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FreeMom: Bahnbrechendes Konzept geht beim Schachern um Anteile unter
Der Pitch der ehemaligen Personalerinnen und Mütter Lena Pieper und Anika Schmidt ist zunächst sehr eindringlich – und nebenbei ein gutes Beispiel für den Einbau kleiner Effekte in die Präsentation. Denn den Löwen wurden Umschläge gegeben, in denen sich verschiedenen Fakten befinden, die sie nun nacheinander öffnen, vorlesen und an eine Pinnwand hängen sollen. Die Gründerinnen kommentieren während des Vorgangs dann diese Fakten noch etwas. So kommt Bewegung in den Pitch, die Gefahr, dass etwas „ausufert“ oder völlig falsch läuft ist aber sehr gering, da alles immer noch einen sehr festen Rahmen hat.
Gleichzeitig sind die eher trockenen Zahlen und Fakten für die ZuschauerInnen besser zu verdauen und bleiben besser im Gedächtnis – ein Kniff also, der sich für den nächsten Pitch-Wettbewerb eventuell lohnt, im Hinterkopf zu behalten.
Die Fakten im Pitch von FreeMom haben es jedenfalls in sich, und sind es mehr als wert, im Gedächtnis zu bleiben: Frauen haben alleine schon durch die reine Tatsache, dass sie ein Kind bekommen haben, Nachteile im Beruf und auf dem Arbeitsmarkt, und eine überwältigende Mehrheit arbeitet weniger, als sie es eigentlich möchte. Würde dem Abhilfe geschaffen, hätten wir von heute auf morgen plötzlich rund 840.000 mehr Arbeitskräfte, die dringend gebraucht werden. Denn durch nicht zu besetzenden Stellen entsteht der Wirtschaft wohl bis 2030 ein Schaden von rund 500 Milliarden (genau, nicht Millionen) Euro.
Doch die Gesellschaft und vor allem die Führungsebenen in vielen Unternehmen scheint das immer noch nicht zu überzeugen, so müssen viele Mütter erleben, dass sie beim Wiedereinstieg aufs berufliche Abstellgleis gestellt werden, weniger Verantwortung und weniger interessante Aufgaben – und damit letztendlich auch weniger Aufstiegschancen und langfristig weniger Gehalt – haben.
Doch Anika und Lena wollen das nicht einfach nur mit einer schnöden Vermittlungsplattform bekämpfen – sie wollen das System ändern. Nämlich, in dem sie Müttern in die Selbstständigkeit helfen und Unternehmen überzeugen, teile der Arbeit, für die sie die entsprechenden Stellen nicht besetzt bekommen, durch projektbasierte Arbeit mit eben jenen selbstständigen Müttern abzudecken.
Warum das so bahnbrechend ist? Weil man so die altmodischen Denkmuster, die nur schwer zu ändern sind, einfach umgeht: bei einer Selbstständigen machen sich die verantwortlichen Führungskräfte normalerweise keine Gedanken darüber, dass sie vielleicht früher gehen muss als andere im Team, weil sie Mutter ist. Es interessiert sie schlichtweg nicht, ob sie ab und an mit den Gedanken bei der Familie ist (btw: sind andere Menschen das etwas nie?) und es ist irrelevant, wann und wie sie ihren Urlaub nimmt, denn damit hat das Unternehmen ja nichts mehr zu tun. Es bezahlt für die Arbeit, für Resultate, nach einem vorher festgelegten Projektvertrag, was unter dem Strich auch noch oft mehr ist. All diese hierarchischen und größtenteils unserer patriarchalisch geprägten Kultur entsprungenen Strukturen greifen plötzlich nicht mehr, da die Unternehmen sicher sind, dass sie bekommen, wofür sie bezahlen.
Und die Frauen bekommen nicht nur oft mehr Geld, sondern vor allem: mehr Freiheit. Denn in Freelancer-Projekten gibt es oft große Teile an remote-Arbeit, es gibt Deadlines, aber ansonsten mehr freie Zeiteinteilung und viel mehr Flexibilität. Eigentlich perfekt geeignet für Eltern. Wenn nicht die meisten Menschen von klein auf eingebleut bekommen hätten, dass sie die Sicherheit einer festen Anstellung bräuchten.
Also wird vielleicht noch einiges an Überzeugungsarbeit zu leisten sein, so wie FreeMom es wohl auch erwartet und dafür Lerninhalte auf der Plattform bereit stellen will.
Und natürlich kann man darüber diskutieren, ob die Mütter es annehmen werden, wie gut die Unternehmen trotz aller Not dazu zu überzeugen sind, mehr auf Selbstständige umzusteigen, ob damit nicht generell eine neue Welle und Trend zur Selbstständigkeit ausgelöst werden würde und ob das gut oder schlecht wäre und vieles mehr.
Lauter spannende Themen, die aber leider überhaupt nicht zur Sprache kamen – oder es nicht in den ausgestrahlten Zusammenschnitt geschafft haben.
Stattdessen werden wir am Ende Zeugen eines allzu patriarchalisch geprägten Feilschens zwischen den Gründerinnen und Tijen Onaran – bis auf das letzte halbe Prozent.
Schade eigentlich.
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