Hat Nutriomix die Rechnung ohne die (End-)Kunden gemacht?
Ein vollständiger Investoren-Pitch beinhaltet immer auch einen Marktfolie. In “Die Höhle der Löwen” gehört der Themenbereich Markt aber bekannterweise nicht zum vorgetragenen Pitch, sondern muss im Nachgang von den Löwen erfragt werden. Im Fall von Nutriomix, gegründet von Christof Schlindwein und Aziz Cayli erhielten die ZuschauerInnen so einen ziemlich guten Einblick in eine spannende Branche. LEH (Lebensmitteleinzelhandel) in a nutshell, sozusagen.
Ein bisschen anderes vorgestellt hatten sich die beiden Gründer von Nutriomix das Ganze wohl schon, denn schließlich brachten sie zwei Expertisen zusammen, um eine ganze Industrie umzukrempeln. 25 Jahre Forschung, welche Nährstoffe und -kombinationen Zellen länger leben lassen treffen hier auf einen eigens entwickelten Algorithmus, der mit diesem Wissen ein beliebiges Rezept viel gesünder machen kann.
Das bieten sie Lebensmittelherstellern an, die damit ihre Produkte zum Wohle ihrer Kunden entscheidend verbessern sollen.
Allerdings wollten sie sich dies von den Löwen auch entsprechend bezahlen lassen: 500.000 Euro für 5 % war ihr Dealvorschlag, was einer Bewertung von satten 10 Millionen Euro entspricht. Und das ohne konkrete Umsätze.
Was im ersten Moment unglaublich hoch anmutet, ist selbst in Zeiten eher sinkender Startup-Bewertungen gar nicht so unvorstellbar, wenn es sich um ein sehr gut skalierbares Modell handelt, dass eine Branche gehörig aufmischen kann, und so sehr schnell zu recht hohen frühen Umsätzen führen könnte.
Der erste Punkt scheint dadurch, dass es sich praktisch um eine Software handelt, die jedes beliebe Gericht auf Knopfdruck verbessern kann, schon erfüllt zu sein. Später erfahren wir jedoch, dass das so ermittelte “neue” Rezept in der Regel erst noch einmal zu den Experten des Lebensmittelherstellers wandert und von ihnen bezüglich Geschmack und Zusammenstellung getestet wird. Hier kann es dann entsprechende Änderungswünsche geben, und vom Algorithmus hinzugefügte Zutaten müssen wieder entfernt und durch andere ersetzt werden. Es kann also durchaus zu mehreren Iterationen kommen und ist eigentlich logisch, dass ein solcher Hersteller sein lange am Markt erprobtes Gericht nicht ohne Weiteres ändert. Auch wenn es dann um ein Vielfaches gesünder wird. Ganz so automatisch scheint es also doch nicht zu passieren, und derartige Großkunden verlangen normalerweise auch nach einer entsprechenden Betreuung.
Wenn man sich Punkt zwei – das Disruptions- und Einnahmenpotenzial – ansieht, könnte sich die aber tatsächlich lohnen.
Denn Nutriomix gibt an, mit bereits drei Herstellern in Gesprächen zu sein und mit diesen Umsatzbeteiligungen vereinbaren zu wollen. Alle drei hätten Beteiligungen zwischen 10 und 20 % angeboten, was sofort heftige Reaktionen unter den Löwen auslöst.
Lebensmittel-Experte Tillmann Schulz wirft sofort ein, dass das z.B. der Preis einer günstigen Tiefkühl-Pizza gar nicht hergeben würde. Handelslöwe Ralf Dümmel ergänzt, dass das Argument der Gründer ja wäre, dass diese Pizza in Zukunft zum Beispiel für 2,49 Euro statt nur für 1,99 Euro verkauft werden könnte. Denn Gründer Christoph hatte zuvor den Vergleich mit glutenfreien Lebensmitteln gezogen, die wesentlich teurer als normale Lebensmittel sind.
