#Gastbeitrag

Wie alternative Finanzierungsformen Optionen für Gründer schaffen

Venture Capital spielt weiter eine wichtige Rolle bei der Finanzierung neuer Unternehmen. Doch insbesondere in Zeiten volatilerer Märkte und schwierigerem Fundraising rücken alternative Finanzierungsformen ins Rampenlicht. Ein Gastbeitrag von Christian Stein.
Wie alternative Finanzierungsformen Optionen für Gründer schaffen
Donnerstag, 24. November 2022VonTeam

Es ist noch nicht viele Jahre her, als Eigenkapital praktisch die einzige Möglichkeit war, ein Startup oder junges Wachstumsunternehmen zu finanzieren, ob von einem traditionellen VC oder von Angels. Nicht selten fanden sich Gründer in einer „Take it or leave it“-Situation. In Europa begann sich die Situation vor etwa fünf Jahren zu ändern, als nach und nach neue Finanzierungs- und Kapitalformen eingeführt wurden.

Das traditionelle, mit Eigenkapital finanzierende Venture Capital spielt nach wie vor eine wichtige Rolle bei der Finanzierung neuer Unternehmen und wird auf Grund seiner Fähigkeit, auch unter Unsicherheit große Geldbeträge bereitzustellen, unverzichtbar bleiben. Doch insbesondere in Zeiten volatilerer Märkte und schwierigerem Fundraising rücken alternative Finanzierungsformen ins Rampenlicht. Und darüber hinaus kann ein Mix aus Finanzierungsformen ein Unternehmen auch generell widerstandsfähiger machen.

Die Zukunft des Fundraisings besteht darin, die richtige Art von Kapital zur richtigen Zeit aufzunehmen.

Da das einfacher gesagt als getan ist, hier zur Orientierung eine kleine Übersicht der wesentlichen Arten:

Venture Capital (Eigenkapital)

  • Modell: Investment im Tausch gegen einen Teil des Eigentums und Kontrolle am Unternehmen
  • Pro: Der Investitionsbetrag ist quasi unbegrenzt und kann in den frühesten Phasen bereitgestellt werden (d.h. Fundraising nur mit einer Idee ist möglich); VC bietet (idealerweise) Coaching und Netzwerk
  • Contra: Verwässerung und teilweiser Kontrollverlust; normalerweise die teuerste Art von Kapital (was in Ordnung ist, wenn man das Risiko berücksichtigt, das es tragen kann); das Geschäftsmodell von VC besteht darin, außergewöhnliche Renditen/Exits zu erzielen, selbst wenn dies bedeutet, in manchen Fällen höhere Risiken (und höhere Burn Rate) zu akzeptieren, ggf. auch zu Lasten der wirtschaftlichen Nachhaltigkeit des Geschäfts
  • Voraussetzungen: Potenzial eines „outlier return“/Exit, z.B., sehr starkes Wachstum und Umsatzpotenzial in einem sehr großen Markt
  • Die richtige Wahl, wenn: dein Unternehmen das realistische Potenzial hat, innerhalb von 5–7 Jahren groß und wertvoll zu werden, und du dafür viel Geld benötigst (z.B. mit einer Burn Rate von >250k); oder das Unternehmen befindet sich noch in der Seed-Phase

Venture Debt (mit Warrant)

  • Modell: Darlehen mit Zinsen plus Option, einen vorab vereinbarten Anteil am Exit-Erlös zu erhalten; somit basiert das Geschäftsmodell von Venture Debt-Anbietern maßgeblich auf erfolgreichen Exits, was sie in die gleiche Kategorie mit den gleichen Implikationen einordnet wie VCs
  • Pro: Kann eine bestehende Finanzierung erheblich erhöhen, um ein noch stärkeres Wachstum (und einen höheren Burn) zu unterstützen, ohne die entsprechende Verwässerung einer gleichwertigen Eigenkapital-/VC-Finanzierung 
  • Contra: Mit dem Warrant gibt man effektiv einen kleinen Teil des Unternehmenswertes ab, was Verwässerung bedeutet; es ist keine Alternative zu VC, da (a) ein Eigenkapitalinvestor/VC von praktisch allen Anbietern vorausgesetzt wird und (b) das gleiche Exit-/bewertungsgetriebene Geschäftsmodell zu Grunde liegt – Venture Debt ist im Wesentlichen eine Erweiterung von bzw. ein Hebel auf Eigenkapital/VC
  • Voraussetzungen: Eigenkapitalinvestor/VC muss gleichzeitig in erheblichem Umfang mit investieren
  • Die richtige Wahl, wenn: dein Unternehmen über ein außergewöhnliches Wachstumspotenzial verfügt und viel Geld effektiv verwenden kann, um massiv zu skalieren

Revenue-based financing: lange Zeiträume (meistens Umsatzbeteiligung) 

