Ein Bug im System – Diversität in der Tech-Branche
„Wir würden dir raten, wieder in die Modebranche zu gehen.” So lautete das Feedback nach meinem ersten Bewerbungsgespräch als Softwareentwicklerin. Ich habe zwar noch nie in der Modebranche gearbeitet, aber mein feminines Auftreten war für die beiden Herren, die mich damals interviewten, offenbar mit technischer Inkompetenz gleichzusetzen.
Situationen wie diese sind in der Tech-Branche kein Einzelfall. Für Frauen im Allgemeinen, aber besonders für Women of Color, Transfrauen, Frauen mit Behinderung oder Mütter stehen Diskriminierungserfahrungen auf der Tagesordnung. Und das, obwohl sich viele Unternehmen Themen wie Gleichberechtigung und Vielfalt seit Jahren auf die Fahnen schreiben. Doch die Realität sieht anders aus – vor allem in den Chefetagen, in Führungspositionen und damit auch im Rekrutierungsprozess sind marginalisierte Gruppen kaum bis gar nicht vertreten.
Gleichberechtigung und Vielfalt? Die Realität sieht anders aus!
Die Gründe dafür sind vielfältig und beginnen lange vor dem ersten Bewerbungsgespräch. Mädchen wird schon früh durch ihr Umfeld, ihre Lehrer:innen oder Eltern suggeriert, dass ihnen die Voraussetzungen für ein erfolgreiches MINT-Studium fehlen. Dies führt dazu, dass sie trotz guter Noten in den naturwissenschaftlichen Fächern ihre Fähigkeiten unterschätzen. Zum anderen wird auch von den Universitäten noch nicht genug getan, um eine sichere und willkommene Kultur für Frauen, nicht-binäre Personen und People of Color im Informatik-Hörsaal zu schaffen. Entscheidet sich eine nicht-weiße, nicht-männliche Person dann doch für ein Informatikstudium oder ein anderes technisches Studium, sind die Reaktionen im Umfeld oft überrascht und die Person erfährt wenig Unterstützung für ihre Entscheidung.
Und damit sind noch nicht alle Hürden genommen: Nur 38 Prozent der Frauen, die ein Informatikstudium absolviert haben, arbeiten später auch in diesem Bereich. Dies kann auf männerdominierte Arbeitsplätze, sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz und andere geschlechtsspezifische Diskriminierungen zurückgeführt werden. Das Ergebnis ist ein Frauenanteil von nur 19 Prozent in der deutschen IT. Der Anteil von Women of Color oder anderen Gruppen, die Mehrfachdiskriminierung erfahren, ist so gering, dass hierzu keine verlässlichen Daten vorliegen.
Diversität muss proaktiv gefördert werden
An dem Einsatz von Frauen und People of Color für mehr Diversität in der Tech-Branche scheitert es nicht: Zahlreiche Inklusions- und Diversity-Coaches versuchen seit Jahren, die Bedingungen für marginalisierte Gruppen zu verbessern. Die Coaches sorgen für mehr Awareness bei der privilegierten Mehrheit und identifizieren diskriminierende Strukturen am Arbeitsplatz. Doch der Prozess ist zäh und stößt teilweise noch immer auf Widerstand. Jüngste Entwicklungen d e u t e n sogar darauf hin, dass der Anteil von Frauen und anderen unterrepräsentierten Beschäftigten sinkt, da sie überproportional von Entlassungen im Technologiesektor betroffen sind. Das liegt unter anderem auch an dem ‘last hired, first fired’-Prinzip, das vielerorts zur Anwendung kommt. Denn die Arbeit der Diversity-Spezialisten hat gerade in den letzten Jahren zu Neueinstellungen von Minderheiten geführt, die nun im Zuge von wirtschaftlich begründeten Umstrukturierungen wieder entlassen werden. Dabei ist es wissenschaftlich erwiesen, dass Firmen von Vielfalt auch wirtschaftlich profitieren und heterogene Teams bessere Ergebnisse erzielen als homogene.
Digitalisierung von allen für alle
Die Folgen einer solchen Entwicklung sind verheerend und betreffen nicht nur die Technologiebranche. Denn digitale Lösungen werden in unserer Gesellschaft immer wichtiger. Die Digitalisierung darf nicht einer homogenen Gruppe überlassen werden. Im Gegenteil, es ist für ihren Erfolg und eine demokratische Gesellschaft maßgeblich, dass die Perspektiven von People of Color, Frauen und Menschen mit Behinderungen berücksichtigt werden. Es ist höchste Zeit, die Barrieren in der Technologiebranche endgültig und nachhaltig abzubauen, denn nur so können wir eine digitale Zukunft für alle gestalten.
Tipp: Arbeiten hier keine Frauen? Nee, die sind rar!
Über die Autorin
Florentine Draeger, 29, ist seit Oktober 2019 als Frontend-Entwicklerin bei der Hamburger Agentur „Protofy” für Web- und App-Entwicklung beschäftigt. Nach dem Abitur zunächst mit dem Medizin- und Jura-Studium gestartet, kam es der Quereinsteigerin lange Zeit nicht in den Sinn, sich mit Coding und Computer Science zu beschäftigen – geschweige denn, damit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Durch eine Bekannte wird sie auf das Berufsfeld Informationstechnik aufmerksam, nimmt an einem Coding-Bootcamp teil und entdeckt dort ihre Leidenschaft für die IT. Nach erfolgreicher beruflicher Umorientierung setzt sie sich nun – unter anderem als ehrenamtliche Mentorin beim Programm „Technovation Girls Germany“ – dafür ein, dass Mädchen und Frauen einen Zugang zur IT finden, ihr technisches Interesse gefördert wird und stereotype Rollenbilder abgebaut werden. Florentine Draeger ist sich sicher: Mädchen und Frauen haben einen Platz in der Tech-Branche. Um diesen zu finden, braucht es lediglich mehr weibliche Vorbilder und Initiativen, die Barrieren abzubauen.
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