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Von Sternchen bis Doppelpunkt: Sollten Startups gendern?

Beim Thema Gendern scheiden sich die Geister. Doch gerade dann, wenn ein Startup eine Website betreibt oder neue Teammitglieder sucht, kommt es nicht darum herum, sich mit diesem Thema auseinanderzusetzen. Hier die wichtigsten Faktoren, die Sie bei ihrer Entscheidungsfindung berücksichtigen sollten. Ein Gastbeitrag von Michael Witzenleiter.
Von Sternchen bis Doppelpunkt: Sollten Startups gendern?
Donnerstag, 6. Oktober 2022VonTeam

Betrachtet man die Studien, die in den vergangenen paar Jahren innerhalb der deutschen Bevölkerung durchgeführt wurden, scheint die Sachlage klar: Die Mehrheit der in Deutschland lebenden Menschen lehnt die genderneutrale Sprache noch immer ab. Einer Befragung zufolge, die die Welt am Sonntag in Auftrag gab, hat sich die Ablehnung 2021 im Vergleich zum Vorjahr sogar noch einmal gesteigert. Während 2020 noch 56 Prozent gegen das Gendern waren, stieg die Zahl im Jahr 2021 sogar auf 65 Prozent. Bedeutet das also, dass Startups lieber auf Doppelpunkte oder Sternchen verzichten und alles beim Alten belassen sollten? Wie so oft lässt sich auch diese Frage nicht pauschal beantworten. Beim Thema Gendern gibt es nicht die eine Lösung, die sich auf alle Startups anwenden lässt. Aber es gibt einige Faktoren, die bei der Entscheidungsfindung berücksichtigt werden sollten. Je nach Branche, Geschäftsmodell oder Unternehmenskultur kann die Gewichtung nämlich völlig unterschiedlich ausfallen.

Was ist mein Produkt?

Bei der Frage, ob ein Startup gendern sollte oder nicht, lohnt es sich, zunächst einen genaueren Blick auf das angebotene Produkt zu werfen. Je nachdem, worum es sich hierbei konkret handelt, könnte die Verwendung genderneutraler Sprache nämlich unterschiedlich relevant sein. Wenn beispielsweise Küchenutensilien wie eine Knoblauchpresse oder eine Obstschale auf Amazon zum Verkauf angeboten werden, legen die potenziellen Kund:innen eventuell weniger wert darauf, wie sie angesprochen werden. Ihnen geht es wahrscheinlich eher darum, das beste Produkt für den günstigsten Preis zu ergattern. Außerdem spielt auch die Verwendung der gängigen SEO-Begriffe hier eine wichtige Rolle. Wenn also in der Beschreibung „Hobbyköch:innen“ anstatt des „Hobbykochs“ angesprochen werden, könnte das Produkt bei der Suche durchs Raster fallen, was sich wiederum in geringeren Umsätzen niederschlagen wird.

Hat ein Startup hingegen eine Mental Health-App entwickelt, könnte die Verwendung gendergerechter Sprache sehr viel mehr ins Gewicht fallen. Im Vergleich zu Produkten, die auf Marktplätzen wie Amazon angeboten werden, geht es hier weniger um das Abdecken wichtiger SEO-Begriffe. Stattdessen wünschen die Nutzer:innen sich vermutlich eine achtsam gewählte Sprache, von der sich alle Geschlechter gleichermaßen angesprochen fühlen können. Und auch bei anderen Produkten oder Dienstleistungen, in deren Kontext es eher auf stilistisch hochwertige Sprache ankommt, kann es sich als wichtiger herausstellen, das Thema Gendern zu berücksichtigen.

Wer ist meine Zielgruppe?

Eng damit verbunden ist auch die Frage nach der Zielgruppe. Denn wie Studien belegen konnten, spielen Faktoren wie das Alter oder das Geschlecht eine ausschlaggebende Rolle bei der Frage, ob Menschen sich eine genderneutrale Sprache wünschen oder diese eher ablehnen. Wie das Augsburger Institut für Generationenforschung herausgefunden hat, ist die Gruppe derjenigen, die das Gendern am meisten befürwortet, weiblich, hat einen Hochschulabschluss und ist zwischen 30 und 45 Jahre alt. Generell sind es eher Frauen, die es wichtig finden, diese Debatte zu führen, wie das Institut weiterhin belegen konnte. Während mit 61 Prozent der Großteil der männlichen Befragten es als eher unwichtig erachtete, über die Verwendung genderneutraler Sprache zu diskutieren, sagten dies bei den Frauen nur 38 Prozent. 

