Mover in der Branche. Diesmal mit einer App für bundesweite Entsorgungen aller Art, mit aktuell knapp 8.000 Downloads. Ende des Jahres 2023 folgte dann der bisher wichtigste Meilenstein und die bislang größte Erweiterung unseres Geschäfts: der Launch von entsorgoPRO. Eine modulare B2B-Lösung für Entsorgungsleistungen, mit der wir Unternehmen verschiedene digitale Lösungen anbieten: vom smarten Entsorgungsmanager als Cloud-Lösung über eine E-Commerce-Lösung bis hin zur automatisierten Verarbeitung von großen Auftragsvolumen für Großkunden. Angefangen hat also alles als E-Commerce-Anbieter für unkomplizierte und transparente Entsorgungen. Heutzutage ist entsorgo dagegen vielmehr ein Technologieunternehmen und Anbieter für Entsorgungslösungen als nur eine Buchungsplattform. Und wir setzen auch weiterhin unseren Fokus klar auf Digitalisierung in der Entsorgungsbranche.

Wie hat sich entsorgo seit der Gründung entwickelt?
Mein langjähriger Geschäftspartner und Freund Roman und ich haben anfangs zu zweit gestartet. Mittlerweile hat entsorgo neben den vier Gründern 13 Festangestellte, beschäftigt vier Vollzeit-Entwicklerstellen sowie eine Handvoll Freelancer und Berater. Bundesweit arbeiten wir mit über 800 Partnern zusammen. Der erste Unternehmenszuwachs war Marton, unser heutiger CTO und Mitgründer. Ihn lernten wir 2017 auf der Suche nach Entwicklerunterstützung kennen. Nachdem er ein Praktikum bei uns gemacht hat, entschied er sich einige Monate später dazu von Budapest nach Berlin zu ziehen und sein IT-Studium an den Nagel zu hängen, um entsorgo mit uns aufzuziehen. Ein mutiger Schritt, der sich bezahlt gemacht hat. Seine Rolle als CTO und Mitgründer hat es uns ermöglicht, unsere Technologie schneller und kontrollierter zu entwickeln und ein Entwicklerteam aufzubauen. 2019 kam schließlich Max, ein langjähriger Freund von mir und Roman, als letzter Mitgründer und heutiger Geschäftsführer hinzu. Mit ihm brachten wir mehr Struktur ins Unternehmen und stellten unsere ersten Mitarbeiter ein. Dies ermöglichte uns, uns neben dem Tagesgeschäft noch intensiver auf die Geschäftsentwicklung zu konzentrieren. In den letzten Jahren haben wir darüber hinaus tolle Teams in den Bereichen Vertrieb, Customer Support, Marketing und Produktentwicklung aufgebaut, die wir stetig erweitern. Alle hier bei uns sind mit Herzen dabei und ich bin unendlich stolz darauf, so ein tolles Team zu haben. Dank dieser unglaublich fähigen Truppe sind wir zur größten unabhängigen und selbstfinanzierten Buchungsplattform für Entsorgungen im Bundesgebiet herangewachsen. In Zahlen heißt das: Wir haben in 2023 circa 4,5 Millionen Umsatz gemacht, was einem Wachstum von über 40 % gegenüber 2022 entspricht. Im Jahr 2024 rechnen wir mit einem Wachstum von circa 70 %. Bis heute haben wir dabei mit über 20.000 Kunden im gesamten Bundesgebiet zusammengearbeitet.

Du hast Dein Startup bisher ohne Fremd-Finanzierungen und Kapitalgeber aufgebaut. War dies von Anfang an eine bewusste Entscheidung?
entsorgo ist das dritte Unternehmen, das Roman und ich gründeten, sodass wir schon Erfahrung im Unternehmensaufbau hatten. Nachdem es bereits zuvor ohne Fremdkapital gut funktioniert hatte, beschlossen wir auch entsorgo ohne externe Kapitalgeber zu gründen. Wir entschieden uns zwar nicht aktiv gegen Fremdkapital, aber uns hat auf der einen Seite einfach die Zeit gefehlt, aktiv auf Investoren-Akquise zu gehen und zu pitchen und auf der anderen Seite haben wir es nicht wirklich als notwendig empfunden. Wir wollten einfach nur loslegen und nicht lange warten oder vorbereiten. Kapital hätte uns sicher etwas schneller gemacht, aber damit hätten wir auch auf viele Freiheiten verzichten müssen. Heute bin ich sehr glücklich darüber, dass wir den Weg ohne externe Finanzierung bei entsorgo gegangen sind. Ich würde trotzdem heutzutage, je nach Business Case, unter Umständen auch zu externem Kapital greifen.

