Wir brauchen keine Entwicklungspause für KI
Das Interesse an Künstlicher Intelligenz ist größer denn je. Open AI, Aleph Alpha & Co. haben mit ihren Tools die Diskussion über die Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts weiter angefacht. Was wir jetzt keinesfalls brauchen, ist eine Entwicklungspause für starke KI. Stattdessen sollten wir diskutieren, wie wir das gesellschaftlich wünschenswerte Maß an Transparenz herstellen können – anhand der Vorreiter:innen in Unternehmen.
Dank ChatGPT weiß plötzlich jedes Schulkind, welche Power in Künstlicher Intelligenz steckt. Ein Chatbot, der fast alles zu wissen scheint – wenn er auch in der Realität noch Nachholbedarf in Sachen Genauigkeit hat – und mit den richtigen Anweisungen schneller und besser argumentiert als ein Mensch, flößt vielen Respekt ein. Auch das alte Lied von den Abermillionen Jobs als Tribut für den Einsatz von KI wird angestimmt. Jüngst forderten die ersten Stimmen deswegen eine Entwicklungspause von mehreren Monaten, um die atemberaubende Entwicklung von KI unter Kontrolle zu bekommen.
Ein KI-Moratorium wäre ein großer Fehler
Doch das ergibt keinen Sinn – ganz abgesehen davon, dass es global kaum machbar wäre. Dass Italien ChatGPT von einem Tag auf den anderen sperren ließ, wird sich im Nachhinein wohl als Fehler erweisen. In Wirklichkeit haben Open AI oder Aleph Alpha uns als Menschheit einen großen Gefallen getan: uns vor Augen geführt, welche Macht in KI-basierter Technologie bzw. Software steckt. Das war ein mutiger und notwendiger Schritt. Denn wir stehen erst ganz am Anfang der Geschichte Künstlicher Intelligenz. Alles entscheidend werden die kommenden Jahre sein.
Natürlich sind ChatGPT & Co. nicht perfekt. Was wir gerade erleben, ist eine Art öffentlicher Beta-Test einer revolutionären Technologie – eine sehr spannende Phase. Die Sorge um die Verbreitung von Fake News, die potenzielle Täuschung Einzelner oder ganzer Bevölkerungen und den Einfluss auf Millionen von Jobs müssen wir als Gesellschaft ernst nehmen. An all dem wird eine Entwicklungspause aber nichts ändern. Ein einseitiges Moratorium könnte den globalen Wettbewerb sogar noch verschärfen – im Zweifel zu Gunsten Chinas oder der USA und zum Nachteil Europas. Wir müssen uns jetzt damit beschäftigen und massiv investieren, um diese grundlegende Technologie und ihren Einsatz weiterzuentwickeln. Dies gilt auch im Hinblick auf den geplanten EU AI Act, wie etwa der deutsche KI Bundesverband zu Recht schreibt
Die eigentliche KI-Revolution findet anderswo statt
Und zugleich müssen wir uns selbstverständlich mit den Herausforderungen beim Einsatz Künstlicher Intelligenz beschäftigen. Das gilt vor allem für stark intransparente Modelle, bei denen die Verarbeitung der einfließenden Informationen für den Anwender nicht sichtbar und verständlich ist. Forderungen nach Transparenzregeln für KI-Anwendungen sind insofern absolut zu begrüßen, um Zugänglichkeit und Verständlichkeit für die Anwender zu gewährleisten.
Dafür lohnt es sich, den Blick auf KI-Anwendungen zu richten, die schon heute in Unternehmen eingesetzt werden und auf Dauer dort noch viel größere Wirkmacht entfalten dürften als KI-basierte Chatbots: Mithilfe von Decision Intelligence automatisieren Unternehmen heute bereits weitreichende Entscheidungen – die Optimierung ihrer Lieferketten, ihrer Personaleinsatzpläne und ihrer Logistik, die Allokation ihrer Marketingausgaben, die Rationalisierung ihrer Produktion – unterstützt von KI, maschinellem Lernen und mathematischen Optimierungsmodellen. Trainiert auf unternehmensinternen Daten, angereichert durch externe Daten und so aufbereitet, dass der Business-Anwender es verstehen kann, wird dies ein riesiger Wettbewerbsvorteil – oder sogar überlebenswichtig.
An diesen Stellen wird die wahre KI-Revolution stattfinden, weil die dort getroffenen Entscheidungen sehr komplex und wiederkehrend sind, herkömmliche Tools wie Excel dabei zunehmend versagen und sich durch die richtige Entscheidung zu jedem Zeitpunkt viele Millionen Euro jährlich einsparen lassen, Kunden zufriedener gemacht werden oder Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können.
Decision Intelligence weist den Weg zu mehr Transparenz in Sachen KI
Vom Einsatz fortgeschrittener KI im Unternehmenskontext können wir außerdem zwei Lektionen lernen.
Erstens: Es darf bei Entscheidungen nie um Komplexitätsreduktion gehen. Ganz im Gegenteil: Wer die optimale Entscheidung treffen möchte, sollte alle verfügbaren Optionen vor sich sehen können. Es geht also darum, Komplexität an den richtigen Stellen in den Entscheidungsprozess zurückzuholen.
Zweitens und an dieser Stelle noch wichtiger: Unternehmen, die mithilfe von KI weitreichende Entscheidungen treffen, haben ein großes Interesse an maximaler Transparenz. Kein:e Entscheider:in wird sich darauf verlassen können, millionenschwere Entscheidungen anhand einer Black Box zu fällen – ohne Transparenz über die Datenpunkte und Unsicherheiten der (Vorhersage-)Modelle und damit auch ohne die inhaltliche Validierung der Ergebnisse. Daher legen Pioniere im Bereich Decision Intelligence größten Wert auf eine hohe Transparenz des Dateneinsatzes und der Entscheidungswege – und diese sollte eine Darstellung oder Sprache finden, die ein:e Businessanwender:in auch verstehen kann.
Es ist Sache der Politik, die Sorgen der Bürger:innen ernstzunehmen und den Weg zu einem geregelten Umgang mit neuen Technologien zu ebnen. An den Vorreiter:innen in der Wirtschaft liegt es aber, durch den mutigen Einsatz von KI zu zeigen, welchen Rahmen es braucht, um Innovationen nicht durch Regulierung schon im Entstehen zu behindern. Statt eines KI-Moratoriums und der damit verbundenen Unsicherheit über die Möglichkeiten des Einsatzes KI-basierter Tools braucht es daher viel eher den unverklärten sowie unvoreingenommenen Blick von Entscheider:innen in Politik und Wirtschaft „unter die Motorhaube“. Denn erst wenn alle Optionen bekannt sind, können die richtigen Entscheidungen getroffen werden.
Über den Autor
Thorsten Heilig ist Co-Founder und CEO von paretos, der führenden KI-basierten Decision-Intelligence-Plattform für datengetriebene Entscheidungsprozesse. Vor paretos hat er als COO von moovel / REACH NOW (ein Daimler-/BMW-Corporate-Start-up) das Wachstum und die strategische Ausrichtung der Organisation vorangetrieben. Thorsten ist fasziniert davon, wie Technologie zur Lösung komplexer Herausforderungen und zur Skalierung von Unternehmen beitragen kann – von der Beschleunigung des Unternehmenswachstums über die Bewältigung agiler Transformationen bis hin zum Change Management. Bereits als Mitgründer verschiedener Unternehmen und systemischer Management-Coach hat Thorsten neue Methoden und Technologien zur Anwendung gebracht, die praktisch jeder nutzen kann.
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