#Interview

“Wir entschieden uns, trotz der Profitabilität, die Entwicklung zu beschleunigen”

simpleclub war gut und vor allem profitabel unterwegs, dennoch stellten die Gründer das Konzept in Frage. "Wir trafen eine richtig schwere Entscheidung und mussten 15 Mitarbeiter:innen gehen lassen. Mit dem restlichen Team machten wir einen Workshop und beschlossen: Wir bauen die beste Lernapp der Welt", sagt Gründer Nicolai Schork.
“Wir entschieden uns, trotz der Profitabilität, die Entwicklung zu beschleunigen”
Dienstag, 4. Oktober 2022VonAlexander

Simpleclub aus München, das 2015 von Alexander Giesecke und Nicolai Schork gegründet wurde, positioniert sich als Lern-App für Schüler.  Die Gründer haben schon 2011, als Elftklässler mit ihrem Projekt angefangen – mit Mathematik-Erklärvideos auf YouTube. Dann kam der große Pivot! “Es wurde uns dann bewusst, dass eine Entertainment-Plattform wie YouTube langfristig nicht der richtige Ort für die Zukunft der Bildung ist. Deshalb haben wir uns entschlossen, eine eigene Technologie-Plattform zu bauen”, sagt Gründer Schork.

Das Wagnis ging auf. “Zum Schulstart im September 2021 haben wir dann unsere Growth-Engine richtig aufgedreht und sind innerhalb von drei Monaten schneller gewachsen als in der gesamten Unternehmensgeschichte davor”, erzählt Mitstreiter Giesecke. Inzwischen arbeiten 150 Mitarbeiter:innen für die Jungfirma. Im Interview mit deutsche-startups.de sprechen die simpleclub-Macher zudem über Kennzahlen, Expansion und Feedback.

Wie würdest Du Deiner Großmutter simpleclub erklären?
Schork: simpleclub ist das Schulbuch der Zukunft. Anstatt mit traditionellen Materialien wie gedruckten Schulbüchern zu lernen, die für alle gleich sind, lernen Schülerinnen und Schüler heutzutage mit der App von simpleclub in ihrem eigenen Tempo am Handy oder Laptop. Dort finden sie Inhalte, die Spaß machen: Das sind Videos, interaktive Übungsaufgaben, sie können Karteikarten erstellen und mit individuellen Lernplänen ihren eigenen Lernfortschritt messen. Schon heute hat unsere Lernapp über zwei Millionen Nutzer:innen pro Monat. Auch tausende Lehrkräfte nutzen die digitalen Inhalte als Ergänzung zum traditionellen Lehrmaterial im Unterricht.

War dies von Anfang an euer Konzept?
Giesecke: Tatsächlich hatten wir vor einigen Jahren einen großen Pivot, weshalb wir die Story von simpleclub eigentlich in zwei Teilen erzählen müssen: Wir beide, Nico und ich, kennen uns seit der fünften Klasse. Etwa in der Zehnten hatten wir die Idee, gemeinsam etwas aufzubauen. Wir haben dann ein Soziales Netzwerk entwickelt, es aber nie veröffentlicht. Das war zu der Zeit als Google+ rauskam und alle dachten, das wird das nächste Facebook. Etwa ein Jahr später kamen wir auf die Idee, Lernvideos in Mathe besser zu machen als das, was es damals gab und auf YouTube hochzuladen. Denn immer mehr Schüler:innen gingen auf die Plattform, um nach Lösungen zu bestimmten Schulthemen zu suchen. Über unsere Studienzeit hinweg haben wir das Angebot auf insgesamt 14 Schulfächer erweitert und mit zwei Millionen Abonnenten und 500 Millionen Videoaufrufen den größten Education Channel Deutschlands auf YouTube aufgebaut.

