#Gastbeitrag
Warum ist Fremdkapital hierzulande immer noch ein Fremdwort?
Deutschland ist bekannt für seinen Erfindergeist, seine Exzellenz in Wissenschaft, Forschung und Bildung und seine starke Wirtschaft. Auch das Startup-Ökosystem, das für die Förderung von Innovationen so wichtig ist, hat sich in den letzten Jahren sehr erfolgreich entwickelt. Der Zugang zu Risikokapital – sowohl lokal als auch international – hat sich stetig verbessert. Dennoch fehlt bislang der Zugang zu einer wichtigen Finanzierungsquelle: der Möglichkeit, mit Fremdkapital zu wachsen.
Laut dem Deutschen Startup Monitor 2023 haben mit 56,3 % mehr als die Hälfte der Startups bisher externes Kapital erhalten, davon mit 43,1 % der größte Teil weniger als 500.000 Euro. Gerade in der Frühphase sind öffentliche Fördermittel für viele Startups unverzichtbar.
Neben den staatlichen Fördermitteln stehen Gründer:innen auch Eigen- und Fremdkapital zur Verfügung. Wobei mit Eigenkapital nicht nur das buchstäbliche Eigenkapital gemeint ist, sondern auch Venture Capital, also Risikokapital. Denn: Durch die Finanzierung von Risikokapitalgeber:innen in ein Unternehmen werden diese direkt daran beteiligt – das umfasst Gewinne und Verluste.
Anders verhält es sich mit dem Fremdkapital. Das Fremdkapital beschreibt vereinfacht gesagt die Schulden eines Unternehmens und umfasst alles Kapital, für das eine Rückzahlungsmöglichkeit besteht. Fremdkapitalgeber:innen sind also nicht am Gewinn oder Verlust beteiligt und erhalten im Gegenzug für das gegebene Kapital eine Verzinsung über einen definierten Zeitraum.
Fremdkapital wird kaum genutzt
Trotz seiner Effizienz und Skalierbarkeit ist die Fremdkapitalfinanzierung von unprofitablen Startups in Deutschland kaum verbreitet.
Dies liegt unter anderem daran, dass der Zugang zu Fremdkapital für viele Startups nicht einfach ist, da sie als junge Unternehmen nicht genug Historie oder verlässliche Ertragsprognosen vorweisen können.
Banken sind nach wie vor sehr risikoavers und zögerlich, wenn es um die Finanzierung von Startups geht. So wurden klassische Bankdarlehen im Jahr 2022 nur von 13,1 % der deutschen Startups genutzt.
Auch wenn alternative Fremdkapitalfinanzierungsansätze wie Factoring im E-Commerce oder Venture-Debt-Finanzierungen an Bedeutung gewonnen haben, ist der Anteil noch sehr überschaubar. Laut einer Studie von KfW & Dealroom gab es im Jahr 2022 deutschlandweit nur 43 Venture Debt Deals. In den USA beispielsweise macht Venture Debt rund 16 % der gesamten Startup-Finanzierung aus.
Eine weitere Form der Fremdfinanzierung sind Risikokredite in Form von Venture Debt. Hierfür ist das Vereinigte Königreich ein gutes Beispiel, wo es mittlerweile einen etablierten und florierenden Markt für Risikokredite gibt, der gemeinsam mit dem Venture Capital Markt gewachsen ist und der vor allem von etablierten Playern wie Sequoia und General Catalyst vorangetrieben wird – je mehr Venture Capital desto mehr Venture Debt. In Deutschland gibt es in diesem Bereich bislang kaum Fonds. Und auch der international bereits etablierte Markt für Private Debt führt in Deutschland bislang nur ein Nischendasein.
Das ist tragisch, denn der mangelnde Zugang zu Fremdkapital, der ein wesentlicher Hebel für Wachstum und Skalierung von Startups ist, steht in krassem Gegensatz zur ansonsten starken Entwicklung des deutschen Startup-Ökosystems.
Denn warum sollte ein junges, noch nicht profitables Tech-Unternehmen, welches verlässliche Umsätze erzielt und stetiges Wachstum zeigt, den Produkt-Markt-Fit erreicht und effektive Vertriebskanäle identifiziert hat – im Zeitalter von Echtzeitdaten kein Fremdkapital erhalten können? Fremdkapital kann die kosteneffizienteste und skalierbarste Option sein, da es keine Anteilsverwässerung mit sich bringt. So kann Fremdkapital ein wesentlicher Hebel für Wachstum und Skalierung von Startups sein. Doch wo es kein Angebot gibt, gibt es auch keine Nachfrage – und vor allem nicht genügend “Education” rund um das Thema.
In dieser Hinsicht wäre es ein wichtiger Schritt, dass klassische Kreditgeber:innen ihre Bewertungsmodelle modernisieren. Banken zögern traditionell aufgrund von Risikobedenken, Kredite an unprofitable Unternehmen zu vergeben. Anstatt auf historische Daten zurückzugreifen, eröffnet sich durch den Zugang zu Echtzeitdaten und -analysen eine neue Dimension bei der Bewertung der Zukunftsfähigkeit und Future Profitabilität dieser Unternehmen. Dieser datengestützte Ansatz könnte zu differenzierteren Kreditentscheidungen führen, bei denen neben den traditionellen Finanzkennzahlen auch das Potenzial und die Innovationsfähigkeit eines Unternehmens stärker berücksichtigt werden.
Ich bin gespannt, welche Schritte Deutschland unternimmt, um die Finanzierungslücke für seine Startups zu schließen. Denn nur mit einem florierenden Startup-System werden wir als Volkswirtschaft langfristig erfolgreich und wettbewerbsfähig sein können.
Über die Autorin
Mariam Koorang is eine erfahrene Tech-Managerin und passionierte Unternehmerin, mit umfangreicher Erfahrung in der Gründung und Skalierung von B2B Plattformen und Produkten, mit dem Fokus auf Data Analytics und Start up Finanzierung. Seit Anfang 2023 ist sie Deutschland-Chefin bei Gilion (früher als Ark Kapital bekannt), wo sie die strategische Ausrichtung und den Bereich Growth verantwortet. Zuvor war sie als Deutschland-Chefin des weltweit größten Revenue-based Funding-Anbieters Clearco für die Expansion in den deutschen Markt zuständig.
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