#Gastbeitrag
Ein Loblied auf den Südwesten Deutschlands
Jeder zweite in Startups investierte Euro landete im ersten Halbjahr 2022 in Berlin. Damit bleibt die Hauptstadt mit rund 40 % aller hierzulande gezählten Finanzierungsrunden der unangefochtene Hotspot der deutschen Start-up-Szene. Doch auch wenn sich auf absehbare Zeit wenig an Berlins Ausnahmestellung ändern wird, lohnt es sich einen Blick auf den Rest der Republik zu werfen. Denn sich nur auf die bekannten Startup-Hochburgen zu konzentrieren, neben der Stadt an der Spree sind sicherlich auch Hamburg, München und Köln zu nennen, wäre zu kurz gegriffen. Schließlich gibt es auch in der vermeintlichen Provinz etliche vielversprechende Jungunternehmen und ein reges Gründungsgeschehen.
Diese Städte fernab der genannten Hubs bieten Gründer:innen ein gutes Zusammenspiel von Bildungseinrichtungen, Unternehmen, Investor:innen, Kund:innen und regionaler Förderung. Dies gilt etwa für den Standort Baden-Württemberg, den folgende Aspekte auszeichnen:
Enge Verknüpfung mit Technischen Universitäten
Ob Tübingen, Heidelberg oder Karlsruhe: All diese Orte verfügen über Spitzenuniversitäten, zudem sind insgesamt vier von bundesweit elf sogenannten Exzellenzuniversitäten in Baden-Württemberg zu finden. Im Rennen um den Exzellenztitel war kein Bundesland so erfolgreich wie der Südwesten.
Insbesondere das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), das eine erstklassige Ausbildung in Studiengängen wie Informatik oder Ingenieurwissenschaften bietet, sticht dabei in punkto Neugründungen hervor. Schließlich entstehen neue Unternehmen besonders häufig in Verbindung mit einer Technischen Universität. Positiv wirkt sich zudem die Nähe zu weiteren (Technischen) Universitäten wie Darmstadt, Freiburg, Heidelberg, Kaiserslautern, Mannheim, Saarbrücken, Stuttgart und Tübingen aus: Sie ermöglicht weitere Synergieeffekte und sorgt für eine besondere Konzentration an gut ausgebildeten Talenten.
Dieser Konstellation ist es zu verdanken, dass an diesen Standorten im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung viele neue Unternehmen entstehen. sevDesk, Volocopter, Anydesk oder die Karlsruher Plattform für Luxusuhren Chrono24 sind nur einige Beispiele.
Übrigens sind etliche heute erfolgreiche Start-ups den genannten Universitäten entsprungen. Beispielsweise das Karlsruher Recruiting-Startup Workwise. Das gebootstrappte Jungunternehmen wurde aus der der Uni heraus gegründet und verzeichnet ein starkes organisches Wachstum. Bis zum kommenden Jahr soll die Zahl der Kund:innen auf über 3.000 steigen und auch die Anzahl der Mitarbeitenden soll auf 300 verdoppelt werden.
Ein weiteres Beispiel ist Daedalus, ein Entwickler autonomer CNC-Fertigung mit Büros in Karlsruhe und im Silicon Valley. Der Gründer hat am KIT studiert und konnte im Silicon Valley bei Stripe und Open AI Erfahrungen sammeln. Prominente Investor:innen wie Khosla Ventures und Addition haben das Potenzial des Start-ups bereits erkannt.
Starker Fokus auf Deep Tech
Anders als Geschäftsmodelle in Berlin richten sich Start-ups im Südwesten der Republik besonders auf den B2B-Bereich aus und sind stark industriegetrieben. Besonders häufig vertreten sind dabei Software-as-Service-Angebote mit einem starken Fokus auf Deep Tech. Und in noch einem weiteren Punkt unterscheiden sich die Start-ups in Baden-Württemberg: Die Gründenden haben zwar ein großes technisches Know-how, allerdings fehlt ihnen oft unternehmerische Erfahrung. Es mangelt ihnen an betriebswirtschaftlichen Kenntnissen, beispielsweise wie man Geschäfts- und Finanzierungspläne erstellt. Auch sind sie weniger erfahren bei Wagniskapitalfinanzierungen und sie haben noch nicht das nötige Wissen, das in diesem Zusammenhang erforderlich ist. Beispielsweise wie ein Pitch Deck erstellt wird.
