#Gastbeitrag
Vergesst mal die Performance-Marketing-Denke
Die Negativ-Schlagzeilen reißen einfach nicht ab: Zahlreiche Mitarbeitende bekannter Start- und Scaleups stehen nun auf der Straße. Auch vor Investitionen in manche Unternehmen wird punktuell gewarnt. Nun ja, gerade ist Krieg, und die Inflation ist groß. Und nicht jeder Business Case ist ganz sauber geplant. Aber läuft vielleicht noch etwas anderes nicht richtig rund?
Aus Marketingsicht lautet meine These: Viele Start- und Scaleups vernachlässigen ihre Marke – auch nach Jahren. Klar – am Anfang setzen tech-orientierte Startups auf Leadgenerierung über Klicks, um schnell Nutzer zu generieren. Deshalb denken sie stark vom Produkt aus und sprechen über reines Performance-Marketing ihre potenziellen Kund:innen an. Oft genug werfen sie mit Promotion-Codes um sich. Der Effekt verpufft aber schnell, da auch die Konkurrenz Rabatte bietet und über die gleichen Performanceansätze die gleichen Kundenpotenziale ansprechen. Das Produkt oder der Service wird austauschbar. Deshalb gilt, sich spätestens nach zwei bis drei Jahren um den Markenaufbau zu kümmern.
Doch wie funktioniert das genau? Zunächst einmal geht es dabei um ein tiefes Verständnis für die Adressaten. Um die eigene Zielgruppe kennenzulernen und aussagekräftige Kundenprofile zu erstellen, hilft eine Evaluierung über gesammelte Daten. Klassische Marktforschung ist hier das Tool der Wahl und kann auch mit kleinen Budgets umgesetzt werden, wenn man sich auf die richtigen Fragen konzentriert. So zum Beispiel: Welche Motivationen und Bedürfnisse haben die Kunden wirklich im Markt? Und wie beurteilen die Menschen die Anbieter im Markt?
Ein weiterer Faktor ist eine austauschbare Kommunikation. Die meisten Lieferdienste etwa betonen nur ihre Service-Attribute, statt die emotionale Ebene der Menschen anzusprechen: „Unser Service funktioniert schnell und unkompliziert.“; „Bezahle, wie du willst.“; „Wir liefern innerhalb von Minuten“. Sicherlich sind das tolle Vorteile. Aber was darüber hinaus Kund:innen motivieren soll, bleibt unklar. So austauschbar wie die Kommunikation ist, so austauschbar scheint auch der Service zu sein. Oft unterscheiden sich die Unternehmen für mich nur noch in ihrem Logo oder ihrer Corporate Identity voneinander.
Warum achten Gründer und Marketingverantwortliche von Start- und Scaleups nicht auf einen sauberen Markenaufbau? Die Antwort liegt für mich in einem Missverständnis darüber, wie Marketing funktioniert: „Schärfe ich meinen Markenkern und widme mich einem nachhaltigen Markenaufbau, dann schließe ich automatisch bestimmte Personen aus. Die potenzielle Masse aus Kund:innen, die ich anspreche, wird damit differenzierter und kleiner.“ Dabei ist das Gegenteil der Fall: Je stärker und differenzierter die Marke wahrgenommen wird, desto attraktiver wird man für potenzielle Käuferschaften und desto besser konvertiert man.
Startups als Marke verankern
Langfristig attraktiv ist, wer edgy ist – wer eine Marke hat, die für bestimmte Attribute steht. Wie also kann ein Markenaufbau gelingen? Über eine Kommunikationsstrategie, die neben der inhaltlichen Seite sich nicht nur auf Facebook & Co konzentriert, wo neben Anzeigenschaltung Content-Marketing das Höchste der Gefühle ist. Es braucht emotionalen Markenaufbau und dafür einen gut geplanten Medienmix, der vor allem auch in die breite Masse geht und so zukünftige Potenziale anspricht.
Weitaus mehr Personen – als die über Performance getrackten in den Online-Medien – erreicht man immer noch über die klassischen Medien, und zwar über TV, Radio oder Out of Home (OOH). So dringen Marken in unseren kulturellen Raum ein – man spricht über sie und sie etablieren sich in unseren Köpfen. Ein gutes Beispiel dafür ist die mobile Bank N26. In den ersten Jahren nach Gründung in 2013 lief ihre Kommunikation ausschließlich über ihr innovatives Produkt – die neuen revolutionären Funktionen und Services ihrer Banking-App. Und das online. Aber als ausreichend Budget da war, wurde sich um den Markenaufbau gekümmert. Mit ihrer ersten deutsche Image-Kampagne in 2018 und frechen Sprüchen wie „Bankfilialen sind sooo 90er“ oder „Nicht die Bank deines Opas“ positionierte sich N26 emotional als die junge Bank der Zukunft – und differenzierte sich so von Konkurrenten wie ING oder comdirect. Die Kampagne wurde bewusst auch mit Plakaten (OOH) und einem TV-Spot, der auf ProSieben, Dmax, RTL, Welt, n-tv und Sport1 zu sehen war, unterstrichen. Heute ist N26 Deutschlands wertvollste FinTech-Marke – und sogar wertvoller als die Commerzbank.
Es kommt also auf viele Bausteine für einen gelungenen Markenaufbau an. Wer sich als Gründer oder Marketingverantwortlicher eines Start- oder Scaleups traut, die Zielgruppen segmentierter zu sehen und den emotionalen Markenaufbau größer zu spielen, der steht auch bei den nächsten Schwankungen des Weltmarktes auf stabileren Beinen.
Über den Autor
Peter Kiefer ist Geschäftsführer der Hamburger Strategieberatung PUNCH.
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