Warum Nachfolge das neue Gründen ist
Ein kleines Loch in einem veralteten Bürokomplex in Hannover. Ein Schreibtisch. Zwei Matratzen. Zwei frische Uniabsolventen. Ein Coffee-Bike. Dies war lange Zeit mein Alltag als Coffee-Bike Gründer. Weit weg von modernen Co-Working Spaces und coolen Kicker-Tischen – die Realität vieler Gründer sieht eben doch anders aus als das oft romantisierte Bild der Öffentlichkeit. Es war einfach hart. Ich stand selbst monatelang mit dem ersten Coffee-Bike auf dem Wochenmarkt. Teilweise nahmen wir nur 60 Euro am Tag ein – bei 100 Euro Standgebühr. Die ersten Jahre konnte ich mir gerade so viel auszahlen wie unserem Werkstudenten.
Mehr als 90 Prozent schaffen es nicht
So wie mir damals geht es auch heute noch zahllosen Gründern. Doch im Gegensatz zu Coffee-Bike, das ohne Risikokapital heute ein international erfolgreiches Franchise-Konzept mit 190 Franchise-Partnern in 17 Ländern ist, schaffen es mehr als 90 Prozent aller Start-Ups nicht über die ersten drei Unternehmensjahre hinaus. Neben Finanzierungsschwierigkeiten, sind laut KfW Gründungsmonitor auch Bürokratie sowie Belastungen für die Familie die häufigsten Hürden. Als Folge ist die Zahl an Firmengründungen in den letzten 20 Jahren um mehr als die Hälfte zurückgegangen – in den letzten zwei Jahren zusätzlich beschleunigt durch die Pandemie.
Wenn ich daran zurückdenke, wie ich damals nur so eben über die Runden gekommen bin, wird mir klar, dass ich das heute – als Familienvater – wirtschaftlich gar nicht mehr machen könnte. Dabei wäre ich heute – allein durch meine Berufserfahrung – viel besser auf das Gründen vorbereitet: Ich bin erfahrener als noch vor 12 Jahren, bringe mehr Führungskompetenz, ein starkes Netzwerk und fachliches Knowhow mit. Außerdem behalte ich länger einen kühlen Kopf, wenn es mal schwierig wird.
Unternehmerische Freiheit nur im Start-Up möglich?
Nach meinem Universitätsabschluss wollte ich in erster Linie unternehmerische Freiheit genießen, aktiv gestalten, Verantwortung übernehmen und logischerweise dann auch von meinem Erfolg wirtschaftlich profitieren. Hierfür sah ich nur die Option, ein eigenes Start-Up zu gründen. Rückblickend betrachtet war mir überhaupt nicht klar, dass viele Mittelständler schon damals händeringend nach einem Unternehmensnachfolger suchten. Erst als ein langjähriger, deutlich älterer Geschäftspartner mir seine Unternehmen zum Kauf anbot, rückte das Thema in meinen Fokus. Ich lehnte zwar ab, doch fing ich an mich mit dem Markt auseinanderzusetzten und die Zahlen sprachen – und sprechen nach wie vor – für sich: Rund 600.000 mittelständische Unternehmen müssen bis Ende 2025 eine Nachfolge finden. Sonst droht die Geschäftsaufgabe.
Nachfolge ist das neue Gründen
Während auf der einen Seite also Start-Up Gründer oft an einem nicht ausgereiften Geschäftsmodell, Finanzierungsschwierigkeiten oder privaten Belastungen scheitern, stehen auf der anderen Seite Mittelständler, deren Strukturen gewachsen und erprobt, deren Geschäftsmodelle profitabel sind, die aber keinen Nachfolger finden, um das Unternehmen am Leben zu halten.
In den kommenden Jahren möchten wir aus dieser Lose-Lose Situation ein Win-Win für beide Seiten machen: Wir erwerben mittelständische Familienunternehmen, mit dem Ziel sie langfristig fortzuführen. Anders als im Private Equity streben wir keinen Weiterverkauf an, da es vielen Unternehmern besonders wichtig ist, dass ihr Lebenswerk in gute Hände kommt und ihre Mitarbeiter auch in Zukunft einen sicheren Arbeitsplatz haben. Für die operative Geschäftsführung suchen wir dann Talente aus der Start-Up Szene, die das Lebenswerk ihres Vorgängers als sogenannter „Nachfolge-Unternehmer“ und Co-Gesellschafter erfolgreich in die Zukunft führen – mit frischem Wind und neuen Kompetenzen, insbesondere im Bereich Digitalisierung.
Den Mittelstand erhalten
Das passende Unternehmen in der Praxis zu finden ist jedoch nicht einfach. Damit ein Unternehmen in Frage kommt, müssen viele Kriterien erfüllt sein: Neben einem EBITDA von mindestens 750.000 Euro prüfen wir intensiv die Branche, die Financials und das Geschäftsmodell. Wir haben allein in den letzten sechs Monaten 250 Unternehmen im Detail analysiert – nur weniger als 1 % kommen wirklich für eine Übernahme in Frage. Dafür sind die Unternehmen, die diese Prüfung überstehen, nicht nur wirtschaftlich sehr stabil, sondern bieten auch erhebliche Chancen in der Zukunft.
Der deutsche Mittelstand ist weltweit anerkannt, erwirtschaftet seit Jahrzehnten einen erheblichen Anteil des deutschen Bruttoinlandsproduktes und sichert somit unseren Wohlstand und mehr als jeden zweiten Arbeitsplatz. Wenn ich den Gedanken der Nachfolge als das neue Gründen weiter etabliere, will ich auch einen gesellschaftlichen Mehrwert schaffen: Dass der deutsche Mittelstand von heute auch morgen noch erfolgreich ist.
Über den Autor
Tobias Zimmer ist mit seinem 2010 gegründeten Unternehmen Coffee-Bike inzwischen selbst vom Startup zur Mittelstandsgröße gewachsen. Mit dem Konzept des Cafés auf Rädern ist er mittlerweile in 17 Länder expandiert. Mit seinem neuen Startup Tradineo möchte er de in vielen mittelständischen Unternehmen schwelende Nachfolgefrage lösen.
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