#Gastbeitrag
Bootstrapping: Selbstkontrolle durch Selbstfinanzierung
“Warum wollen Sie denn nur so wenig Geld?” Die Investorin traute ihren Ohren kaum.
Es war 2011, gerade erst hatte ich mein Unternehmen gegründet und tat deswegen das, was man in einer so frühen Phase eben tut: Businesspläne erstellen, Elevator-Pitches aufsetzen, Finanzierungsmöglichkeiten ausloten — und irgendwann auch vor möglichen Investoren stehen.
Fünfzigtausend Euro, darum habe ich damals vor ihnen geworben und gehofft, dass ich nicht viel zu viel verlange. Aus dem Funding wurde letztlich nichts, und an zu hohen Investmentwünschen lag es nicht — eher im Gegenteil. Die fünfzigtausend Euro erwiesen sich als Peanuts, die Investoren nahmen mich nicht ernst.
Immerhin habe ich aus dieser Erfahrung zwei Dinge gelernt. Erstens: wenn Du ein Investment möchtest, tritt ruhig etwas breitschultriger auf. Zweitens: es geht auch ohne.
Mein Unternehmen bootstrapped aufzubauen, war anfangs also eher eine Entwicklung als eine Entscheidung. Rückblickend kann ich heute sagen, dass es für mich die genau richtige Option gewesen ist — auch wenn Bootstrapping besonders zu Beginn mit einigen Anstrengungen verbunden ist.
Es geht auch ohne
Als ich beschloss, mein eigenes Unternehmen zu gründen, arbeitete ich noch als Softwareentwickler für ein kanadisches E-Commerce-Unternehmen in Jena. Dort hatte ich hauptsächlich mit APIs zu tun — um das einfach auszudrücken: mit Programmierschnittstellen, bei denen es letztlich darum geht, Daten von einem Ort zum anderen zu befördern. Und wie es bei Startup-Ideen ja so oft ist, habe ich dabei ein Problem gesehen, für das es noch keine Lösung gab.
Das Problem war: selbst für trivialste Anpassungen in einem Online-Shop, etwa eine Verknüpfung mit Amazon oder eine Rabattaktion, mussten ganze Teams aus Programmierern aufgescheucht werden, zu denen auch ich gehörte. Das war kleinteilige, zermürbende Arbeit, die doch irgendwie einfacher zu erledigen sein musste.
Meine Idee: einen Baukasten entwickeln, mit dem auch Nicht-Programmierer Systeme automatisch miteinander sprechen lassen können. Und mit genau dieser Idee im Kopf kündigte ich meinen Job und meldete ein Gewerbe an.
Am Anfang war der Nebenjob
Ein Startup entsteht natürlich nicht im luftleeren Raum: besonders am Anfang braucht es eine Menge Arbeit und, auch das ist klar, ein gewisses Startkapital, um die Sache zum Laufen zu bringen. Ohne Investmentgelder war ich dafür selbst verantwortlich — wie für so viele andere Aspekte meiner neuen Tätigkeit auch.
Über die ersten Jahre arbeitete ich nebenher als Freelancer für Softwarehersteller. Zusammen mit einem Gründungszuschuss der Agentur für Arbeit bekam ich so genügend Geld zusammen, um Geschäftsräume zu mieten, einen ersten Vollzeitmitarbeiter, Praktikanten und Werkstudenten einzustellen. Besonders in der klammen Anfangszeit erwiesen sich Förderprogramme als enorm hilfreich.
Bootstrapping erfordert Effizienz
Mit der Zeit haben wir im Vergleich mit Investment-finanzierten Unternehmen natürlich auch die Nachteile des Bootstrappings kennengelernt — ganz abgesehen davon, dass Bootstrapping für Geschäftsmodelle, die auf Schnelligkeit ausgelegt sind, nicht wirklich eignet. Bei uns hingegen war Schnelligkeit nicht von allerhöchster Priorität, weswegen eine vergleichsweise langsamere Entwicklung keine Schwierigkeit darstellte. Auch mussten wir uns nicht gegen eine finanziell schlagkräftige Direktkonkurrenz durchsetzen oder hohe Summen für Marketingkampagnen aufbringen.
Insofern überwogen für uns die Vorteile des Bootstrappings — und sie tun das bis heute.
Ein ganz wichtiger Punkt ist dabei die Effizienz, zu der man sich durch Bootstrapping verpflichtet: wo die Mittel nach oben begrenzt sind, setzt man sie da ein, wo sie am sinnvollsten angelegt sind, und spart von Anfang an dort, wo Kosten nicht notwendig sind. Die Effizienz im Einsatz der Mittel schließt auch das Wachstum mit ein: wir wachsen dort, wo es nötig ist, nicht bloß um des Wachstums willen. Über die Jahre ist das zu so etwas wie unserer Philosophie geworden.
Selbstkontrolle durch Selbstfinanzierung
Entscheidend ist für mich auch der Aspekt der Autonomie. Dadurch, dass wir keinem Kapitalgeber Rechenschaft schuldig sind und keinen Fremdvorgaben folgen müssen, hatten wir die Freiheit, an unserem Produkt zu arbeiten, bis es aus unserer Sicht fertig war, nicht aus der Sicht Anderer. Nämlich erst dann, wenn es die Kundenprobleme zuverlässig löst und für sie einen wirklichen Mehrwert bietet. Damit generieren wir unseren Umsatz und setzen die Gewinne daraus genau dort ein, wo sie sinnvoll und nachhaltig investiert sind.
Letztlich ermöglicht Bootstrapping uns die volle Kontrolle über unsere Wachstumsgeschwindigkeit, über unsere Arbeitsweise, unsere Richtung.
Keine Dogmen!
Auch wenn uns unsere Eigenfinanzierung vieles gelehrt und von Anfang an zu gesundem, nachhaltigem Wachsen erzogen hat, gibt es natürlich gute Gründe dafür, Investitionsrunden anzustreben — am Ende ist es die Frage danach, was man vorhat und wie man es umsetzen möchte.
Auch für uns sind Investitionen kein Tabu und Bootstrapping kein Dogma; wer kann schon sagen, ob nicht einmal der Tag kommen wird, an dem man einen so großen Schritt tun will, den man ohne Unterstützung von außen nicht gehen kann. Zu diesem Zeitpunkt sollte man jedoch über genügend Erfahrung auf seinem Feld und eine genaue Vorstellung davon haben, wie viel Kapital man tatsächlich brauchen wird.
Hätte ich die 2011 bereits gehabt, hätte ich gleich verstanden, dass die Fünfzigtausend mich nicht weit getragen hätten — und warum die Investorin ihren Ohren kaum trauen wollte.
Über den Autor
Christoph Rüger ist Gründer und Geschäftsführer des Jenaer Startups Synesty. Der Softwareingenieur arbeitete für mehrere Online-Handelsplattformen, bevor er aus eigenen Mitteln sein Unternehmen aufbaute.
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