Wenn ein Startup überlegt, ob es gendern oder dies lieber unterlassen sollte, um keine potenziellen Kund:innen zu verprellen, lohnt es sich also, die Bedürfnisse der angesprochenen Zielgruppe genaustens zu analysieren. Wenn es zum Beispiel Produkte zur Bartpflege verkauft, kann es vermutlich eher auf Gendersternchen oder -doppelpunkte verzichten – nicht nur, weil ohnehin eine überwiegend männliche Kundschaft angesprochen wird, sondern weil sich diese von gendergerechter Sprache eher gestört als angesprochen fühlen und deshalb vielleicht von einem Kauf absehen könnte, wie die genannten Studien nahelegen. Soll jedoch eine diverse oder eher weibliche Zielgruppe angesprochen werden, lohnt es sich in jedem Fall, zu gendern. 

Ähnliches gilt auch für die Altersstruktur, denn laut dem Augsburger Institut für Generationenforschung lehnen ältere Menschen genderneutrale Sprache im Vergleich zu jüngeren Generationen eher ab. Auch die Frage, wie genau gegendert werden sollte, hängt mit dem Alter zusammen: Während Menschen über 50 am ehesten die Schrägstrich-Schreibweise (Käufer/innen) wählen würden, präferieren die unter 50-Jährigen die Verwendung des Gender-Sternchens (Käufer*innen). Letzteres soll all jenen Raum geben, die sich keinem der binären Geschlechter zugehörig fühlen. Ist ein Startup sich nicht ganz sicher, welche Variante bei den Kund:innen bessere Ergebnisse erzielt, ist es sinnvoll, dies mithilfe von A/B-Tests zu analysieren.

Was ist mein Standpunkt?

Unabhängig vom Produkt oder der jeweiligen Zielgruppe eines Startups, stellt sich immer auch die Frage: Welche Perspektive vertrete ich eigentlich in dieser Debatte? Ist es mir wichtig, zu mehr Gleichberechtigung beizutragen und dies auch in meiner verwendeten Sprache widerzuspiegeln – selbst dann, wenn mich dies vielleicht einiges an Umsatz kostet? Gerade für junge Unternehmen, die noch ganz am Anfang ihrer Laufbahn stehen, ist es völlig legitim, dies mit Nein zu beantworten. Aber je größer ein Startup wird, desto eher wird es sich auch mit der Frage befassen, welche Prinzipien es nach innen und außen vertreten will. Besteht das Ziel darin, sich als innovativ, modern und weltoffen zu positionieren, wird es schnell an der Diskrepanz scheitern, die zustande kommt, wenn diese Unternehmenskultur sich nicht in der verwendeten Sprache wiederfindet. Ebenso könnte es in Zukunft Probleme bekommen, diverse Mitarbeiter:innen anzulocken – und dass sich auch ein divers aufgestelltes Team positiv auf den Geschäftserfolg auswirkt, haben Analysen längst bewiesen. 

Wie sich zeigt, hat die Gender-Debatte unzählige Facetten. Abzugrenzen, was richtig und was falsch ist, fällt deshalb nicht nur schwer, sondern ist nahezu unmöglich. Generell gilt jedoch eins: Wer sich auf der Startup-Website, in Produktbeschreibungen oder Stellenausschreibungen fürs Gendern entscheidet, muss dies auf keinen Fall auf Anhieb perfekt beherrschen. Es wird immer wieder Formulierungen geben, die im ersten Moment etwas ungewohnt klingen oder sich in der Praxis als nicht zielführend erweisen. Auch ist es gut möglich, dass SEO eine zu wichtige Rolle spielt und die Conversion nicht unter der Verwendung genderneutraler Begrifflichkeiten leiden darf. Doch allein der Versuch, mehr Raum für Diversität zu schaffen, wird bei den Zielgruppen, die das Gendern als wichtig erachten, als positiv gewertet werden. Und letztlich führt das nicht nur zu einer besseren Kund:innenbindung, sondern spiegelt auch genau das wider, wofür Startups allgemeinhin stehen, nämlich Offenheit und Innovationsgeist.

Über den Autor
Michael Witzenleiter ist CEO und Gründer von Conversion Maker.

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Foto (oben): Shutterstock