#Gastbeitrag
Startup Europe? Es wird Zeit für eine politische Vision
Die Zeiten für Startups in Europa könnten aktuell besser sein. Für viele Neugründungen ist die Finanzmarktflaute der erste große Härtetest – nach einigen Jahren, in denen das Geld bei Investor:innen lockerer saß.
Zusätzlich haben auch die Regierungen in Deutschland und Frankreich zuletzt die großen Hebel in Bewegung gesetzt, um ihr jeweiliges Startup-Ökosystem zu unterstützen. Die deutschen Wirtschafts- und Finanzminister investieren eine Milliarde Euro in einen Fonds zur Startup-Förderung. Gerade hat die Startup-Beauftragte der Bundesregierung einen Entwurf für die Startup-Strategie in Deutschland vorgelegt, der selbst Expert:innen der Startup-Szene positiv stimmt. Von einer Wagniskapitalquote für Rentenversicherungen über die Vereinfachung der Mitarbeitenden-Beteiligung bis hin zu mehr staatlichen Aufträgen für Startups – Deutschland will in Zukunft vieles besser machen. In Frankreich verspricht der gerade wiedergewählte Präsident Emmanuel Macron innerhalb eines Jahrzehnts 30 Milliarden Euro in Bereiche wie KI, Halbleiter, Wasserstoff und Raumfahrt zu investieren. Da kommt das Gefühl auf: Es wird geklotzt und nicht gekleckert in Europa.
Was Deutschland sich von Frankreich abschauen kann
Der Vergleich zwischen Frankreich und Deutschland verdeutlicht, wo die deutsche Regierung noch Hausaufgaben zu machen hat. Natürlich ist auch bei den französischen Nachbarn nicht alles perfekt. Jedoch platziert der Digital Riser Report der ESCP Business School, dass Deutschland unter den G7 auf dem vorletzten Platz (vor Japan) und in der G20 nur auf dem drittletzten Platz landet. Dabei sind drei zentrale Rahmenbedingungen in Deutschland besonders verbesserungswürdig:
- Risikokapital ist nur relativ schwer verfügbar.
- Es herrscht eine generelle Scheu vor unternehmerischem Risiko.
- Die Bevölkerung hat großen digitalen Aufholbedarf.
Deutschland ist also ein Land, das ungern Geld für risikoreiche Ideen ausgibt, und in dem oft die digitale Kompetenz und die Rahmenbedingungen fehlen, um gute Ideen auch umzusetzen. Das klingt nicht gerade nach einer Einhorn-Schmiede. Im Vergleich dazu haben sich andere europäische Länder wie Frankreich und Italien deutlich verbessert. Der Entwurf zur Startup-Strategie in Deutschland ist hier natürlich nicht eingerechnet; es wird noch dauern bis er umgesetzt ist und Wirkung zeigt. Aber der Schritt geht in die richtige Richtung.
Zur Wahrheit gehört in jedem Fall auch: Trotz der bisherigen Startup-Unfreundlichkeit hat Deutschland insgesamt 25 Einhörner in die Welt gebracht – viele davon in den letzten zwei bis fünf Jahren. In Frankreich sind es derzeit dagegen “nur” 18 gehörnte Wunderwesen. Der Unterschied ist jedoch: Frankreich hat eine klare Strategie und große Ambitionen. Macron hat sich daran messen lassen, bis 2025 mindestens 25 “licornes françaises” in einer Legislaturperiode ins Leben zu rufen. Im Jahr 2022 wurde dieses Ziel von 25 Einhörnern zwischenzeitlich erreicht und entsprechend feierlich per Twitter verkündet – stilecht im Steve-Jobs-Rollkragenpullover.
Was Deutschland von Frankreich lernen kann
Solche Visionen suchte man in Deutschland bislang vergeblich – die Ampel-Koalition gibt sich jedoch alle Mühe aufzuholen. Im Koalitionsvertrag haben sich die Partner viel vorgenommen und erkannt, dass große Vorhaben ungemein viel Schwung in die Förderung von Startups bringen können. Der Entwurf zur Startup-Strategie des Bundeswirtschaftsministeriums setzt hier ein wichtiges Zeichen. Dennoch bleibt das Gefühl, dass eher an kleinen Stellschrauben gedreht, und nicht der große Hebel angelegt wird.