Wie ging es dann weiter?
Schork: Dann kam aber der Pivot. Bis dahin waren wir bootstrapped und hatten bereits ein Team aus 30 Mitarbeiter:innen. Es wurde uns dann bewusst, dass eine Entertainment-Plattform wie YouTube langfristig nicht der richtige Ort für die Zukunft der Bildung ist. Deshalb haben wir uns entschlossen, eine eigene Technologie-Plattform zu bauen und damit einen Pivot um 180 Grad gemacht: Weg von YouTube, hin zu Education Tech. Allerdings haben wir auch gemerkt, dass wir mit den 30 Leuten im Team keine Tech Company aufbauen können. Wir trafen eine richtig schwere Entscheidung und mussten 15 Mitarbeiter:innen an einem Tag gehen lassen. Mit dem restlichen Team machten wir einen Workshop und beschlossen: Wir bauen die beste Lernapp der Welt. Das haben wir dann gleich sehr erfolgreich angefangen und im ersten Jahr der App – das war 2019 – bereits 500.000 Euro Gewinn gemacht. Der eigentliche Plan war, so organisch weiter zu wachsen, doch dann kam 2020 Corona. Mitte März wurden Schulen in ganz Deutschland geschlossen und uns war klar, wir müssen schnell handeln. Sofort haben wir eine Hilfsaktion gestartet und Schulen und Lehrer:innen den Vollzugang unserer App für die Zeit der Schulschließungen kostenlos zur Verfügung gestellt. In nur wenigen Tagen wurden 1,9 Millionen Lizenzen im Wert von über 30 Millionen Euro verteilt. Dieser Zuspruch, auch von Lehrkräften, hat uns gezeigt, dass wir nicht nur eine Lernhilfe am Nachmittag bei den Hausaufgaben oder zur Klausurvorbereitung sind. Wir hatten jetzt die Chance, direkt in den Unterricht integriert zu werden und damit zum Kernprodukt der Bildung zu werden. In der Folge entschieden wir uns, trotz der Profitabilität die Entwicklung von simpleclub zu beschleunigen und holten mit HV Capital unseren ersten Investor an Bord. Die Strategie war es, ein Jahr lang nicht in Wachstum zu investieren, sondern in das Produkt und haben unsere Retention, Unit Economics, LTV:CAC und andere Kennzahlen maßgeblich verbessert.

Und, ging der Plan auf?
Giesecke: Zum Schulstart im September 2021 haben wir dann unsere Growth-Engine richtig aufgedreht und sind innerhalb von drei Monaten schneller gewachsen als in der gesamten Unternehmensgeschichte davor. Daraufhin haben wir die Gründer von den Unicorn-Scaleups FlixBus, Schüttflix, CoachHub und sennder gewonnen, bei uns als Business-Angels einzusteigen. Vor Kurzem haben wir eine Series A Finanzierungsrunde in Höhe von 7,2 Millionen Euro abgeschlossen und 10x Founders als Lead Investoren dazu gewonnen – trotz der schwierigen Marktsituation. Der Plan ist es, bis Ende des Jahres die internationale Expansion zu starten. Dahinter steckt auch ein moralisches Ziel, denn jemand hat es mal so ausgedrückt: In Deutschland macht ihr Bildung besser. In anderen Ländern könnt ihr Bildung überhaupt erst ermöglichen.

Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Giesecke: Unser Geschäftsmodell ist in zwei Segmente aufgeteilt: Zum einen erreichen wir mit der simpleclub App Schülerinnen und Schüler von der fünften bis zur dreizehnten Klasse (B2C). Auf der anderen Seite haben wir Unternehmenskunden (B2B), die mit unserer Hilfe die Ausbildungsinhalte für Azubis digitalisieren, um ihnen zeitgemäße Lernangebote mittels Lernapp zu machen, die viele schon aus der Schulzeit kennen. Im Kern funktionieren beide Segmente genau gleich: Nutzer:innen kaufen ein Abo, um den Vollzugang zur App zu erhalten. Damit erhalten sie alle Lerninhalte und Features wie Videos, Übungsaufgaben, Lernpläne, Karteikarten und Zusammenfassungen. Im Schulbereich sind Eltern die zahlenden Kunden, in der Ausbildung sind es die Unternehmen, die Lizenzen für ihre Auszubildenden erwerben.

Wie genau sich euer Unternehmen seit der Gründung entwickelt?
Schork: Heute sind wir ein Team aus über 150 Mitarbeitern, darunter Top Talents von HelloFresh, Klarna, Zalando, FreeNow, Vodafone, Amazon, Delivery Hero und anderen. Unser aktueller Jahresumsatz liegt im mittleren siebenstelligen Bereich, was überdurchschnittlich im Vergleich zu anderen Series A Startups ist. Wir haben über zwei Millionen monatliche Nutzer:innen und sind nachgewiesenermaßen die bekannteste und beliebteste Lernapp für Schule und Ausbildung in Deutschland. Das hat eine repräsentative Umfrage mit Kantar ergeben. Letztes Jahr wurden wir von Statista und Business Punk zum Nummer eins Startup Arbeitgeber im Bereich Bildung gewählt.

