“Wenn du keine Vision hast, bist du austauschbar”
Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Dieses Mal antwortet Christine Waldmann, Gründerin von growth360, einer Online-Performance-Agentur aus München.
Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Ich versuche immer, mir am Vorabend einen Plan für den nächsten Tag zurecht zu legen, damit ich mit viel Klarheit in den neuen Tag starten kann. Dabei hilft mir vor allem die Frage: Was kann ich morgen tun, um den größtmöglichen Impact zu generieren? Hierfür schaue ich mir meine gesamte Liste an to dos an. Auf die Liste für den nächsten Tag kommen nur dringende Tasks oder Impact-Themen, wie zum Beispiel größere strategische Baustellen. Ich versuche realistisch zu planen, je nachdem wieviel meiner Zeit bereits in Termine gebunden ist. Morgens blocke ich mir dann konsequent die ersten ein bis zwei Stunden für den strategischen Themenblock. In dieser Zeit versuche ich nicht meine Mails zu bearbeiten und vermeide Ablenkungen wie Slack & co. Danach erst kommen alle anderen to dos verstreut über den Tag. Grundsätzlich: Durch das Mutter-Sein muss ich mich oft anders arrangieren, als es ohne Kind der Fall wäre. Das mache ich für meine Tochter natürlich sehr gerne, weil mir ihr Wohlergehen am Herzen liegt. Aber es erfordert sehr viel Arbeit an mir selbst. Das Schöne ist: Ich sehe, dass es auch anders funktionieren kann. Die Startup-Welt lebt vom “Hustle”. Und ja, ich arbeite sehr gerne und auch viel – abends, am Wochenende, im Urlaub. Ich liebe meinen Job. Aber man kann auch ohne permanente 60-80h Wochen ein erfolgreiches Unternehmen aufbauen. Eine “Morgenroutine” mit Sport oder Meditation habe ich nicht. Vor der Arbeit kümmere ich mich um meine Tochter und begleite sie zur Schule. Für mich ist das Teil der knappen Quality Time mit ihr.
Wie schaltest Du nach der Arbeit ab?
Ganz ehrlich: Ich versuche, pünktlich Feierabend zu machen, damit ich das Abendessen mit meinem Mann und meiner Tochter machen kann. Das ist die Zeit, wo wir den anderen von den Erlebnissen des Tages erzählen. Mit dem Zu-Bett-Bringen der Tochter wechseln wir uns ab. Manchmal klappe ich abends nochmal den Laptop auf und bringe Dinge zu Ende. Aber durch das Familienleben ist es tatsächlich so, dass ich versuche, alles in der Zeit von 8 bis 18 Uhr unterzubringen. Das bedeutet, dass ich sehr fokussiert und effizient mit meiner Zeit umgehen muss. Diese Art zu arbeiten ist sehr anstrengend, aber führt auch dazu, dass Feierabend auch wirklich Feierabend ist und meist eingehalten wird. Mir hat es enorm geholfen, mich von meinen Idealen zu lösen. Die dringenden Themen sind bis abends erledigt und alles andere muss schlichtweg warten. Für mich ist es also kein “Ritual” zum Runterkommen, sondern eine Veränderung meines eigenen Mindsets, durch das ich meistens entspannt in den Abend starten kann.
Was über das Gründer:innen-Dasein hättest Du gerne vor der Gründung gewusst?
Ich bin als kompletter Fach-Nerd in das Unternehmertum gestartet. Ich liebe und lebe das Performance Marketing – das ist meine Leidenschaft und ich habe hier einen sehr hohen Anspruch an mich und meine / unsere Arbeit als Agentur. Das führt natürlich auch zu unserem Erfolg. Aber die eigentlichen Herausforderungen des Unternehmertums sind mir erst zwei Jahre nach Gründung bewusst geworden. Desto größer die Firma wird, desto weniger kann und darf ich “nur” der Fach-Nerd sein. Ich muss vielmehr am Unternehmen arbeiten und nicht im Unternehmen. Hierzu hätte ich mir mehr Wissen vorab gewünscht, was das eigentlich bedeutet und wie das funktioniert. Das hätte mir meinen Weg deutlich erleichtert, denn ich muss mir nun alles selbst oder mit externer Hilfe aneignen. Andererseits sehe ich es als unsere große Stärke: Eine Agentur geboren aus der Liebe zum Fach und nicht aus rein wirtschaftlichen Motiven. Das sitzt tief in unserer DNA und die Kunden erleben das an unserer täglichen Arbeit und unserem Engagement.
Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Eine Zeit hatte ich Personen in Rollen, für die sie nicht geeignet waren. Hier habe ich zu lange versucht, dass es funktioniert. Ich dachte, ich tue diesen Menschen etwas Gutes. Das war ganz klar ein Fehler. Dieses “zu lange verharren” in einer suboptimalen Besetzung der Rollen im Unternehmen hat uns sehr viel Zeit und wahrscheinlich auch Umsatz gekostet. Jetzt weiß ich: In jedem Hiring Prozess prüfe ich den Match mit unseren Core Values. Fachliche Kompetenzen kann man entwickeln, Core Values sind schwer zu vermitteln, wenn sie nicht bereits mit dem Charakter der Menschen kompatibel sind. Klarheit in der Mitarbeiterführung: Mitarbeitende wollen wissen, was von ihnen erwartet wird. Druck entsteht vor allem dann, wenn Mitarbeitende denken, sie laufen in die richtige Richtung und kommen aber nie am Ziel an. Wenn ich keinen “perfect fit” für eine offene Stelle finde, bleibt sie unbesetzt so lange, bis der perfect fit da ist. Notfalls muss ich dann neue Kundenaufträge ablehnen, oder die Wartezeiten verlängern sich. Das mag einen Verlust an Umsatz bedeuten, aber am Ende kostet ein Mitarbeiter, der menschlich oder fachlich nicht 100 % matched dem Unternehmen deutlich mehr.
Wie findet man die passenden Mitarbeiter:innen für sein Startup?
In meinen Augen braucht es einen oder mehrere USPs – genauso wie du ihn für deine Kunden haben solltest, brauchst du das auch für gute Mitarbeitende. Gerade als Startup profitierst du nicht von einer bekannten Brand, sondern musst zeigen, wer du bist und für was du stehst. Und ich meine damit nicht die “moderne Arbeitsausstattung”, das “gute Klima” oder “flexible Arbeitszeiten”. Ich denke, es ist vielmehr eine Vision, die Menschen begeistert. Wenn du keine Vision hast oder es nicht schaffst, diese zu vermitteln, bist du austauschbar.
Welchen Tipp hast Du für andere Gründer:innen?
Better done than perfect: Wir haben unsere Core-Values und unsere Vision bereits ab Tag Eins gelebt, aber trotzdem habe ich mich gescheut, sie wirklich auf Papier zu bringen. Alles aus dem Gedanken heraus, dass es noch nicht perfekt genug ist. Aber unsere Umwelt & der Markt ist hoch volatil. Es gibt kein “perfekt”. Bringt eure Vision und eure Gedanken zu Papier, arbeitet damit und entwickelt sie weiter. Das wird euch und dem Team viel mehr Klarheit auf dem Weg geben.
Ohne welches externe Tool würde Dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Asana für das Projektmanagement!
Wie sorgt Ihr bei Eurem Team für gute Stimmung?
Durch echte Wertschätzung, individuelle Führung und ein authentisches Interesse an den Menschen.
Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Ich habe 2015/2016 mit Ex-Rocket Gründern versucht, ein Automotive-Startup auf die Beine zu stellen. Es war eine wunderbare und sehr intensive Zeit, die ich nicht missen möchte. Von der Gründung, nach der wir mit dem Core Team zu fünft in einem Wohnzimmer saßen, bis 12 Mitarbeitende immer noch im selben Wohnzimmer, Umzug in ein richtiges Büro bis hin zur Insolvenz. Den damaligen Gründern bin ich bis heute dankbar, dass ich so viel lernen durfte – ohne diese Station hätte ich vielleicht nie gegründet.
Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag aus? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.