Das Tal scheint durchschritten
2023 war das Jahr der Brückenfinanzierungen. Das Volumen der VC-Investitionen ist in Europa stark gesunken. In den ersten drei Quartalen 2023 wurde in Deutschland laut Pitchbook etwa 50 % weniger investiert als im gleichen Zeitraum in 2022. Die VC-Branche hat sich abermals vor allem auf Stabilität im eigenen Portfolio konzentriert und war von Zurückhaltung bei Neuinvestitionen geprägt. Entsprechend war Fundraising für viele Deep Tech Unternehmen dieses Jahr wieder eine Herausforderung.
Bis auf wenige Ausnahmen wie etwa die Megarunden von Aleph Alpha (>500 Mio. USD), Helsing (209 Mio. EUR), Isar Aerospace (155 Mio. EUR), Enpal (125 Mio. EUR) oder Fernride (50 Mio. EUR) sind auch bei den deutschen Deep Tech-Startups die Tickets und Bewertungen nicht mehr so sportlich wir vor zwei Jahren. Viele Unternehmen mussten erstmals in ihrer Historie Downrounds hinnehmen und lernen, mit knapperen Ressourcen sparsam zu haushalten.
Die Innovationsgeschwindigkeit wurde dadurch jedoch bis jetzt noch nicht spürbar gebremst. Die Formel „Mehr Finanzierungen = mehr Output“ bewahrheitete sich dieses Jahr nicht zwingend. Stattdessen zeigten sich viele Teams resilient, erfinderisch und geduldig. Michael Kaschke, Präsident des Stifterverbandes und oberster Hüter der deutschen Spitzenforschung, erklärte kürzlich sehr eindrücklich, dass fehlendes Geld bei innovativen Sprungtechnologien oft nicht der Grund für ausbleibende Ergebnisse ist. Auch wenn dies bei Deep Tech zum Teil zutrifft und dieses Jahr viele bahnbrechende Fortschritte zu verzeichnen waren, so ist die Finanzierungslücke – vor allem im Vergleich zu den USA – ein unbestreitbarer Fakt und ein Handicap im globalen Innovationswettlauf.
Glücklicherweise scheint zum Ende des ablaufenden Jahres auch das Interesse der VCs für Deep Tech wieder zu steigen. Ein Grund mag die Einsicht in die Notwendigkeit von grundlegenden, disruptiven Innovationen für die großen Herausforderungen unserer Zeit sein. Die Energie- und Mobilitätwende, der Umweltschutz, die globale Ressourcenverteilung, die Erschließung des Weltraums, die Transformation der Industrie oder auch die Zukunft der Medizin sind Handlungsfelder, in denen mehr als nur reine Geschäftsmodellinnovationen oder schnell programmierte Apps benötigt werden. Sie erfordern fundamentalere Ansätze und verändern sich nicht kurzfristig durch ein höheres Zinsniveau, eine flaue Konjunktur und andere derzeit wenig favorable Rahmenbedingungen.
Am deutlichsten zeigt sich die steigende Technologiebegeisterung der Szene an dem Boom von KI. Bereits im August vermeldete eine Studie von appliedAI, dass die Zahl der in Deutschland gelisteten KI-Startups um 67 % über dem Vorjahr lag. Insgesamt zählte die Studie Mitte 2023 über 500 KI-Startups in Deutschland. Diese Gründungwelle wird weiter anhalten. Fortschritte in KI werden damit vor allem auch als Enabler anderen Deep Tech Startups zugutekommen und deren Entwicklung beschleunigen.
5 Gründe für einen vorsichtigen Optimismus
Ob sich aus diesen positiven Zeichen 2024 ein echter Trend entwickelt und die Branche die Krise hinter sich lassen wir, steht noch nicht fest. Aber es gibt eine ganze Reihe von Gründen, die einen optimistischen Blick in die Zukunft rechtfertigen.
