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Casablanca: Von Hypes und Warnzeichen
Immer wieder gibt es in der Startup-Szene Hypes – Trendthemen, in die fast alle großen und zahlreiche kleinere Investoren investieren wollen. Die E-Scooter kann man wohl dazu zählen, genauso wie Online-Supermärkte oder jetzt künstliche Intelligenz. Manchmal sind sie berechtigt, manchmal auch nicht. Aber immer nehmen solche Hypes eine Sonderrolle im Gefüge der Szene ein, was auch zu ganz anderen Effekten führen kann. Wie in der ersten Folge der neuen “Die Höhle der Löwen”-Staffel im Fall von Casablanca.
Natürlich hatte es die erste Folge der neuesten Staffel direkt wieder einmal in sich: neben spannenden Löwen-Battels und außergewöhnlichen Gründungsgeschichten trat das KI-Startup Casablanca nicht nur mit einem absoluten Trend-Thema, sondern auch mit einem außergewöhnlichem Deal und einer sehr hohen Bewertung auf: 500.000 Euro wollten die Gründer Carsten und Markus von den Löwen haben, aber nur 5 % dafür abgeben, was einer Unternehmensbewertung von satten 10 Millionen Euro entspricht. Und das anscheinend ohne große Umsätze.
Dafür gibt es aber große Pläne: ein Unicorn will man werden, also irgendwann einmal über eine Milliarde Euro wert sein. Im übernächsten Jahr will man dann auch schon bei 15 Millionen Umsatz sein, und damit einen Gewinn von 10 Millionen vor Steuern erwirtschaften.
Und obwohl eine Gewinn-Spanne von 2/3 auch für ein Software-Startup schon außergewöhnlich ist – gerade in so frühen Phasen – scheint das alles die Löwen kaum zu stören. Eigentlich würde man erwarten, dass sie die Bewertung stark angreifen, dass ihnen die geringen Anteile gar nicht gefallen, und dass sie generell alles recht kritisch auseinandernehmen würden.
Zumindest in dem Material, was es in den Schnitt geschafft hat, war dies aber eher nicht der Fall.
Wenn wir das als repräsentativ annehmen wollen, fragen wir uns automatisch: Woran kann es liegen, wenn sich Investoren plötzlich weniger kritisch verhalten als sonst? Wenn sie plötzlich viel höhere Bewertungen zu akzeptieren scheinen, als man normalerweise von ihnen gewohnt ist?
Eine Möglichkeit, die auch hier nicht ganz von der Hand zu weisen scheint, ist, dass es sich um ein absolutes Trend-Thema der Startup-Welt handeln könnte. Ein oft als “Hype” bezeichneter Effekt, denn manchmal kommt es dann dazu, dass kein Investor mehr außen vor bleiben will, weil alle glauben, dass das “nächste große Ding” aus diesem Bereich kommt.
Was natürlich eine mutige Wette ist, denn oft sind zu diesem Zeitpunkt die richtig “großen Dinger” wie Open AI schon längst groß geworden. Und schaut man sich Gorillas & Co. an, entsteht der Eindruck, dass eine Hype auch schon häufiger gravierende Mängel im Geschäftsmodell überstrahlt hat.
Natürlich lässt sich der momentane KI-Hype schon von seiner grundsätzlichen Struktur nicht mit dem längst vergangenen Hype um die Online-Supermärkte vergleichen, schließlich geht es bei künstlicher Intelligenz um eine grundlegende Technologie mit zahlreichen Anwendungen in den unterschiedlichsten Branchen, nicht um ein einzelnes Geschäftsmodell.
Das Startup Casablanca zum Beispiel errechnet mit KI-Hilfe aus einem 2-dimensionalen Bild die 3-dimensionale Form eines menschlichen Kopfes und Gesicht, und kann so den Kopf virtuell “drehen”. So bekommt ein Video-Call-Partner den Eindruck, dass sein Gesprächspartner ihn direkt anschaut, obwohl dieser eigentlich auf seinen eigenen Bildschirm schaut. Das soll Video-Calls nicht nur angenehmer und persönlicher, sondern auch produktiver machen.
Doch ist diese Technologie in einem solch frühen Stadium 10 Millionen Euro wert?
