#Interview

“Unser frühes Engagement für KI stieß auf Widerstand”

Das millionenschwere Medien-Startup Inkitt, zudem auch die Vertriebsplattform Galatea gehört, möchte sich als "lesergesteuerter Verlag" etablieren. In den vergangenen Jahren flossen schon über 80 Million in das Berliner Unternehmen.
“Unser frühes Engagement für KI stieß auf Widerstand”
Dienstag, 26. September 2023VonAlexander Hüsing

Über das Berliner Unternehmen Inkitt, 2014 von Ali Albazaz gegründet, können Onlinerinnen und Onliner ihre Bücher hochladen, um Feedback bitten und im besten Fall einen Buchvertrag bekommen. Mit Galatea gehört zudem eine Vertriebsplattform zur Jungfirma. Scott Sandell (New Enterprise Associates), Springer-Chef Mathias Döpfner, Verleger Stefan von Holtzbrinck und der ehemalige Penguin Books-Macher Michael Lynton investierten zuletzt gemeinsam mit Kleiner Perkins, HV Capital, Redalpine und Speedinvest 59 Millionen US-Dollar in Inkitt.

Zuvor flossen bereits 21 Millionen in das Unternehmen, das rund 100 Mitarbeitende beschäftigt. Mit rund 80 Millionen Investmentsumme ist das Unternehmen somit extrem gut ausgestattet. Der Jahresfehlbetrag von Inkitt lag 2021 bei rund 12,6 Millionen Euro (Vorjahr: 4,7 Millionen). Insgesamt kostete der Aufbau des Unternehmens bis Ende 2021 rund 22,8 Millionen. “Es gibt 380.000 Autoren, die unsere Inkitt-Plattform nutzen, und Galatea macht eine Jahres Run Rate von 55 Millionen US-Dollar”, sagt Gründer Albazaz zum Stand der Dinge bei Inkitt.

Der Weg dahin war nicht einfach für das Medien-Startup:  “Im Jahr 2016 waren wir der Zeit voraus und nutzten KI und Algorithmen, um Bestseller vorherzusagen. Unser frühes Engagement für KI stieß bei vielen Veteranen der Verlagsbranche auf Widerstand”, führt Albazaz aus. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Inkitt-Macher außerdem über Lieblingsgeschichten, Gleichberechtigung und Blockbuster.

Wie würdest du Inkitt deiner Großmutter erklären?
Inkitt und die Schwester-App Galatea sind zwei Apps, mit denen du Geschichten auf deinem Smartphone lesen kannst. Auf Inkitt können Leser eine Vielzahl von Geschichten finden, darunter Romantik, Mystery, Science-Fiction usw. Es gibt auch Funktionen, die es den Lesern ermöglichen, Kommentare und Bewertungen zu einer Geschichte zu hinterlassen – dieses Feedback ist für Autoren wertvoll, da es ihnen hilft zu verstehen, wie Leser ihre Geschichten genießen. Bei Galatea finden Leser eine Sammlung von Bestseller-Geschichten, die von aufstrebenden Autoren geschrieben wurden, die auf Inkitt entdeckt wurden. Was Galatea besonders macht, ist, dass sie den Lesern verschiedene Leseerlebnisse bietet. Die Leser können wählen, ob sie nur den Text lesen möchten oder ein immersives Leseerlebnis bevorzugen, bei dem die Geschichten durch Soundeffekte und Hintergrundmusik zum Leben erweckt werden. Die App bietet auch Hörbücher, mit denen Benutzer ihre Lieblingsgeschichten auch unterwegs genießen können.

Hat sich das Konzept seit Beginn in irgendeiner Weise verändert?
Galatea hat sich seit dem ersten Start der App stark verändert. Zunächst hieß die App Colt und es gab nur eine Geschichte. Jetzt gibt es Hunderte von Geschichten in unserer App und wir bieten verschiedene Leseerlebnisse, darunter E-Books, immersive Lektüre und Hörbücher, bei denen die Benutzer ihren eigenen Erzähler wählen können, um ihr Hörerlebnis zu personalisieren. Außerdem haben wir mehrere Abonnementoptionen hinzugefügt, damit Leser uneingeschränkten Zugriff auf all ihre Lieblingsgeschichten haben.