Gesundes Ökosystem: Deep Tech fußt hierzulande auf einem starken akademischen Fundament. Technische Universitäten wie die TU München und die RWTH Aachen sorgen mit ihren exzellent ausgebildeten MINT-Absolventen für einen steten Strom an talentierten Gründerteams. Insbesondere die TU München mit ihrem Gründerzentrum „UnternehmerTUM“ setzt Maßstäbe in Deutschland und darüber hinaus, wie eine Zusammenführung technischer und betriebswirtschaftlicher Kompetenzen zu erfolgreichen Deep Tech Startups beiträgt. In Heilbronn wird mit einem ähnlichen Ansatz unter dem Schirm der Schwarz-Gruppe experimentiert.
Ungebrochenes Unternehmertum: Die Szene wird im kommenden Jahr von den vielen Neugründung in der jüngeren Vergangenheit profitieren. Allein 2022 (für 2023 liegen noch keine Zahlen vor) wurden 275 neue Deep Tech Startups gezählt, das waren 33 % mehr als noch ein Jahr davor. Für 2020 lautete die Zahl an Neugründungen lediglich 107. Die Deep Tech Gründerszene ist in Deutschland vielfältig und lebendig.
Zunehmende Professionalisierung: VCs sichten jährlich hunderte, teils sogar tausende Pitches. Im Gegensatz zu anderen Startup-Segmenten wie B2B SaaS haben sich Deep Tech Teams in der Vergangenheit immer schwergetan, ihre Konzepte einfach und überzeugend zu verkaufen. Die Präsentationen wirkten oft wie reine Wissenschaftsprojekte; kommerzielle Aspekte mit realistischen Annahmen wurden stark vernachlässigt. Dies hat sich in den letzten Jahren deutlich geändert. Die Qualität der Pitches steigt. Es wird für die Teams damit leichter, VCs und andere Investoren zu überzeugen.
Mehr öffentliche Mittel: Für junge, technologielastige Unternehmen wurden in letzter Zeit zunehmend Möglichkeiten geschaffen, mit öffentlichen Mitteln gefördert zu werden. Der Launch des mit einer Milliarde Euro dotierten Deep Tech & Climate Fonds durch die Bundesregierung war dabei ein starkes Signal an die Branche. Auch auf EU-Ebene beispielsweise durch Programme des Europäischen Investitionsrats (EIC) und der Europäischen Investitionsbank (EIB) erhalten Startups vermehrt Zugang nicht nur zu Eigenkapital, sondern auch zu vorteilhaften Darlehen sowie reinen Subventionen.
Konjunkturunabhängigkeit: Das deutsche BIP wird 2023 wie in der Coronakrise 2020 wieder schrumpfen. Für 2024 liegen die Wachstumsprognosen derzeit bei nur ~1%. Viele Deep Tech Teams, die an langfristigen technologischen Entwicklungen arbeiten, sind von der schwachen Konjunktur, dem Zinsumfeld und anderen makroökonomischen Daten jedoch nur wenig betroffen und kommen inhaltlich gut voran. Teilweise beflügelt die aktuelle Wirtschaftslage sogar den Bedarf für Deep Tech. Beispielsweise verschärft der Fachkräftemangel den Druck auf Unternehmen, die Automatisierung zu beschleunigen und Robotik einzusetzen.
Die Voraussetzungen, dass in Deutschland in den nächsten Jahren neue Deep Tech Champions entstehen, sind besser denn je. Gleichzeitig war auch der Handlungsdruck im globalen Wettbewerb selten größer. Neue Märkte werden gebildet, deren Anteile heute verteilt werden. Im Bereich Quantum Computing zum Beispiel konkurriert das deutsch-finnische Scale-Up IQM mit den US-Branchengrößen Google und IBM, sowie gut finanzierten Playern aus Asien.
Jetzt ist also die Zeit zu handeln – sowohl für die Gründerteams als auch für die VCs. Mut, Geduld sowie gesunder Realismus zu Wachstum und Bewertungen werden beiden Seiten auf dem Weg zu nachhaltigem Erfolg in 2024 und darüber hinaus helfen.
Über den Autor
Frederick Michna ist Principal bei MIG Capital
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