“Ich habe nicht das Bedürfnis nach der Arbeit abzuschalten”
Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Dieses Mal antwortet Richard Birich von Jucr. Das Berliner Startup bietet Soft- und Hardware für das Laden von E-Autos.
Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Als Co-Founder und CEO in einem Startup ist man in der Regel in viele Bereiche involviert, damit man sich ein umfassendes Bild über die Lage und Entwicklung des Unternehmens machen kann. Der Arbeitstag beginnt in der Regel mit dem Überprüfen aller Slack-Nachrichten und E-Mails. Anschließend erledige ich die Aufgaben mit der höchsten Priorität, bevor sich das Büro füllt. Danach verläuft der Tagesablauf oft nicht mehr nach dem ursprünglichen Plan.
Wie schaltest Du nach der Arbeit ab?
Es mag vielleicht wie eine Floskel klingen, aber ich habe nicht das Bedürfnis nach der Arbeit abzuschalten. Es gibt für mich kein klassisches Arbeitsende. Der Antrieb, unser Startup zu gründen, war meine Begeisterung für die Idee und meine volle Leidenschaft dafür. Diese Tätigkeit erfüllt mich voll und ganz, sodass die Grenzen zwischen dem Beruflichen und dem Privaten fließend sind. Beides vermengt sich, da ich die Interessen unseres Startups stets vertrete – sei es im Freundeskreis, auf privaten Veranstaltungen oder anderswo. Ich verspüre keinen Drang, vollständig von der “Arbeit” abzuschalten, da sie mich nicht belastet. Stattdessen geht es mir mehr um das Setzen von Prioritäten. Zum Beispiel ist mein morgendlicher Besuch im Fitnessstudio ein fester Bestandteil meiner Routine. Während dieser Zeit konzentriere ich mich voll auf den Sport und nutze die Gelegenheit, über verschiedene Dinge nachzudenken.
Was über das Gründer:innen-Dasein hättest Du gerne vor der Gründung gewusst?
Meiner Meinung nach gibt es zwei wesentliche Dinge, die ich gerne vor der Gründung gewusst hätte: Wie man die knappe Ressource Zeit klug einsetzt und wie man effektiv Fundraising betreibt. Besonders in den ersten zwei Jahren nach der Gründung ist die Arbeitsbelastung extrem hoch. Anfangs fehlt oft das Gespür dafür, was wirklich wichtig ist und was nicht – was tatsächlichen Wert schafft. Dies ist eine Erkenntnis, die man erst mit der Zeit gewinnt. Beim Thema Fundraising ist offensichtlich, dass es stark von aktuellen Markttrends beeinflusst wird. Es scheint manchmal fast irrelevant zu sein, was man vorweisen kann, wenn man in einem gehypten Bereich tätig ist. Allerdings ist dies eher ein glücklicher Zufall und entspricht nicht der Norm. Ein gutes Skillset und der frühzeitige Aufbau eines Netzwerks können enorm hilfreich sein und viel Zeit sparen. Das wiederum ermöglicht es, das Startup schneller voranzutreiben, da man die Ressource Zeit effizienter nutzen kann.
Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstest?
Ich würde definitiv sagen, dass die Überwindung von Ängsten ein entscheidender Aspekt ist. Dazu zählen die Angst vor dem Scheitern, die Befürchtung, Dinge nicht im Voraus zu wissen, finanzielle Ängste sowie die Sorge, den Aufgaben nicht gewachsen zu sein. All diese Ängste vereinen sich zu einer großen Herausforderung, und haben mir die Chance gegeben, mich persönlich extrem weiterzuentwickeln. Eine Entwicklung, die in der Uni nicht erlernt werden kann.
Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Meiner Meinung nach gibt es keine Fehler, sondern nur falsche Entscheidungen, weil die zugrunde gelegten Annahmen nicht gepasst haben. Jede falsche Entscheidung basiert auf Annahmen, die sich letztendlich als falsch herausstellt, haben. Um ehrlich zu sein, gab es viele solcher Entscheidungen bei mir. Ich könnte nicht einmal eine spezifische Entscheidung hervorheben, die den gravierendsten negativen Effekt hatte. Wichtig ist, wie man darauf reagiert und entsprechend Gegenmaßnahmen ergreift. Ich sage immer, lieber eine falsche Entscheidung treffen, als unentschlossen sein.