Festzuhalten ist jedoch, dass die Gründenden aufholen und aufgrund der sich langsam entwickelnden Start-up-Historie eine Professionalisierung zu erkennen ist. Das liegt auch den Netzwerkeffekten des Bundeslandes Baden-Württemberg, denn erfolgreiche Gründer:innen geben ihr Wissen weiter, das sie durch Angel Investments in der Frühphase oder durch Beratung gesammelt haben.
Netzwerk aus Acceleratoren, Forschungsinstituten und Angel Investoren
Doch Baden-Württemberg bietet nicht nur hervorragende Universitäten. Vorteilhaft auf Neugründungen wirkt sich ebenfalls der strukturelle Standortvorteil aus und weil zusätzlich auch Acceleratoren, Angel Investor:innen, Forschungsinstitute andere VCs in der Region ansässig sind. Programme wie das Cyberforum in Karlsruhe, der Gründermotor in Stuttgart oder das städteübergreifende Up2B-Programm unterstützen Start-ups dabei sich auf eine Wagniskapitalfinanzierung vorzubereiten. Und das Land Baden-Württemberg bietet darüber hinaus gute Fördermöglichkeiten. Dank dieser guten Voraussetzungen und der aktiven Unterstützung von Ideen schaut auch die VC-Szene inzwischen genauer auf das Bundesland. Folglich ergeben sich positive Netzwerkeffekte, was die Entwicklung von Baden-Württembergs Start-up-Szene beschleunigt. Kennzeichnend dabei ist, dass das Netzwerk kein Single-Hub wie München, Berlin, London oder Paris ist, sondern vielmehr ein Cluster mit Knotenpunkten, die sich mehr und mehr vernetzen.
Das Beste aus zwei Welten – lokal mit internationaler Ausrichtung
Ungeachtet der Coronapandemie und einer stärkeren Ausrichtung auf Remote Work machen die guten örtlichen Voraussetzungen den südwestlichen Standort zu etwas Besonderem. Mit der Folge, dass Unternehmen wie Paretos sogar gezielt in die Region ziehen, um von dem starken Netzwerk zu profitieren. Natürlich profitieren die Start-ups in der Region auch davon, dass sich Remote Work stärker durchgesetzt hat. Im Kampf um die besten Talente können Start-ups neue Mitarbeitende einstellen, unabhängig von ihrem Wohnort. Das sehen wir ebenfalls bei unseren Portfoliounternehmen, von denen einige beispielsweise inzwischen auch international einstellen.
Aus Investorensicht bietet Baden-Württemberg mit seinem Technologiecluster die besten Grundvoraussetzungen. Obwohl wir bereits vielfach regional investiert haben, schauen wir natürlich über die Grenzen des Bundeslandes hinaus. Ein großer Teil unserer Arbeit besteht aus der Vernetzung mit Start-ups und anderen Kapitalgeber:innen – deutschlandweit und international. Ein Ansatz, den wir mit unseren Portfoliounternehmen teilen: So haben Flip, Smart Steel Technologies und Enscape beispielsweise auch Standorte in den USA oder UK und expandieren weltweit. Basierend auf unseren bisherigen Erfahrungen sehen wir daher enormes Potenzial im Südwesten und betrachten ihn als starke Basis, um global zu denken und zu handeln.
Über den Autor
Nils Seele ist Partner beim strategischen Investor LEA Partners. Seit fünf Jahren baut, investiert und leveraged er Deep-Tech-Firmen. Mit Beiratsmandaten in Firmen wie Aleph Alpha, sevDesk oder Flip unterstützt er Deep-Tech-Unternehmen dabei marktführende Positionen zu erreichen.
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