Das VC-CFO-Dilemma: Balanceakt zwischen Wachstum und finanzieller Verantwortung
“Die Stimmung ist getrübt” bilanziert der Deutsche Startup Monitor für das Jahr 2023. Nach einem Rückgang in 2022 ist das Geschäftsklima im deutschen Start-up-Ökosystem erneut um vier Punkte gesunken. Zu dieser Stimmungslage trägt nicht zuletzt die aktuelle Funding-Flaute bei. Umso wichtiger ist es für Start-ups, auf ihren Runway zu achten – ansonsten ist die Stimmung ganz schnell im Keller. Doch dieser Rat ist leichter gesagt als getan: Schließlich investieren Venture Capitals (VCs) in eine Wachstumsgeschichte und wollen, dass ihr Kapital schnell Früchte trägt. Der Chief Financial Officer (CFO) hingegen muss nüchterne Finanzrealität in diese wilden Wachstumsvisionen bringen – insbesondere in der aktuell angespannten Wirtschaftslage.
An dieser Stelle entsteht ein Spannungsfeld zwischen VCs und dem CFO des Unternehmens: das VC-CFO-Dilemma. Um dieses besser zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die gegensätzlichen Zugkräfte.
Die Perspektive der CFOs
In der Position des CFOs bündelt sich die Verantwortung für das gesamte operative und strategische Finanzmanagement. Einer der Hauptaufgaben ist die Planung und das Monitoring, ob man ‘im Plan’ ist oder davon abweicht. Seine Ziele sind:
Geringes Risiko und genaue Analyse: CFOs sind Zahlenmenschen. Meist sind sie vom Typ her eher risikoscheu. Ihr Job ist es, finanzielle Risiken dort zu vermeiden, wo sie unnötig sind. Wenn etwas schief geht, sind sie auch diejenigen, die die Verantwortung mittragen. Denn dann haben sie “nicht schnell genug” reagiert, da die Zahlen meist schon lange vorher auf Probleme hinweisen. Das heißt, wenn z.B. Umsätze nicht kommen, aber das Geld wie geplant ausgegeben wurde, sind die CFOs diejenigen, die das sehen und schnell genug eskalieren müssen.
Modernes Finanzmanagement und FP&A: CFOs sind auch diejenigen, die, sobald das Unternehmen eine relevante Größe erreicht hat (in der Regel ca. 50-70 Mitarbeitern), eine neue Führungsstruktur für die Finanzen einführen. Die Budgetplanung beruht ab jetzt auf Buchhaltungsdaten, Kostenstellen werden eingeführt und ein Szenarioplan entwickelt. Um die Daten auszuwerten, setzt er oftmals auf ein Data Warehouse und die Einführung eines FP&A-Tools. Er versucht, Risiken und Probleme frühzeitig aus den Zahlen zu erkennen, um dem Management genügend Reaktionszeit zu geben.
Die Perspektive der Venture Capital-Investoren
VCs investieren in junge Unternehmen in der Hoffnung auf hohe Rendite und explosionsartiges Wachstum. Um das zu erreichen, haben sie folgende Ziele:
Hohes Risiko bei der Skalierung: Einmal investiert, wollen VCs Startups bis an ihr Limit pushen. Sie nehmen dafür auch enorme Risiken in Kauf, um die Skalierung in kurzer Zeit zu erreichen. Um ihre Fonds zurückzuverdienen, müssen sie einen globalen Champion bauen und keinen lokalen Nischenplayer. Das steht im Gegensatz zur Aufgabe des CFOs, der auf behutsames Wachstum drängt.
Wachstum über Profitabilität: VCs investieren in der Regel mit einem bestimmten Ausstiegsziel vor Augen. Dies kann ein Börsengang (IPO) oder der Verkauf des Unternehmens (M&A) sein. Profitabilität ist dafür nebensächlich, es geht eher um die größtmögliche Unternehmensbewertung. Für CFOs zählt hingegen nicht nur Wachstum, sondern auch Stabilität und Überleben.
