Kreditfinanzierung durch Fremdkapital: Eine sinnvolle Ergänzung zu Venture Capital?
Gründer europäischer Tech-Unternehmen nutzen zunehmend Fremdkapital für die Finanzierung von Wachstumsinitiativen und Übernahmen. Das belegen die Marktzahlen, welche die Experten der Technologie-Investmentbank GP Bullhound regelmäßig analysieren. In welchen Situationen bringt diese Art der Finanzierung Vorteile und wie ist der europäische Fremdkapitalmarkt heute aufgestellt?
Im Jahr 2021 wurden erstmals mehr als 100 Milliarden Dollar an Eigenkapital in europäische Technologie-Unternehmen investiert. Diese Summe ist sowohl ein Zeugnis für die zunehmenden Erfolgsgeschichten in Europa als auch für die höhere Qualität europäischer Start-ups, die wiederum dem starken Bildungssektor, einer wachsenden Anzahl ambitionierter Unternehmer und der Entwicklung attraktiver Technologie-Cluster geschuldet ist. Doch auch die Kapitalfinanzierung über Fremdkapital markierte 2021 einen Meilenstein: Während in den fünf Jahren zuvor das Marktwachstum zwar stetig, aber eher konservativ ausfiel, verdoppelte sich das Volumen nun im Vergleich zu 2020. Mit einem Volumen von knapp 15 Milliarden Dollar ist der Anteil am Gesamtkapitalmarkt vergleichsweise immer noch gering. Dennoch gibt es deutliche Zeichen dafür, dass diese Entwicklung weiter Fahrt aufnehmen und sich etablieren wird.
Warum der Fremdkapitalmarkt weiter wachsen wird
Anders als noch vor wenigen Jahren werden heute innovative und wachstumsstarke Unternehmen in ganz Europa gegründet und nicht mehr nur in ausgewiesenen Gründer-Hot-Spots wie London, Berlin oder Stockholm. Die Anzahl der Technologieunternehmen, die mit mehr als 50 Mio. EUR bewertet sind, ist auf über 5.000 gestiegen. Viele davon verzeichnen signifikante wiederkehrende Einnahmen mit hohen Deckungsbeiträgen. Dieser Umstand lockt inzwischen verstärkt privates Fremdkapital an.
Dabei verteilen sich die Kreditvergaben zugleich auch auf eine breitere Anzahl an Kreditgebern – mehr Marktteilnehmer führen zu einem breiteren und flexibleren Angebot. Und auch die Nachfrage wird weiter steigen: Zum einen bleiben Unternehmen heute länger in privater Hand und benötigen damit Finanzierungsmöglichkeiten, die über Eigenkapital hinausgehen. Zum anderen erkennen immer mehr Unternehmen Fremdkapital als Möglichkeit der Kapitalbeschaffung an. Die aktuelle Finanzierungssituation wird die Attraktivität von Fremdkapital weiter erhöhen, da sich hierdurch schmerzhafte Bewertungsanpassungen erst einmal aufschieben lassen.
Fremd- statt Eigenkapital? Warum?
Seedinvestments, Venture Capital und Growth Equity sind typische Eigenkapital-Finanzierungsformen für wachstumsorientierte Unternehmen. Business Angels und Venture-Capital-Gesellschaften bringen dabei bestenfalls nicht nur Kapital ins Unternehmen mit, sondern auch praktische Erfahrungen und gute Kontakte. Aber natürlich müssen die so finanzierten Unternehmen eine Gegenleistung erbringen – die Investoren erhalten Unternehmensanteile und oft auch ein Mitspracherecht bei geschäftlichen Entscheidungen. Nicht immer ist diese Verwässerung der Anteile sowie die Abgabe von Entscheidungsmacht gewünscht. Dann lohnt es sich, über eine Kreditfinanzierung mit Fremdkapital nachzudenken, auch da hier die Kosten klar kalkulierbar sind und insbesondere nach mehreren Eigenkapitalrunden die mehrheitlichen Entscheidungsbefugnisse oft zur Investorenseite wechseln.
Typische Fremdkapitalbedingungen bestehen aus einem Kredit, der über eine oder mehrere Tranchen aufgenommen werden kann. Rückzahlungsbedingungen als auch regelmäßige Zinszahlungen müssen berücksichtigt werden. Manchmal werden auch erfolgsabhängige, eigenkapitalähnliche Komponenten integriert. Die Mehrzahl der Kreditgeber verlangt zudem zusätzliche Sicherheiten und Kreditverpflichtungen (Covenants), um das Ausfallrisiko zu minimieren. Es stellt keinen Ersatz für eine solide Eigenkapital-Finanzierung dar, kann diese aber sinnvoll ergänzen.