Der Blick zu den Nachbarn beweist es: In Frankreich hat die Regierung auf Leuchtturmprojekte wie La French Tech gesetzt. Das ist eine Unternehmerplattform, die das Ziel verfolgt, die doch sehr unterschiedlichen Welten von staatlichen Institutionen und der Startup-Bubble zusammenzubringen. Darüber hinaus hat Frankreich regulatorische Programme wie “TECH.GOUV” geschaffen und signifikante Regierungsinvestitionen in Startups unternommen. Außerdem unterstützt die Initiative Business France französische Unternehmen bei der internationalen Expansion. Um aber an dieser Stelle nicht nur Frankreich über den Klee zu loben: Auch in Italien hat man durch den Italian Startup Act (ISA) einen rechtlichen Rahmen geschaffen, der Visum- und Steueranreize schafft und bereits mehr als 12.500 registrierte innovative Startups bis 2022 hervorgebracht hat.
Das zeigt: Es gibt Hebel, mit denen wir in Deutschland den digitalen Fortschritt vorantreiben können. Wir müssen diese schnell und konsequent angehen und umsetzen, statt über Digitalisierung nur zu reden. Wir haben das Talent und die Ressourcen, aber wir müssen auch die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.
3 Forderungen für ein besseres Startup-Deutschland
Was fehlt also ganz konkret, damit Deutschland seine Rolle als Startup-Schmiede Europas auch erfüllen kann?
- Fachkräfte: Die große Frage ist, wie kriegen wir die besten Talente nach Deutschland? Lösungen reichen von attraktiven ESOP-Regelungen, bis hin zu Tech-Visas. Auch die Verschmelzung Europas zu einem wirklich einheitlichen Arbeitsmarkt kann zu einem USP werden. Work-From-Anywhere ist in vielen Unternehmen heute schon Realität. Zeit, die Regulierungen des europäischen Arbeitsmarkts entsprechend anzupassen.
- Finanzierung: In Deutschland gab es durchaus Verbesserungen bei der Frühphasenfinanzierung, aber was ist mit weiter fortgeschrittenen Startups (Scaleups) und deren Finanzierung? Wie können wir verhindern, dass nicht-EU- und nicht-Deutschland-Investoren erfolgreiche deutsche Scaleups aufkaufen und Wertschöpfung extrahieren? Oder dass Scaleups z. B. in New York an die Börse gehen? Der Digitalstandort Europa braucht dringend einen besseren Zugang zu Kapital. Das bedeutet einen Kulturwandel hin zu mehr Risiko – auch im vorsichtigen Deutschland.
- Digitale Rahmenbedingungen: Es gibt auch Lichtblicke in Deutschland. Die Zeit pro Unternehmensgründung hat sich verbessert, aber auch hier gibt es Verbesserungsmöglichkeiten – bis hin zur 100%-Online-Gründung. Dabei befindet sich Deutschland dank dem “Gesetz zur Umsetzung der Digitalisierungsrichtlinie” (DiRUG) auf dem richtigen Weg. Allerdings werden damit oft nur analoge Prozesse wie der Besuch beim Notar ins Digitale übertragen, anstatt den Gründungsprozess komplett neu zu denken. Somit wird eine Gründung in Deutschland weiterhin mehrere Tage dauern. Hier glänzt ein anderes europäisches Land: Mit 18 Minuten hält Estland derzeit den Weltrekord für Online-Gründungen.
Zeit für eine europäische Vision
Am Ende ist Europa wie in so vielen Dingen nur gemeinsam stark. Es braucht in Deutschland und in Frankreich eine hervorragende Startup-Szene mit Allem, was dazugehört. Allein in ihrem eigenen Markt werden weder deutsche noch französische Startups weit kommen. Wir müssen an das europäische Projekt glauben und sicherstellen, dass die Expansion im europäischen Binnenmarkt einfacher wird – und der Finanzierungsmarkt in Europa auch für größere Scaleups attraktiv ist. Letzteres trifft für kleinere Startups meiner Meinung nach bereits zu. Viele Scaleups würden zwar gern in Europa bleiben, erwägen aber eine Abwanderung z. B. in die USA aufgrund besserer Finanzierungsbedingungen. Sollte es deshalb einen europäischen Nasdaq geben oder einen europäischen Pensionsfonds, die die Möglichkeit haben, in Unternehmen zu investieren, wie etwa in Kanada? Ideen gibt es viele und der Entwurf zur Startup-Strategie in Deutschland setzt die ersten richtigen Anreize – aber er verharrt auf nationaler Ebene. Jetzt ist es an der Zeit eine länderübergreifende Vision zu formulieren – für unser Land und für Europa.
Über den Autor
Torben Rabe leitet das Deutschlandgeschäft bei Qonto. Das Unternehmen ist europäischer Marktführer im Finanzmanagement für Gründer, Selbstständige und KMU. Rabes Begeisterung gilt dem Thema Banking in Verbindung mit Technologie. Seine Karriere begann er 2015 bei Oliver Wyman im Bereich Geschäfts- und Digitalstrategien für Banken. Mit weiteren Stationen bei Lendico und Bird fühlt er sich in der Finanz- und Tech-Welt zu Hause.
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