Wie funktioniert euer Geschäftsmodell?
Autoren veröffentlichen ihre Geschichten in der kostenlosen Lesegemeinschaft von Inkitt, wo unser Algorithmus potenzielle Bestseller anhand von Lesemustern erkennt. Dann bieten wir diesen Autoren einen Verlagsvertrag über Galatea an, wo ihre Geschichten monetarisiert werden. Die Handlungsstränge werden weiterhin einem A/B-Test unterzogen, um die höchste Leserbindung zu ermitteln.

Wie hat sich Inkitt seit seiner Gründung entwickelt?
Ich habe Inkitt 2013 gegründet, aber es war erst 2014, als ich erfuhr, dass J.K. Rowling, Stephen King, Stephanie Meyers und viele talentierte Autoren von Dutzenden Lektoren abgelehnt wurden, weil diese nicht an das Potenzial ihrer Geschichten glaubten. Das ließ mich erkennen, dass es so viel ungenutztes Talent gibt, weil die Verlagsbranche Entscheidungen aufgrund von Bauchgefühl trifft. Als Softwareingenieur wollte ich sehen, ob es möglich ist, Daten zu nutzen, um den Veröffentlichungsprozess systematischer zu gestalten. Seitdem ist es unsere Mission geworden, der objektivste Verlag zu werden. Wir begannen damit, Geschichten an traditionelle Verlage zu verkaufen, von denen unser Algorithmus vorhersagte, dass sie potenzielle Bestseller sein könnten. Der Verkaufsprozess an Verlage war jedoch extrem langwierig, und deshalb entschieden wir unsauf Amazon selbst zu veröffentlichen. Inkitt funktionierte jahrelang auf diese Weise, und 46 von uns veröffentlichte Bücher erreichten die Bestsellerlisten von Amazon. Doch als wir mehr Bücher auf Amazon veröffentlichten, fühlten wir uns in unseren Möglichkeiten eingeschränkt, da Amazon keinerlei Daten darüber bereitstellte, wer unsere Bücher kaufte. 2018 wagten wir dann einen großen Schritt und beschlossen, unsere eigene Vertriebsplattform namens Galatea zu starten und den Zwischenhändler auszuschalten. Mit Galatea hatten wir einen rapiden Erfolg – innerhalb von sechs Monaten erzielten wir einen Umsatz von über 1 Million US-Dollar.

Wie groß sind Inkitt und Galatea jetzt?
Es gibt 380.000 Autoren, die unsere Inkitt-Plattform nutzen, und Galatea macht eine Jahres Run Rate von 55 Millionen US-Dollar.

Werfen wir einen Blick zurück: Was ist in den letzten Jahren wirklich schief gelaufen?
Gleichberechtigung der Chancen ist das Leitprinzip bei Inkitt, und es ist uns wichtig, dass sich dies sowohl auf der Inkitt-Plattform als auch im Umgang mit unseren Mitarbeitern und Bewerbern widerspiegelt. Bis vor vier Jahren fehlte uns jedoch ein systematischer Einstellungsprozess, was zu inkonsistenten Entscheidungen führte. Wir erkannten die Notwendigkeit, die Einstellungsmanager in der Inkitt-Methode des Einstellens, Interviewens und der Bewertung von Bewerbern zu schulen, um sicherzustellen, dass jeder Kandidat fair beurteilt wird. Jetzt ist es Voraussetzung, dass jeder bei Inkitt, der an einem Schritt des Einstellungsprozesses beteiligt ist, das Buch “Who: The A Method Hiring” von Geoff Smart und Randy Street liest.

Und wo habt ihr bisher alles richtig gemacht?
Im Jahr 2016 waren wir der Zeit voraus und nutzten KI und Algorithmen, um Bestseller vorherzusagen, bevor generative KI zu einem bedeutenden Technologie-Trend wurde. Unser frühes Engagement für KI stieß bei vielen Veteranen der Verlagsbranche auf Widerstand. Es ermöglichte uns jedoch, so viele talentierte Autoren zu entdecken, die von traditionellen Verlagen sonst möglicherweise unbemerkt geblieben wären. Die Bestätigung unseres Prozesses kam, als wir 2016 einen Vertrag mit Tor unterzeichneten und damit der erste Verlag in der Geschichte waren, der KI-Algorithmen zur Vorhersage eines Bestsellers verwendete. Dieser Erfolg bestätigte, dass wir etwas wirklich Besonderes begonnen hatten.

Wo steht Inkitt in einem Jahr?
Wir bleiben ein Innovator an vorderster Front von Geschichtenerzählung und Technologie und machen den Prozess, Blockbuster in verschiedenen Formaten zu generieren, noch systematischer.

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Foto (oben): Inkitt

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.