In ihrem Bericht, der unter dem Titel „GP Bullhound Global Insights: Credit it – Europe rising“ gerade erschienen ist, gehen die Autoren detailliert auf die Vorteile und auf die Nachteile im Kreditgeschäft ein: So sei die Akzeptanz zur Aufnahme von Fremdkapital bei Jungunternehmen zwar generell gestiegen, doch noch immer würden sich viele Unternehmen nicht gut genug mit der Materie auskennen, um Konditionen realistisch beurteilen und vergleichen zu können. Der Wunsch nach Sicherheiten seitens der Kreditgeber führe dazu, dass Fremdkapital-Finanzierung eher für Unternehmen geeignet sei, die bereits eine gewisse Größe erreicht haben oder vorhersehbare Einnahmen garantieren können.
Generell lässt sich festhalten, dass eine Fremdkapital-Finanzierung eher für Unternehmen geeignet ist, die bereits eine gewisse Größe erreicht haben oder vorhersehbare Einnahmen in Aussicht stellen können. Das heißt aber nicht, dass es keine passenden Kreditformen für Start-ups oder Unternehmen gäbe, deren Produkt gerade erst die Marktreife erreicht hat oder die sich noch in einer frühen Wachstumsphase befinden. So eignet sich das sogenannte ARR-Lending (Annual Recurring Revenue) sehr wohl für Start-ups in der Anfangsphase. Die ARR-Kreditkosten sind allerdings auch höher und reflektieren somit das höhere Geschäftsrisiko. Hierbei nehmen Kreditgeber in Kauf, dass der Kreditnehmer zunächst nur einen geringen Gewinn oder sogar einen Verlust erwirtschaften wird. Ob ein Unternehmen kreditwürdig ist oder nicht, wird vielmehr daran gemessen, wie viele Einnahmen auf einer zuverlässigen, wiederkehrenden Basis erzielt werden können. Gerade im Software-, Subscription- und Sharingsektor, wo Abos und Nutzungsgebühren mit wachsenden Communities oder Kundenbasen Einnahmen bescheren, sind ARR-Kredite bzw. Revenue-Based-Financing-Lösungen interessant.
Ein weiteres Modell der Fremdkapitalfinanzierung hat sich im Fintech-Sektor etabliert, das sogenannte Lending Capital, auch bekannt als Asset-based Lending. Vor allem Fintechs, die mit modernen, datenbasierten Risikobewertungen Konsumenten- oder Unternehmenskredite beurteilen, oder Vermögenswerte wie Autos oder Elektronikgüter finanzieren, können auf Lending Capital zurückgreifen, um ihre Kreditportfolios zu finanzieren. Gerade Geschäftsmodelle, die auf der Vermietung von Assets beruhen – von E-Rollern, über Smartphones bis Büromöbel – profitieren davon. Aktuell hat Lending Capital einen großen Anteil am Wachstum des Fremdkapitalmarktes.
Fünf Tipps für die Auswahl des passenden Kreditgebers
Wie aber finden Unternehmen einen Fremdkapitalgeber, der zu ihnen passt? Denn obwohl der Kreditgeber in der Regel keine Anteile erwirbt (mit der Ausnahme von Warrants im geringfügigen Umfang), gehen die Geschäftspartner dennoch eine mittel- bis langfristige Beziehung ein, die auf gegenseitigem Vertrauen beruhen sollte. GP Bullhound hat weitere Tipps für die Auswahl des Kreditgebers parat, unter anderem:
- Sich eingehend und frühzeitig mit dem Thema Fremdkapital beschäftigen: Viele Unternehmen sind zu stark auf die Beschaffung von Eigenkapital fokussiert und übersehen dabei die Möglichkeiten der Kreditfinanzierung. Aber: Dies ist kein Thema für nebenbei. Unternehmen sollten sich intensiv damit beschäftigen und bestenfalls einen Experten oder Debt-Berater damit beauftragen.
- Mit mehr als ein oder zwei Kreditgebern sprechen: Eben weil bei vielen Unternehmen die Kreditfinanzierung nur am Rande eine Rolle spielt, werden häufig nur wenige Angebote eingeholt. Das ist ein Fehler, denn inzwischen gibt es sehr viele verschiedene Anbieter auf dem Markt, die keineswegs alle so konservativ und mit gleichen Konditionen und Kriterien arbeiten, wie man es traditionellen Bankhäusern nachsagt.