Doch genau diese These wird von allen Löwen bezweifelt. Denn sie setzt voraus, dass eine große Menge Endverbraucher bereit ist, mehr Geld für gesündere Lebensmittel auszugeben. Natürlich klappt das schon in gewissen Bereichen, aber Nutriomix ist kein Lebensmittelhersteller in einem gewissen Segment, sondern will mit den großen Lebensmittelkonzernen zusammenarbeiten. Und dann stellt sich eben die Fragen, wie deren Kunden ticken.
Tillmann Schulz bezweifelt, das die breite Masse sich ernsthaft gesündere Lebensmittel wünscht, und hat an den Absatzzahlen der von ihm vertriebenen Produkte erkannt, dass die momentane Entwicklung eher zu günstigeren Varianten geht. Nur wenige Menschen sind nach seiner Erkenntnis bereit, Premium-Preise für Premium-Lebensmittel zu bezahlen.
Und schaut man sich den Markt und die Masse der billigen, aber völlig überzuckerten und chemisch geschmacksmanipulierten Lebensmittel an, sind seine Zweifel nicht von der Hand zu weisen.
Denn den Nutriomix-Gründern ist wohl passiert, was man bei Startups oft beobachtet: Sie haben ihre These zu schnell als Wahrheit angenommen. Dazu mag das gute erste Feedback der Lebensmittelhersteller, mit denen sie sprechen, durchaus beigetragen zu haben. Leider erfahren die ZuschauerInnen aber nichts Genaueres über diese, also zum Beispiel, wie groß sie sind oder wie weit die Gespräche fortgeschritten sind.
Vielleicht haben die Löwen hier einen Informationsvorsprung, denn sie scheinen an die 10 bis 20 % Umsatzbeteiligung, die dem Startup versprochen wurden, überhaupt nicht zu glauben. Sie halten an ihrem Marktwissen fest, und dies spricht ganz klar für einen hart umkämpften Markt, in dem die Endverbraucher vor allem nach Preis und Geschmack einkaufen, was für die Hersteller kleine Margen bedeutet und den Einsatz von billigen Rohstoffen, die aber starke Geschmacksträger sind (Zucker, Fett, Salz, Geschmacksverstärker), stark begünstigt. Auch wenn das natürlich das Gegenteil von lebensverlängernd ist.
Diese Struktur oder wichtigsten Treiber eines Marktes – zusammen mit den üblichen Margen – sind es, was sich GründerInnen in und außerhalb der Höhle unbedingt klar machen müssen. Denn nur, wenn man den aktuellen Markt wirklich versteht, kann man ihn auch gehörig aufwirbeln.
So wird Ralf Dümmel am Ende noch anmerken, dass die Hersteller oft gar keine 20% Marge haben, wenn sie an die großen Player im Markt liefern. Sie würden also selbst bei einer Preiserhöhung Gefahr laufen, kaum mehr oder sogar weniger Marge zu haben als zuvor, wenn sie sich auf die Zusammenarbeit mit einem solchen Startup einlassen – ganz zu Schweigen vom drohenden Kundenverlust bei jeder Art von Änderung an einem bestehenden Produkt.
Schließlich steigen alle Löwen aus, weil sie an die Vision der Gründer nicht glauben, auch wenn einige von ihnen bekräftigen, dass sie sich wünschen würden, dass das Konzept trotzdem Erfolg hat.
Tatsächlich ist das Fazit dieses Auftritts ein eher deprimierendes: Kunden machen nicht immer das, was gut für sie ist. Egal wie sinnvoll, gesund oder lebensverbessernd – vielleicht sogar lebensverlängernd – ein Produkt ist, ob der Kunde es wirklich kauft, hängt noch von einigen anderen Faktoren ab. Erst wenn man diese – und am Besten auch ihre Wechselwirkungen – vollends verstanden hat, kann man einen Markt so richtig aufmischen. Nicht immer das möglich.
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