Seit der Seed-Runde  seid ihr somit von 30 auf über 150 Mitarbeiter:innen gewachsen. Wie habt ihr das organisatorisch gestemmt?
Giesecke: Der erste Schritt war das Einstellen einer starken VP People. Mit Yasmin Ahmed haben wir sehr viel Erfahrung bei People und HR ins Unternehmen geholt. Gleichzeitig haben wir unser Recruiting Team aufgebaut und sehr gute Leute eingestellt. Insgesamt haben wir ein starkes Mittelmanagement aufgebaut und unsere OKR-Prozesse – Objectives and Key Results – ständig verbessert.

Blickt bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Giesecke: simpleclub ist anfangs sehr community-driven gewachsen, was vor allem mit unserem Start bei YouTube zu tun hatte. Für die ersten zahlenden Kunden mussten wir also keinen Cent in Werbung investieren. Als wir 2020 angefangen hatten, das erste Mal Paid Marketing zu starten, haben wir in einem Monat einen hohen fünfstelligen Betrag ohne nennenswerten Ertrag verbrannt, weil unser Setup nicht gut war. Das tat so weh, dass wir schnell gelernt haben: Wir haben einen starken Head of Growth eingestellt, der unsere Growth Marketing Engine methodisch von Null aufgebaut hat. Teil der Strategie war eine sehr enge Zusammenarbeit mit Product und User Research und so machten wir mit einem klaren Growth Plan wöchentlich Fortschritte. Dieser Prozess war maßgeblich dafür verantwortlich, dass wir heute so gute Unit Economics haben und in den letzten Monaten so stark wachsen konnten. Heute geben wir ein Vielfaches an Ad Spend aus und skalieren ständig weiter. Also am Ende ein guter Outcome, trotzdem hätten wir den Fehler gerne vermieden.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Schork: Bei unserer Unternehmenskultur. Hier gibt es eine Story: Vor Corona waren wir 30 Leute und unsere Kultur war klasse. Das war uns als Gründer immer sehr wichtig. Während der Corona-Pandemie ist unser Team um über 100 Leute gewachsen. Kombiniert mit unserer Full-Remote-Kultur haben wir keine einzige Person jemals in echt gesehen. Untereinander hatten auch alle nur über Google Meet Kontakt. Im August 2021 hatten wir dann wieder unser erstes großes Team Meeting in München mit 130 Leuten. Fünf Tage, viele Workshops und Partys geplant. Um ehrlich zu sein, waren wir echt nervös, denn wir hatten Angst, ob sich durch das Wachstum unsere Teamkultur verändert hat. Aber nach ein paar Stunden waren alle so connected und nach fünf Tagen schon richtig zusammengewachsen, dass wir unglaublich glücklich waren. Das Feedback aus dem Team war auch toll und selbst viele seniorige Mitarbeiter, die schon einige Firmen erlebt hatten, meinten, dass sie noch nie so eine Kultur wie bei uns erlebt hätten.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründern mit auf den Weg?
Giesecke: Drei Tipps, die uns extrem geholfen hätten. Erstens: Testet solange, bis ihr euren Product-Market-Fit zu 100 % gefunden habt. Zweitens: Euer Team ist euer wichtigstes Asset: Fokussiert euch darauf, die besten Leute reinzuholen. Drittens: Stay humble but always hungry: Seid euch dessen bewusst, dass ihr weniger krass seid, als ihr anfangs vielleicht glaubt. Lernt so viel wie möglich von erfahrenen Gründer:innen. Aber behaltet euch auch ein gewisses Maß an Größenwahn und seid selbstbewusst, wenn es um Dinge geht, die ihr wirklich gut könnt.

Wo steht simpleclub in einem Jahr?
Schork: In einem Jahr sind wir der Standard fürs digitale Lernen in der Schule und Ausbildung in Deutschland. Außerdem werden wir in drei bis vier internationalen Märkten starkes Wachstum aufzeigen können und die Grundlage dafür geschaffen haben, die nächste Wachstumsrakete zu zünden.

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Foto (oben): simpleclub

Alexander

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.