#Gastbeitrag
Nach Bust kommt Boom: Strategien im neuen Kampf um Talente
Laut einer Umfrage des Digitalverbands Bitkom planen 80 % der befragten Start-ups, ihre Belegschaft im Laufe des Jahres zu erweitern. Nach einem schwierigen Krisenjahr 2022, das durch den Ukraine-Krieg und steigende Zinsen geprägt war, bereiten sich die Start-ups wieder auf Wachstum vor. Insgesamt haben derzeit sechs von zehn Start-ups offene Stellen, im Durchschnitt sind vier Positionen zu besetzen. Dabei konkurrieren sie in der Akquise begehrter Tech-Talente mit großen und mittelständischen Unternehmen. Wie können Start-ups diesen Wettbewerb erfolgreich bestreiten und ihren Personalbedarf decken?
Wer passt zu uns und was wollen sie von uns?
Zunächst einmal hilft es, sich in die Kandidat*innen und ihre Gründe für die Entscheidung für oder gegen einen Arbeitgeber hineinzuversetzen. Manche bevorzugen die Sicherheit und Strukturen großer Unternehmen, während andere die Dynamik und Flexibilität eines Start-ups schätzen.
Start-ups bieten die Möglichkeit, von Anfang an mitzugestalten und eigene Ideen einzubringen. Die flachen Hierarchien und die flexible Arbeitskultur bieten Raum für persönliche Entwicklung und Kreativität. Hier kann man in kürzester Zeit eine große Vielfalt von Aufgaben übernehmen und die erst im Entstehen begriffenen Prozesse und Strukturen aktiv mitgestalten.
Etablierte Unternehmen hingegen punkten mit Aspekten wie wirtschaftlicher Stabilität und klaren Karrierepfaden. Sie bieten umfassende Benefits und Weiterbildungsmöglichkeiten. Auch ein bekannter Markenname und ein ausgereiftes Produktportfolio sind potenziell attraktiv für manche Talente.
Von der Arbeitgeberseite aus gedacht, ist der Cultural Fit für das Unternehmen ebenso entscheidend wie für die Kandidat:innen. Die hohe Dynamik in einem Start-up verlangt Mitarbeitenden ein hohes Maß an Selbstständigkeit ab, um Aufgaben zu Ende zu bringen und Projekte zum erfolgreichen Abschluss zu führen. Eine hohe Lern- und Verantwortungsbereitschaft sind Pflicht.
Im Wettbewerb um Talente wird ein weiterer wesentlicher Unterschied zwischen Start-ups und etablierten Unternehmen deutlich: die Vergütungs- und Anreizsysteme. Während etablierte Unternehmen oft mit einem attraktiven Fixgehalt und Lohnnebenleistungen werben, setzen Start-ups auf alternative Vergütungsmodelle. Statt hoher Einstiegsgehälter winken Unternehmensanteile in Form von ESOPs oder VSOPs, die Mitarbeitende langfristig am Erfolg des Unternehmens beteiligen.
Wachsende Unternehmen benötigen zumeist einen Mix aus Führungs- und Fachkräften. Kandidat*innen, die sich als Führungskraft eignen, haben in der Regel mehr berufliche Erfahrung und sind oft in einer späteren Phase ihrer Karriere. Sie haben möglicherweise familiäre Verpflichtungen, wie beispielsweise Kinder oder ältere Angehörige, und legen daher mehr Wert auf eine ausgewogene Work-Life-Balance. Ein angemessenes Fixgehalt, das ihre Erfahrung und Expertise widerspiegelt, ist für sie ebenfalls wichtig. Darüber hinaus können langfristige Anreizsysteme, wie beispielsweise eine betriebliche Altersvorsorge, attraktiv sein, da sie langfristige Sicherheit und finanzielle Stabilität bieten.
Berufsanfänger*innen oder Young Professionals befinden sich hingegen am Anfang ihrer Karriere und suchen nach Möglichkeiten, sich weiterzuentwickeln. Für sie kann die Aussicht auf eine steile Lernkurve und die Chance, früh Verantwortung zu übernehmen, entscheidend sein. Natürlich ist ein niedrigeres Fixgehalt für Berufsanfänger:innen weniger abschreckend.
Employer Branding: Ehrlichkeit währt am längsten
Beim Employer Branding ist Ehrlichkeit gefragt. Anstatt Klischees zu bedienen und sich als das “freshe” Start-up darzustellen, sollten junge Unternehmen authentisch und transparent sein. Das bedeutet, die tatsächliche Unternehmenskultur, Werte und Visionen nach außen zu kommunizieren.
Start-ups sollten sich darauf konzentrieren, was sie wirklich einzigartig macht und wie sie das Leben ihrer Mitarbeitenden bereichern können. Das Loft-Büro mit Tischkicker und freien Getränken und Snacks taugt höchstens noch als Meme. Es geht darum, die echte Geschichte zu erzählen.