Auf Nachfragen der Löwen kommt heraus, dass die Gründer keinen vermeintlich einfacheren Weg wie z.B. den frühen Technologieverkauf oder Lizenz-Deals mit den Platzhirschen der Video-Call-Softwares wollen. Stattdessen wollen sie ihr Unternehmen zum Unicorn machen. Wie genau das gehen soll, geht aus der fertigen TV-Fassung leider nicht hervor, aber Janna Ensthaler sieht es als heißes Spiel an.
Sie stellt auch bald eine sehr spannende Frage: Warum die Gründer nicht zu den klassischen VCs gehen? Die Antwort überrascht ein wenig, denn Gründer Carsten berichtet, dass es diesen noch zu früh ist, und dass sie zumindest zu diesem Zeitpunkt die gewünschte Bewertung (noch) nicht zu zahlen bereit sind. Das scheint ihn aber nicht davon abgehalten zu haben, damit vor die Löwen zu treten.
All das macht Janna Ensthaler schließlich so skeptisch, dass sie absagt: sie wundert sich, dass bei diesem Thema nicht schon längst jemand zugeschlagen hat.
Ist so eine Absage wirklich “nur” ein Bauchgefühl, oder steckt mehr dahinter? Man darf auch nicht vergessen, dass die Löwen viel weniger “Material” für ihre Entscheidung zur Verfügung haben als das bei Investoren normalerweise der Fall ist. Aber auch außerhalb der Höhle kann es passieren, dass ein Investor davon hört, dass viele andere Investoren einen Fall abgesagt haben, den er selbst für sehr interessant hält. Auch dann halten viele erfahrene Investoren inne, schauen doppelt genau hin und versuchen herauszufinden, ob sie etwas übersehen haben.
Besonders bei Hype-Themen, bei denen man Investoren nachsagt, eher weniger pingelig zu prüfen, sind sich häufende Absagen schon ein Indiz, dass irgendetwas doch nicht ganz so toll sein könnte, wie die Gründer es darstellen.
Carsten Maschmeyer scheint das anders zu sehen, denn er steigt in die Verhandlung ein und akzeptiert eine Bewertung, die doch viele ZuschauerInnen verwundert haben mag: 500.000 Euro für 7,5 % lautet der finale Deal, wenn auch mit der Option, dass der Löwe weitere 2,5 % erhält, wenn er noch zu definierende Meilensteine erfüllt. Er soll sich also – zusätzlich zu der sehr hohen Bewertung – erst noch beweisen, um die von ihm angepeilte Bewertung von 5 Millionen Euro zu realisieren.
Normalerweise ist es in solch frühen Phasen umgekehrt, erst recht, wenn die Bewertung hoch angesetzt wird: die Investoren zahlen die Summe in Tranchen aus, und für jede Tranche nach der Initialen muss das Startup für die Auszahlung bestimmte Meilensteine erfüllen. So wird sichergestellt, dass ambitionierte Pläne wie 15 Millionen Euro Umsatz im zweiten Jahr nicht reine Luftschlösser sind und der Investor an völlig traumtänzerische Gründer viel Geld verliert, nur, weil sie sich gut verkaufen. Oder eben in einem Hype-Bereich tätig sind, der die Bewertungen hochschaukelt. Genau in diesen Tranchen- und Meilensteinvereinbarungen liegt übrigens einer der größten Nachteile von hohen Bewertungen für die Startups selbst. Denn je höher die Bewertung, je ambitionierter und strenger normalerweise auch die Meilensteine.
Ob der Vertrag das schließlich auch beinhaltet hätte, können wir nicht sagen, allerdings ist das Investment auch gar nicht erst zu Stande gekommen, weil im Due Diligence-Prozess wohl festgestellt wurde, dass die Bewertung tatsächlich viel zu hoch angesetzt worden war.
Da hatte Janna Ensthaler wohl das richtige Gefühl und ein weiterer Investor scheint etwas entdeckt zu haben, was ihn vom Investment in das eigentlich so angesagte Thema abhält. Leider werden wir wohl nie erfahren, was das in diesem konkreten Fall ist, aber dass es existiert, wird wohl mit jedem absagenden Investor wahrscheinlicher.
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