‘Push for the Fund Returner’: VCs brauchen ‘Fund Returner’ in ihrem Portfolio, d.h. Unternehmen, die den gesamten Fonds auf einen Schlag zurückzahlen können. Um das zu erreichen, müssen sie auch an ihre Grenzen gehen und nehmen daher in Kauf, einige Portfoliounternehmen Pleite gehen zu lassen. CFOs hingegen wollen immer das Überleben des Startups sichern und ein nachhaltiges Wachstum erzielen, da eine nächste Finanzierungsrunde ungewiss ist.
Emotionale vs. zahlenbasierte Entscheidungen: VCs verlangen zwar regelmäßige Berichte und Transparenz über die finanzielle Performance und den Fortschritt des Startups. Sie sind aber meist sehr risikofreudig. Gleichzeitig sind sie nicht operativ involviert und werden direkt vom Gründer – charakterlich oftmals auch visionär und emotional geprägt – auf dem Laufenden gehalten. Das führt dazu, dass zwei ‘gelbe’ Typen in eine risikoaffine Richtung pushen können. Ein Beispiel dafür ist das ‘premature scaling’, d.h. Geld in Wachstum zu stecken, bevor ein Product Market Fit erreicht ist. CFOs treffen ihre Entscheidung hingegen zahlenorientiert und müssen Gründer sowie VC oftmals in die Realität zurückholen.
Das VC-CFO-Dilemma entsteht also, weil unterschiedliche Charaktere mit unterschiedlichen Zielsetzungen zusammenkommen. Während der CFO auf finanzielle Stabilität, sorgfältige Planung und geringes Risiko drängt, pochen VCs auf schnelles Wachstum, hohes Risiko und Skalierbarkeit. Beide Ziele stehen im Konflikt zueinander und erfordern einen Balanceakt. Gerade jetzt, wo die Stimmung im deutschen Startup-Ökosystem durch eine Funding-Flaute getrübt ist, wird das VC-CFO-Dilemma zu einer noch größeren Herausforderung. Startups müssen einen Weg finden, die finanzielle Verantwortung mit den Wachstumserwartungen ihrer Investoren in Einklang zu bringen, um langfristig erfolgreich zu sein.
Wie kann man das VC-CFO-Dilemma lösen?
CFOs sollten ein nachhaltiges FP&A einführen, das Startup über ein Data Warehouse KPI-basiert steuern, die Zahlen in Echtzeit einsehen und szenariobasiert arbeiten. Steht das strategische Finanzmanagement auf einem gesunden Fundament, das vom gesamten Team getragen wird, sinkt das Konfliktpotenzial und die Stakeholder ziehen leichter an einem Strang.
Steht dieses Fundament, sollten sich Gründer:innen immer wieder daran erinnern, dass es Geduld und Ausdauer braucht, um die Balance zwischen Wachstum und finanzieller Stabilität zu finden. Manchmal müssen dafür Kompromisse gefunden werden. Gründer:innen sind hier in einer Sandwich-Position: Sie kennen die Ansprüche der VCs genauso gut, wie die Anforderungen ihrer CFOs – vergessen dabei aber nie die eigentliche Vision des Startups.
Über den Autor
Franz Salzmann ist Gründer und CEO von Helu.io, dem deutschen Marktführer für einfaches und kollaboratives Finanzmanagement und FP&A für Scale-ups und mittelständische Unternehmen. Vor der Gründung von Helu.io im Jahr 2020 begleitete Franz Salzmann als Unicorn-Investor und Partner bei Speedinvest das Wachstum vieler erfolgreicher Scale-ups wie Wefox, Adverity und GoStudent. Vor seiner Tätigkeit bei Speedinvest gründete er eine von Techcrunch Disrupt ausgezeichnete B2B-Softwarelösung für Bikesharing und arbeitete als Venture Partner bei Atlantic Labs.
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