Eine ehrliche Kommunikation über die Unternehmenskultur hilft nicht nur dabei, die richtigen Talente anzuziehen, sondern auch diejenigen “abzuschrecken”, die nicht zum Unternehmen passen. Mitarbeitende, die sich mit der Mission des Start-ups identifizieren, sind langfristig motivierter und engagierter, was sich positiv auf die Produktivität und den Unternehmenserfolg auswirkt.
Auch die Stimme der bereits im Unternehmen tätigen Mitarbeitenden kann ein echtes Asset im Employer Branding sein. Sie können als Markenbotschafter*innen fungieren und ihre persönlichen Erfahrungen teilen, um das Vertrauen potenzieller Kandidat*innen zu gewinnen.
Investieren und die eigene Agilität nutzen
Young Professionals und talentierte Fachkräfte sind zumeist enthusiastisch, sich persönlich und beruflich weiterzuentwickeln. Start-ups können sich diesen Wunsch zunutze machen, indem sie Möglichkeiten zur Weiterbildung und Schulungen anbieten. Dies kann in Form von internen Workshops, externen Schulungen oder Mentoring-Programmen passieren, wodurch die steile Lernkurve durch die Mitarbeit in einem Start-ups noch ergänzt wird.
Start-ups haben den Vorteil, dass sie agiler und flexibler sind als große Unternehmen. Das sollten sie nutzen, um eine attraktive Arbeitsumgebung zu schaffen, die auf die Bedürfnisse und Wünsche der Mitarbeitenden eingeht. Dazu gehören flexible Arbeitszeiten und die Möglichkeit von Remote-Arbeit ebenso wie eine offene und kollaborative Unternehmenskultur, in der Mitarbeitende aktiv an Entscheidungsprozessen teilhaben und ihre Ideen einbringen können. Das kann ebenfalls dazu beitragen, talentierte Fachkräfte anzuziehen.
DEI großschreiben
Wer, wenn nicht die nächste Generation von Unternehmen, kann die Arbeitswelt diverser, inklusiver und gleicher gestalten. Start-ups haben die Möglichkeit, von Anfang an eine inklusive Unternehmenskultur zu schaffen, die Menschen unabhängig von Geschlecht, ethnischer Herkunft, Alter, sexueller Orientierung, religiöser Zugehörigkeit oder Behinderung wertschätzt und unterstützt. Eine diversitätsorientierte Arbeitsumgebung fördert das Gefühl der Zugehörigkeit und ermutigt Mitarbeiter dazu, ihre Einzigartigkeit einzubringen.
Um Diversität zu fördern, sollten Start-ups aktiv daran arbeiten, diskriminierende Barrieren zu beseitigen und eine inklusive Rekrutierungsstrategie zu entwickeln. Das Engagement für Diversität darf jedoch nicht bei der Personalgewinnung enden. Es ist wichtig, eine offene und respektvolle Arbeitskultur zu pflegen, in der jeder Mitarbeitender gleichwertig behandelt wird und sich frei entfalten kann.
Durch eine starke Betonung von DEI in allen Aspekten des Unternehmens – von der Teamzusammensetzung bis zur Unternehmenskultur – können Start-ups einen nachhaltigen Wettbewerbsvorteil erzielen.
Talent ist unter dem kleinsten Stein
Start-ups sollten den Mut haben, bei der Talentsuche unkonventionelle Wege zu gehen. Anstatt sich nur auf traditionelle Stellenanzeigen und Jobportale zu verlassen, können sie sich gänzlich neue Talentpools erschließen.
Das Internet bietet zahlreiche Möglichkeiten, um gezielt nach Talenten zu suchen. Social-Media-Plattformen wie LinkedIn, Twitter oder sogar Instagram können genutzt werden, um potenzielle Kandidat*innen direkt anzusprechen und auf das Unternehmen aufmerksam zu machen. Start-ups können auch gezielt Online-Communities wie Reddit und Fachforen nutzen, um Menschen zu finden, die möglicherweise nicht aktiv auf Jobsuche sind.
Darüber hinaus sollten Start-ups die mit aller Macht zurückgekehrten Networking-Events für sich bestmöglich nutzen. Persönliche Interaktionen bieten die Möglichkeit, Kandidat*innen unmittelbar von sich und dem eigenen Unternehmen zu überzeugen.
Auch Programme für Mitarbeitendenempfehlungen können eine echte Geheimwaffe sein, um Talente zu gewinnen. Mitarbeitende, die das Unternehmen schätzen und begeistert von ihrer Arbeit sind, aktivieren ihre eigenen Netzwerke, um qualifizierte Kandidat*innen zu empfehlen.
Fazit
Ich bin der Überzeugung: Wer sich bewusst macht, welche Art von Mitarbeitenden zu einem passen, diesen Menschen einen ehrlichen Eindruck vom eigenen Unternehmen vermittelt und ein attraktives Angebot macht, wird mit der Personalgewinnung wenig Schwierigkeiten haben. Start-ups haben gegenüber etablierten Unternehmen einige Vorteile zu bieten, sie müssen sie nur geschickt ausspielen.
Über den Autor
Karim Gharsallah ist HR Project Manager bei Tellent
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