- Die eigenen Zahlen gut kennen: Den anvisierten Markt und die Performance-KPIs des eigenen Unternehmens gut zu kennen, ist generell eine gute Voraussetzung für ein erfolgreiches Geschäft. Im Rahmen einer Fremdkapital-Runde geht es zudem darum, das Risiko für alle Beteiligten realistisch einzuschätzen. Anstelle des Fokus auf die Beschreibung der Upside-Potenzial zu legen, sollte bei den Gesprächen mit Kreditgebern eine umfangreiche Analyse der eigenen Risiken stattfinden.
- Die Kreditangebote detailliert bewerten: Die Konditionen – wie zum Beispiel Kredithöhe, Preisgestaltung inklusive Zinsen und Gebühren sowie Inanspruchnahme- und Rückzahlungsmodalitäten – spielen eine große Rolle bei der Entscheidung für den passenden Kreditgeber, doch oft sind sie schwer zu vergleichen. Unternehmen sollten sich hierfür Zeit nehmen und sich gegebenenfalls fachliche Unterstützung suchen.
Da ist noch Potenzial – Gründer brauchen bessere Kreditprodukte
Die Marktdaten zeigen, dass noch nicht alle Unternehmen guten Zugang zu Kreditangeboten genießen. Noch hängt es zu sehr davon ab, in welcher Phase sich ein Unternehmen befindet oder wie es um seine finanzielle Leistungsfähigkeit bestellt ist. Das heißt konkret, dass einige Start-ups und sogar mittelgroße Tech-Unternehmen teilweise nicht auf Fremdkapital zurückgreifen können, weil schlicht die Angebote fehlen. Kreditgeber beurteilen die Risiken als zu hoch und sind häufig zu unflexibel, ihre Konditionen entsprechend anzupassen. Um von größeren Kreditfonds, sogenannten Debt-Fonds, zu profitieren, sind diese Unternehmen aber wiederum zu klein. Viele Kreditgeber verpassen es, Ihre Term Sheets zu flexibilisieren und ein maßgeschneidertes Kreditangebot anzubieten.
Immerhin ist der Markt in Bewegung. Erste Fintechs haben Angebote entwickelt, die auf einer datengestützten Analyse beruhen: Hierbei werden die Risiken in Echtzeit analysiert, in den Konditionen widergespiegelt und die Lösungen auf die jeweilige Situation und das jeweilige Risikoprofil zugeschnitten. Erfreulicherweise zeigen solche Kreditgeber auch immer häufiger eine größere Flexibilität in Bezug auf die Kreditkonditionen. Denn generische Konditionen und Verträge passen allzu oft nicht auf die speziellen Bedürfnisse der Gründer und jeweiligen Unternehmen in der Frühphase. Der Fokus darauf würde dem Markt weiteren Schwung verleihen. Zugleich entstehen durch gegenseitiges Verständnis vertrauensvolle, langfristige Beziehungen zwischen Kreditgebern und -nehmern.
Über die Autor:innen
Olya Klueppel ist Head of Credit und Partnerin bei GP Bullhound und konzentriert sich auf Fremdkapitalinvestitionen in Techn- und Digitalunternehmen. Bevor sie 2021 zu GP Bullhound kam, war Olya Klueppel Mitbegründerin von Global Growth Capital, das Wachstumskredite und Kreditfazilitäten für europäische Technologieunternehmen bereitstellt. Zwischen 2010 und 2017 war Olya Partnerin bei ESO Capital, einem Special Situations Investment Manager, der Fremdkapitallösungen für europäische KMU anbietet. Sie leitete das Züricher Büro von ESO. Von 2006 bis 2010 war Olya Portfoliomanagerin für Fixed-Income-Strategien bei Harcourt, einem diversifizierten FoF, der heute zu Vontobel gehört.
Julian Riedlbauer ist Partner und Leiter der deutschen Niederlassung des global führenden Technologie-M&A-Beraters und -Investors GP Bullhound. Bevor er die Leitung des deutschen Büros übernahm, war Julian Riedlbauer Geschäftsführer bei Corporate Finance Partners, einer internationalen M&A-Beratungsfirma mit den Schwerpunkten Internet, Medien und Technologie. Vor seinem Wechsel auf die Beraterseite sammelte Riedlbauer als Gründer, Unternehmer und Manager mit mehreren M&A-Deals im Internet-, IT- und TK-Sektor umfassende Erfahrung.
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