Wie findet man die passenden Mitarbeiter:innen für sein Startup?
Neben dem Fundraising stellt das Finden von passenden Mitarbeiter eine der größten Herausforderungen dar, insbesondere weil man zu Beginn oft am wenigsten Erfahrung in diesem Bereich hat. In unserem Fall hat die Konstellation unseres Gründerteams bereits eine gute Grundlage geschaffen, da wir alle wichtigen Bereiche mit unserem Hard-Skill-Set abdecken konnten, was die Bewertung der fachlichen Fähigkeiten erleichterte. Allerdings ist es bekannt, dass Fachwissen allein nicht ausreicht, wenn die Motivation und das Mindset des Bewerbers nicht passen. Oftmals muss man versuchen, zwischen den Zeilen zu lesen. Es kommt auch vor, dass man erst im Nachgang feststellt, dass es nicht passt, dann ist es wichtig schnell und konsequent zu reagieren. Angesichts eines nahezu leergefegten Arbeitsmarktes ist es zudem entscheidend, das Startup überzeugend präsentieren zu können, um die richtigen Mitarbeiter für sich gewinnen zu können.
Welchen Tipp hast Du für andere Gründer:innen?
Mut zu Fehlern, Flexibilität und Ausdauer sind entscheidend. Das Vermeiden von Fehlern kann die Entscheidungsgeschwindigkeit und damit die Lernkurve hemmen, die für ein Startup von zentraler Bedeutung ist. Genau diese Lernkurve bestimmt letztendlich die Geschwindigkeit der Unternehmensentwicklung. Daher ist es unerlässlich, unglaublich flexibel zu sein, um beispielsweise Produkt und Geschäftsmodell schnell anpassen zu können. Dies erfordert ebenfalls Mut, insbesondere wenn es bedeutet, von der ursprünglichen Idee abzuweichen. Der Erfolg eines Startups zeigt sich über einen längeren Zeitraum. Exponentielles Wachstum ist anfangs oft sehr flach, weshalb Ausdauer gefragt ist und die Bereitschaft, einen langen Weg zu gehen, bis das Produkt sein volles Potenzial entfaltet.
Ohne welches externes Tool würde Dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Ein unverzichtbares Tool ist ganz klar Excel, insbesondere wegen seiner Bedeutung für betriebswirtschaftliche Aspekte wie Kalkulation, Businessplanung und Cashflowrechnung. Besonders die Cashflowplanung ist für ein Startup von größter Wichtigkeit. Wer seinen Cashflow nicht kennt und im Griff hat, kann sehr schnell in finanzielle Schwierigkeiten geraten. Excel ist für solche Aufgaben wie geschaffen. Es ist nicht nur äußerst kostengünstig, sondern auch unglaublich flexibel, um verschiedene Szenarien zu modellieren.
Wie sorgt Ihr bei Eurem Team für gute Stimmung?
Das Einstellen von Mitarbeitern, die sowohl zur Unternehmenskultur als auch ins Team passen, ist entscheidend, ebenso wie das Feiern von Erfolgen. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist die Förderung von Transparenz und offener Kommunikation innerhalb des Unternehmens. Jeder im Team schätzt es, die Entwicklung des Unternehmens nicht nur zu beobachten, sondern auch aktiv daran teilzuhaben. Ein transparenter Umgang mit Informationen und eine offene Kommunikationskultur tragen wesentlich dazu bei, dass Fortschritte greifbar und motivierend sind. Um diese Werte zu stärken, veranstalten wir einmal im Monat unser All-Hands-Meeting. Hier wird der Fortschritt jedes Departments präsentiert, wobei die Bedeutung der kollektiven Anstrengung und die gute Unternehmenskultur hervorgehoben werden. Beispielsweise im Vertrieb: Ein Vertriebsmitarbeiter mag zwar den Deal abgeschlossen haben, aber das Team ist sich bewusst, dass dieser Erfolg ohne ein starkes Produkt und eine unterstützende Unternehmenskultur nicht möglich gewesen wäre. Diese Leistung wird im gesamten Team gewürdigt, wodurch die Bedeutung von Teamarbeit, Transparenz und einer gesunden Unternehmenskultur unterstrichen wird.
Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag aus? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.