#Interview
“In unserem Eifer, schnell zu wachsen, sind wir zu junior gewachsen”
Unser Themenschwerpunkt Ostwestfalen-Lippe (OWL) wird präsentiert von der Founders Foundation. Die Founders Foundation ist Dreh und Angelpunkt des Startup-Ökosystems in der Wirtschaftsregion OWL und damit Anlaufstelle für Nachwuchs-Unternehmer:innen und technologie-interessierte Talente sowie Inhaber und Entschieder:innen aus Mittelstand und Weltmarktführern.
Das Paderborner Startup acto, 2021 von Pascal Salmen und Andre Stollhans als insightsOn gegründet, möchte B2B-Teams mit Daten versorgen. Das Motto dabei lautet: “Die neue Art, wie B2B-Unternehmen Daten nutzen.” “Weg von Excel und Reports, hin zu KI-basierten Hinweisen, wo eure Aufmerksamkeit gebraucht wird: Wir denken neu, wie B2B-Unternehmen Daten nutzen”, teilt das Team zum Konzept mit. Derzeit wirken 12 Mitarbeitende für das junge Unternehmen.
468 Capital, Cusp Capital, another.vc sowie Business Angels wie Benedikt Franke und Niklas Hellemann sowie Altinvestor adesso ventures investierten zuletzt 3,7 Millionen Euro in acto. Das frische Kapital soll unter anderem in “die Weiterentwicklung der KI-Technologie genutzt werden”. Ein “befreundeter Gründer, in den einer der Investoren bereits investiert hatte”, stellte dabei den Kontakt zu den späteren acto-Investoren her.
Im Interview mit deutsche-startups.de spricht acto-Gründer Salmen außerdem über Anfängerfehler, Marktreife und Kundenwachstum.
Wie würdest Du Deiner Großmutter acto erklären?
Liebe Oma, stell dir vor, du hast einen riesigen Garten mit unzähligen Blumen, Gemüsesorten und Obstbäumen, um die du dich alle kümmern musst. Aber auch dein Tag hat nur 24 Stunden. Jeden Tag musst du neu entscheiden, um welche Pflanzen du dich kümmern musst, um die beste Ernte zu erzielen. Aber es gibt so viele, dass du schnell den Überblick verlieren könntest. acto ist wie ein kluger Gartenhelfer – er gibt dir jeden Tag Hinweise, welche Pflanzen wann deine Aufmerksamkeit brauchen, damit dein Garten blüht und gedeiht. Für Unternehmen mit vielen Kunden hilft acto zu erkennen, welche Kunden besondere Aufmerksamkeit benötigen, um die besten Verkäufe zu erzielen. Es nimmt die Informationsmenge, die das Unternehmen hat, und findet die wichtigsten Hinweise, damit die Mitarbeiter wissen, worauf sie sich konzentrieren sollen. In der Umsetzung automatisiert acto repetitive Prozesse – wie deinen Mähroboter – , um Zeit zu sparen und Effizienz zu steigern, sodass sich das Team auf die wichtigen Aufgaben konzentrieren kann.
War dies von Anfang an euer Konzept?
Gestartet sind wir mit acto als insightsON mit dem Ziel, eine Beratungsfirma aufzubauen, um Unternehmen zu helfen, Vertriebsdaten besser zu nutzen. Schnell erkannten wir, dass Softwarelösungen die Unternehmensprobleme effektiver adressieren können, woraufhin wir 2022 zu einem Produktgeschäft mit acto als SaaS-Unternehmen wechselten. Aufgrund von 18 Monaten Kundenfeedback entwickelten wir unseren Ansatz weiter zu einem “zweiten Gehirn” für den Vertrieb, das nicht nur für effektivere Planungen sorgt, sondern auch repetitive Aufgaben automatisiert. Zudem sehen wir, dass auch Operations- und Procurement-Teams erheblich von unserer Datenstrukturierung profitieren können. Die Interaktion des Mittelstands mit Daten zu revolutionieren ist unser Ziel.
Was war die größte Herausforderung, was die größte Schwierigkeit bei diesem Wandel?