  • Modell: Darlehen gegen eine befristete Umsatzbeteiligung
  • Pro: komplett nicht-verwässernd und unabhängig von anderen Investoren; „leichtgewichtige“ Finanzierung, da sich die Rückzahlungen an die Unternehmens-Performance anpassen und zum großen Teil erst nach einigen Jahren geleistet werden müssen; bewahrt Freiräume für zukünftige strategische Entwicklungsentscheidungen auf Grund geringerer Abhängigkeit von Exits und Bewertungen
  • Nachteil: Finanzierungsbetrag in der Regel begrenzt auf <50% der aktuellen annualisierten Umsätze (oder ARR)
  • Voraussetzungen: funktioniert nicht in Seed-Phase oder bei geringen Umsätzen
  • Die richtige Wahl, wenn: dein Unternehmen nach Wachstumsfinanzierung sucht und eine nachhaltige Burn Rate von <250k hat; eignet sich gut für VC-finanzierte Unternehmen, um den Runway zu verlängern oder die Verwässerung unter Kontrolle zu halten; oder wenn ein Unternehmen den traditionellen Weg der VC-Finanzierung nicht gehen kann oder will
  • Sehr wichtig sind die Rückzahlungszeiträume, um die richtige Art des Kapitals für den jeweiligen Use Case einzusetzen: Rückzahlungszeitraum von 1 Jahr nur für kurzfristige Investitionen wie working capital, Marketing-Kampagnen oder Aufstockung von Inventar; Rückzahlungszeitraum von >3 Jahren für langfristige Investitionen wie Produktentwicklung, Personalaufbau oder Brand Building

Revenue-based financing: kurze Zeiträume (meistens „Prepaid“-Darlehen oder Factoring) 

  • Modell: kleine Darlehen (meistens <500k) von Fintech-Plattformen mit Zinszahlung zu Beginn als Abschlag auf den Darlehensbetrag plus monatliche Tilgung; oder Verkauf von Kundenverträgen bzw. Forderungen, um den jeweiligen Vertragswert mit einem Abschlag unmittelbar ausgezahlt zu bekommen (Cash Flow wird „nach vorne gezogen“); (die meisten der in den letzten zwei Jahren neu gestarteten RBF-Investoren gehören zu einer dieser beiden Kategorien)
  • Pro: schneller und einfacher Finanzierungsprozess durch hohen Automatisierungsgrad; Finanzierungsvolumen kann sehr flexibel hoch- und runtergefahren werden
  • Contra: >50% des Darlehensbetrags muss häufig schon nach 6 Monaten zurückgezahlt sein; oder zukünftiger Cash-In von Kunden wird lediglich vorgezogen und kann später fehlen; kurzfristiger Zeithorizont und verringerter zukünftiger Cash-In macht es schwer, langfristiges Wachstum zu finanzieren
  • Voraussetzungen: relevant Umsätze
  • Die richtige Wahl, wenn: schnell kleinere Geldbeträge benötigt werden (<1 Mio.), um Monate mit geringem Cashflow oder einmalige Kosten für Projekte mit kurzer Amortisationszeit zu decken (z.B. im Vertrieb, Marketing oder für working capital)

Term Loans

  • Modell: ähnelt meist traditionellen Darlehen, d.h. verzinslich und/oder mit einmaliger Rückzahlung („Bullet“) nach einigen Jahren
  • Pro: komplett nicht-verwässernd mit sehr einfachem Finanzierungsmodell
  • Contra: weniger Flexibilität bei der Anpassung an sich ändernde Voraussetzungen; am Ende der Laufzeit möglicherweise großer Betrag zur Tilgung fällig, der problematisch werden könnte
  • Voraussetzungen: in der Regel nur für Unternehmen mit klarem Break-Even-Pfad unabhängig von zusätzlicher Finanzierung; Die meisten Darlehensgeber benötigen außerdem eine starke Basis von Eigenkapitalinvestoren und solide Finanzen
  • Die richtige Wahl, wenn: dein Unternehmen über solide Finanzen verfügt, einen klaren Weg zum Break-Even hat und den restlichen Kapitalbedarf bis dahin mit einem einfachen Kredit decken möchte

Um von der Vielfältigkeit der Finanzierungsoptionen zu profitieren, müssen Gründer ihre Denkweise über Finanzierung und Fundraising anpassen. Drei Fragen werden entscheidend sein:

  1. Wofür brauche ich das Geld? Welche Finanzierungsform unterstützt meinen operativen Investment Case am besten? Wird die Investition des Geldes in den nächsten Monaten wirtschaftliche Erfolge bringen oder wird es ein Jahr oder länger dauern? Brauche ich nur das Geld oder brauche ich einen langfristigen Partner, der mich unterstützt? Kann diese Finanzierungsform ausreichend Liquidität zur Verfügung stellen, um meine Wachstumspläne zu unterstützen?
  2. Was ist das Geschäftsmodell des jeweiligen Investors und welche Auswirkungen hat es auf mein Unternehmen? Gibt es eine starke Übereinstimmung mit den Interessen meines Investors? Strebe ich einen „outlier success“ an? Wird dieser Investor tun „whatever it takes“, um mir beim Erreichen meiner Ziele zu helfen? Bin ich damit einverstanden, dass andere den strategischen Entwicklungspfad meines Unternehmens beeinflussen?
  3. Wie viel Risiko (und Burn Rate) möchte ich im Verhältnis zu den wahrscheinlichen Ergebnissen akzeptieren? Bietet mein Unternehmen beispielsweise wirklich das Potenzial für eine außergewöhnliche Exit-Bewertung?

Jede Fundraising-Entscheidung ist individuell – aber wenn Gründer die vielfältigen Möglichkeiten verstehen, können sie die richtige Art von Kapital zur richtigen Zeit finden.

Über den Autor
Christian Stein ist Partner bei Riverside Acceleration Capital. Seit 2007 ist er Venture Capital Investor mit Fokus auf Software- und Tech-Startups. Zuvor war Christian Mitbegründer und Geschäftsführer bei coparion, einem 275-Millionen-Euro-Fonds mit Sitz in Deutschland, und arbeitete bei zwei Startups sowie BCG und anderen Beratungsunternehmen.

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Foto (oben): Shutterstock