Wie war der Start ohne fremdes Geld – was geht recht einfach, was ist als Bootstrapping-Startup recht schwierig?
Der Start ohne Fremdkapital stellte uns vor einige Herausforderungen, vor allem in finanzieller Hinsicht. Anfangs war unser Kapital begrenzt, sodass wir uns nur sehr langsam entwickeln konnten und wirklich alles selbst umsetzen mussten. Personal und externe Dienstleister waren zu Beginn nicht im Budget. So hatten wir neben den Themen, die das Geschäft voranbringen, auch noch mit der Buchhaltung zu kämpfen. Das war für uns eine große Herausforderung, denn entsorgo wuchs nach einer kurzen Anlaufzeit schnell und wir mussten uns mit riesigen Bergen an Belegen herumschlagen. Am Ende aber nur ein weiterer Grund für unsere Digitalisierungspläne. Hinzu kommt, dass wir in den ersten Jahren noch eine UG waren, womit man in der Geschäftswelt und gerade in der alteingesessenen und konservativen Entsorgungsbranche einfach nicht besonders ernst genommen wird. Das mussten wir uns dann erst erkämpfen. Wir lernten schnell, dass der Fokus auf die Zukunft und die Arbeit essenziell ist. Wenn man sich auf alle Probleme und Risiken fokussiert, wird man wahrscheinlich generell kein Gründer. Man muss immer an der Vision festhalten. Man denkt 24/7 an das Geschäft. Während der Unternehmensgründung erreicht man so gezwungenermaßen eine ungeahnte Lernkurve, die mein BWL Studium klar in den Schatten stellt. Klar ist: Jeder Gründer muss zumindest in der Anfangszeit in Sachen Freizeit und auch finanziell zurückstecken können. Zudem kommt oft eine etwas erhöhte Stressbelastung. Aber das Schöne daran ist, dass man hier ein unglaubliches Investment in die Zukunft macht. Auch wenn das Outcome zu Beginn noch sehr ungewiss ist.

Gab es denn viele Dinge, die Du einfach nicht umsetzen konntest, weil das Geld fehlte?
In den ersten vier Jahren war es eine ständige Herausforderung zu wachsen. Wir konnten nicht einfach ein Team engagieren und ein Board an Beratern zusammenstellen, um dann schnell in die Umsetzung zu gehen. Auch Marketingbudgets waren kaum vorhanden. Trotz der finanziellen Einschränkungen haben wir uns von Anfang an darauf konzentriert, ein starkes Team aufzubauen und zu erhalten. Wir haben festgestellt, dass junge, talentierte Mitarbeiter unglaublich wachsen, wenn sie gefordert und gefördert werden. Darüber hinaus bringen sie die notwendige Energie und Dynamik mit, die für entsorgo elementar ist. Andererseits haben wir auch einige sehr erfahrene Leute bei uns. Ich denke, das ist eine unschlagbare Mischung. Aufgrund unseres begrenzten Budgets haben wir zum Beispiel auch, statt teure Entwickler über Agenturen einzukaufen, ein eigenes Entwicklerteam zusammengestellt und neben entsorgo sogar noch eine Agentur für Software-Entwicklung gegründet. So hatten wir immer umfangreiche, bezahlbare Entwickler-Ressourcen zur Verfügung. Früher wie heute gehen bei entsorgo die erwirtschafteten Gewinne zurück in das Unternehmen und alles ist auf Wachstum und auf die Arbeit am Unternehmen getrimmt. Mittlerweile sind die Strukturen so aufgebaut, dass Fremdkapital natürlich eine Option ist, aber es ist immer noch nicht notwendig. Wir haben es auch ohne geschafft, ein Wachstum von 40 bis 70 % pro Jahr hinzulegen und an diesem Trend werden wir festhalten.