Die größte Herausforderung war, eine Ausrichtung zu erzielen, die es uns ermöglichte, vom Projektgeschäft weg zu kommen und uns vollständig auf die Produktentwicklung zu konzentrieren. So konnten wir von der Entwicklung individueller Softwarelösungen zu einem Standardprodukt übergehen.
Wie schwierig ist es denn als Startup bei mittelständischen Unternehmen, also Eurer Zielgruppe, einen Fuß in die Tür zu bekommen?
Der Zugang zu mittelständischen Unternehmen, unserer Hauptzielgruppe, ist einfacher als vermutet, vor allem durch die wachsende Relevanz von Decision Intelligence im Vertrieb. Der Bedarf entsteht durch Datenchaos und den Druck auf Produktivitätssteigerung. Wir bieten Lösungen zur Verbesserung der Vertriebsproduktivität und zum Umgang mit diesem Chaos. Unsere Erfahrung mit Mittelstandsunternehmen und die Kenntnis ihrer Bedürfnisse, besonders in Logistik und Großhandel, hilft uns dabei. Die Herausforderung liegt darin, ernst genommen zu werden und eine gemeinsame Sprache zu finden, fernab des Startup-Jargons. Ein wesentlicher Teil unserer Arbeit ist die Education des Marktes hinsichtlich Problem und Lösungswegen, sowie die Unterstützung potenzieller Kunden durch Content. Unser Ziel ist es, führend in Decision Intelligence im B2B-Vertrieb zu werden, indem wir uns durch tiefes Branchenverständnis und maßgeschneiderte Lösungen als starken Partner für den Mittelstand positionieren.
Zuletzt konntet ihr Millionen einsammeln. Wie seid ihr mit euren Investor:innen in Kontakt gekommen?
Ein befreundeter Gründer, in den einer der Investoren bereits investiert hatte, hat den Kontakt hergestellt und so ist man ins Gespräch gekommen. Im Anschluss konnten wir Momentum um uns und das Thema erzeugen, denn die VC-Branche ist nicht so groß, wie man annimmt. Entschieden haben wir uns dann für 468 Capital und Cusp Capital, die aus unserer Sicht die perfekten Partner für die gemeinsame Reise sind.
Wie hat sich acto seit der Gründung entwickelt?
Von einem kleinen Beratungsprojekt mit Rhenus Logistics und einem Kernteam von zwei bis drei Personen hat sich acto seit der Gründung 2021 zu einem SaaS-Startup mit 12 Mitarbeitenden entwickelt – getrieben durch ein starkes Kundenwachstum im Mittelstand und die dazugehörige Nachfrage unserer Lösungen. In Bezug auf unsere Software können wir eine signifikante Nutzung im Tool verzeichnen, mit Hunderttausenden von Kundensignalen, die bereits von Vertriebsteams genutzt wurden. Die Skalierbarkeit, Effektivität und der positive Einfluss auf Vertriebsprozesse bestätigen dies. Unser Wachstum zeigt die Marktresonanz und unsere Lösungskompetenz für B2B-Vertriebsteams.
Blicke bitte einmal zurück: Was ist seit der Gründung so richtig schief gegangen?
Wir sind in die typischen Fallen für Startups getappt, die man als klassische Anfängerfehler bezeichnen könnte. Dazu gehörte vor allem, dass wir uns von den vielen Möglichkeiten und Chancen, die sich uns boten, zu sehr mitreißen ließen. Anstatt eine klare Strategie zu verfolgen, haben wir uns hier und da zu opportunistisch verhalten. Mangelnde Fokussierung hat es erschwert, zielgerichtet zu arbeiten. In unserem Eifer, schnell zu wachsen, sind wir zu junior gewachsen – so mussten wir feststellen, dass wir diese Unterstützung in der Frühphase gar nicht richtig einsetzen konnten, da wir uns noch entscheiden mussten, in welche Richtung sich unser Unternehmen entwickeln sollte.
Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Von Beginn an legten wir großen Wert darauf, unsere Kunden und deren Probleme genau zu verstehen, bevor es mit der Produktentwicklung losging. Unser ursprünglicher Beratungsansatz und ein Design-Partnerschaftsprogramm mit ersten Unternehmen, die unserem Idealkundenprofil entsprachen, ermöglichten es uns, eng mit Zielkunden zusammenzuarbeiten und acto bedarfsgerecht zu entwickeln.
Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Validieren, validieren, validieren: Wir sehen häufig Gründer, die zu früh glauben, dass sie den Markt verstanden haben und ihr Produkt perfekte Marktreife hat. Darauf wird skaliert und eine große Organisation aufgebaut, im Anschluss merkt man, dass das Produkt doch nicht zu 100 % angenommen wird. Aus unserer Sicht ist es ganz entscheidend, viel Zeit mit Kunden zu verbringen, ehrliches Feedback zu erfragen und sich nicht zu früh zu sicher zu sein. Wenn man Product-Market-Fit hat, spürt man es und dann ist der richtige Zeitpunkt, Gas zu geben.
Wo steht acto in einem Jahr?
In einem Jahr helfen wir mehr als 50 Kunden, eines ihrer drängendsten Probleme im Vertrieb zu lösen: Mit welchen Aktivitäten verbringe ich meine Zeit? Uns treibt es an, genau das Problem zu lösen.
Reden wir über Ostwestfalen-Lippe. Wenn es um Startups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was macht den Reiz der Startup-Szene in OWL bzw., Paderborn aus?
Der Zugang zum Mittelstand ist für uns ganz entscheidend und der sitzt nicht in Berlin oder München, sondern in Paderborn, Holzwickede oder der Schwäbischen Alb. Außerdem gibt OWL jungen Unternehmen die Möglichkeit sich zu fokussieren: Die Ablenkungen sind deutlich kleiner und häufig liegt der Fokus eher darauf, ein Problem zu lösen und nicht die nächste große Finanzierungsrunde auf Basis einer Vision zu raisen oder auf dem nächsten Event unterwegs zu sein (Spoiler: So viele gibt’s nämlich nicht).
Was ist in OWL oder Paderborn einfacher als in Berlin – und umgekehrt?
Einfacher ist’s in OWL auf jeden Fall Mitarbeiter mit realistischen Gehaltsvorstellungen zu finden. In Berlin ist der Markt an Leuten mit Startup-Erfahrung und dem richtigen Skillset aber deutlich größer. Deshalb werden wir zukünftig neben Paderborn auch noch Büros in Berlin und München eröffnen, um beide Welten zu verbinden.
Zum Schluss hast Du drei Wünsche frei: Was wünscht Du Dir für den Startup-Standort OWL und Paderborn?
Stärkere und einfachere Vernetzung zwischen Startups und dem Mittelstand. Noch mehr Offenheit aus den Traditionsunternehmen – viele erzählen immer, wie offen sie gegenüber Neuem und Startups sind, aber wenn man ins Gespräch kommen möchte, herrscht teilweise ostwestfälische Verschlossenheit. Wir sind sehr happy in OWL und viele Institutionen – zum Beispiel Founders Foundation und garage33 machen schon einen guten Job – deshalb belassen wir es mal bei zwei Wünschen.
Startup Hotspot deutsches Hinterland
In unserem Themenschwerpunkt Ostwestfalen-Lippe (OWL) werfen wir einen Blick auf das wachsende Startup-Ökosystem der traditionsreichen Wirtschaftsregion, die Heimat bekannter Marken und Unternehmen wie Dr. Oetker, Miele, Melitta, Bertelsmann, Schüco oder Goldbeck und zahlreicher Hidden Champions, wie beispielsweise Phoenix Contact oder WAGO in der Elektro-Branche, ist. Die Zahl der Nachwuchs-Unternehmer:innen in der Region wächst. Wie sind die Rahmenbedingungen für Gründer:innen, welche Investititonen passieren und welche Startups machen von sich reden? Mehr als 180 Startups zählt die Region mittlerweile, davon viele in den Bereichen Industrie- und Klima-Technologie, Automation aber auch Bildung. Die Nähe zwischen Mittelstand und Startups, das persönliche Netzwerk, Coworking-Spaces und Initiativen machen die Region zu einem spannenden Umfeld für Talente und Startups. Diese Rubrik wird unterstützt von der Founders Foundation #EmpoweringEntrepreneurs auf LinkedIn, Instagram und TikTok.