Was rätst Du anderen Gründer:innen, die sich für Bootstrapping entscheiden?
Für mich steht das Team an erster Stelle. Ein Unternehmen im Team aufzubauen, macht nicht nur mehr Spaß, sondern erleichtert auch das Überwinden von Herausforderungen. Jeder im Team hat eine wichtige Rolle gespielt. Roman hat sich beispielsweise um das CI und einen Teil der Geschäftsentwicklung gekümmert sowie sich auf den Vertrieb und das Tagesgeschäft konzentriert. Ich habe mich hingegen komplett in die Geschäftsentwicklung und das Marketing vertieft. Marton brachte wiederum technisches Know-how mit und Max hatte Erfahrung in der Unternehmensführung und im Aufbau eines Unternehmens. Nach solchen Synergien sollte man unbedingt Ausschau halten. Das gilt für alle Unternehmensgründer, mit und ohne Fremdfinanzierung. Darüber hinaus sollte sich jeder zu Beginn im Klaren sein, dass es eine große Herausforderung ist und vom Gründerteam immer voller Einsatz gefragt ist. Wer ein Unternehmen ohne externes Kapital aufbaut, sollte sich eher auf einen Marathon als auf einen Sprint einstellen. Deshalb denke ich, dass es für einen Gründer wichtig ist, zu Beginn in sich selbst zu investieren. Lerne so viel wie möglich. Werde Profi in allen Aufgaben, die Dir wichtig für Deine Ziele erscheinen. Dazu würde ich in erster Linie Marketing, Vertrieb und Produktentwicklung zählen. Aber das kommt natürlich auch darauf an, in welchen Bereichen man tätig ist. Man sollte zudem darauf achten, dass das Produkt oder Dienstleistungspaket schnell marktreif wird. Wenn das nicht sofort möglich ist, empfiehlt es sich, zunächst an einem kleineren Produkt zu arbeiten, das Einnahmen generieren kann und so die Entwicklung des Hauptprodukts unterstützt. Mein Tipp: Denke immer in Etappen und baue ein MVP (Minimum Viable Product) nach dem anderen auf, bleib fair und immer am Ball.

Es herrscht weiter Krisenstimmung in der deutschen Startup-Szene. Mit welchen Erwartungen blickst Du auf die kommenden Monate?
Wir hatten in 2023 ein Wachstum von 40 %, trotz Krise im Bausektor, was unsere Hauptzielgruppe ist. Aber im Vergleich zum Vorjahr, mit 70 % Wachstum, war die Krise doch durchaus zu spüren. Für das Jahr 2024 rechnen wir aber wieder mit einem Wachstum von etwa 50 % bis 70 %. Unser Fokus liegt dabei auf dem Ausbau des Geschäftskundenbereichs mit unserer neuen B2B-Lösung entsorgoPRO und vor allem der Cloud-Lösung, dem entsorgoTOOL. Der erfolgreiche Launch im November letzten Jahres markierte einen wichtigen Meilenstein in unserer Unternehmensgeschichte und wurde positiv vom Markt aufgenommen. Außerdem arbeiten wir weiter intensiv an der Optimierung unserer bestehenden Produkte und Dienstleistungen. Zudem skalieren wir weitere Vermarktungspotentiale, die wir vorher noch nicht genutzt haben. Generell hat der Januar und Februar, auch was die Zahlen angeht, einen guten Start hingelegt. Ich bin sehr gespannt, aber ich sehe den nächsten Monaten optimistisch entgegen.

Wo steht entsorgo in einem Jahr?
Nachdem wir in den letzten zwei Jahren akribisch mit einem großen Entwicklerteam an unserem neuen System gearbeitet haben, ist dieses nun live. Und damit unser neuer Geschäftsbereich entsorgoPRO, den wir unter www.entsorgo.pro anbieten. Nach jahrelanger Entwicklungszeit gehen wir dieses Jahr endlich in die Vertriebsarbeit und vermarkten genau dieses Produkt. Deshalb gehen wir davon aus, dass wir einen starken Wachstumshebel für unser Gesamtgeschäft haben werden. Was wir ebenfalls im kommenden Jahr weiter vorantreiben möchten, ist das Thema Umweltschutz. Wir als Entsorgungsunternehmen haben auch hier einen gewissen Hebel und stehen damit in der Verantwortung, unseren Beitrag zu leisten. Deshalb werden wir mehr und mehr in die Entwicklung von umweltfreundlichen Lösungen für Unternehmen gehen. Besonders im Fokus sehen wir hierfür neben der CO2-neutralen Entsorgung, die wir bereits jetzt anbieten, den Ausbau von Lösungen für die Themen Kreislaufwirtschaft, Cradle-to-Cradle und Design-for-Recycling. Ich denke, wir werden dieses Jahr große Sprünge machen. Vor allem bin ich sehr gespannt darauf, wie unsere neuen digitalen Produkte, in die wir so viel Entwicklungszeit gegeben haben, auf dem Markt ankommen werden.

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Foto (oben): entsorgo 

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.