Von Alexander
Montag, 11. Juli 2022

“In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit kann Bootstrapping die sichere Wahl sein”

Nach rund 15 Jahren Bootstrapping holten sich die Meister-Gründer Michael Hollauf und Till Vollmer dann doch Investoren ins Haus. "Wir haben enormes Potenzial im Markt erkannt und beschlossen, unsere Marktposition noch schneller und aggressiver auszubauen", sagt Gründer Hollauf.

Bereits 2006 hievten Michael Hollauf und Till Vollmer das Online-Mindmapping-Tool MindMeister ins Netz. Im Laufe der Jahre kamen die cloudbasierte Aufgabenverwaltungs-Software MeisterTask und der Dokumentendienst MeisterNote hinzu. Heute sind alle Dienste unter der Dachmarke Meister gebündelt. Der Growth-Investor Verdane, der in der Vergangenheit auf Momox, Hornetsecurity und smava setzte, investierte im Sommer 52 Millionen US-Dollar in Meister. Zuvor war das Wiener Unternehmen komplett gebootstrappt.

“Wir haben einfach enormes Potenzial im Markt erkannt und beschlossen, unsere Marktposition noch schneller und aggressiver auszubauen – denn nicht zuletzt aufgrund der beschleunigten Digitalisierung seit der Pandemie ist die Nachfrage nach Produktivitäts- und Kollaborations-Tools in Unternehmen und Bildungseinrichtungen enorm und nachhaltig gestiegen. Es ist ein gemeinsames Ziel von Meister und unserem Investor Verdane, Meister zu einem großen europäischen Herausforderer der US-Unternehmen zu etablieren”, sagt Gründer Hollauf.

150 Mitarbeiter:innen arbeiten derzeit für Meister. Das Unternehmen unterhält Büros in Wien, München, Berlin und Seattle und erwirtschaftet “einen zweistelligen Millionenumsatz in sogenanntem ARR – Annual Recurring Revenue”. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Meister-Macher Hollauf außerdem über Bootstrapping-Spirit, Unsicherheit und Pub-Quiz-Abende.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Meister erklären?
Ich würde wohl so etwas sagen wie: “Wir machen Computerprogramme, damit Leute besser zusammenarbeiten können – auch wenn sie nicht im gleichen Büro sitzen. Sie können damit gemeinsam Ideen entwickeln, daraus dann Aufgaben ableiten und sie den verschiedenen Teammitgliedern zuweisen. Teams werden damit schneller und erreichen ihre Ziele leichter. Und das Ganze ist schön farbig gestaltet und einfach zu bedienen.”

War dies von Anfang an euer Konzept?
Wir hatten nie einen Pivot, ganz im Gegenteil: In unserem monatlichen Onboarding neuer Mitarbeiter:innen zeige ich immer eine Folie aus dem Jahr 2008, auf der wir schon genau die drei Produkte präsentierten, die wir nun auch in der Meister Suite haben. Kleine Anpassungen gab es bei den Produktnamen, aber die Konzepte sind dieselben geblieben.

Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Als klassisches SaaS-Unternehmen finanzieren wir uns über die Software-Abonnements unserer Kundinnen und Kunden, die monatlich oder jährlich für die Nutzung der Tools zahlen. Wir verwenden jedoch für all unsere Produkte das Freemium-Modell, sodass unsere Tools mit limitierter Funktionalität auch kostenlos verwendet werden können.

Wie ist überhaupt die Idee zu Meister entstanden?
Die Idee kam meinem Mitgründer Till und mir als wir in unserer damaligen Firma MindManager verwendeten, was zu der Zeit das einzige ernstzunehmende Mindmapping-Tool auf dem Markt war. MindManager musste man allerdings lokal installieren und die Lizenzen dafür waren teuer, was es schwer machte, Mindmaps mit Kund:innen und Geschäftspartner:innen zu teilen. Zur selben Zeit übernahm Google ein Tool namens Writely – das, was später einmal Google Docs werden sollte. Till und ich fanden das Konzept der Echtzeit-Zusammenarbeit an Dokumenten genial und erkannten schnell, dass diese Funktion auch für das visuelle Mindmap-Format eine riesige Bereicherung wäre. Und genau das haben wir dann mit MindMeister zur Realität gemacht.

Wie hat sich Meister seit der Gründung entwickelt?
Unsere Gründung liegt ja schon eine Weile zurück – mehr als 15 Jahre. Am Anfang sind wir langsam gewachsen und waren lange Zeit ein recht kleines Team, was den Vorteil hatte, dass unsere Overhead-Kosten gering und unsere Arbeit extrem agil war. Till und mir war es immer wichtig, dass wir nachhaltig wirtschaften, um nicht wie viele andere Startups nach dem initialen Boom plötzlich wieder alle Teammitglieder entlassen zu müssen, wenn die Umsätze nicht passen. Vor einigen Jahren haben wir aber dann aggressiver in unser Wachstum investiert und vor allem seit dem Investment Mitte 2021 wachsen wir recht schnell – mittlerweile sind wir über 150 Leute aus 42 Ländern, haben Büros in Wien, München, Berlin und Seattle und machen mit fast 30 Millionen registrierter Benutzer:innen einen zweistelligen Millionenumsatz in sogenanntem ARR – Annual Recurring Revenue – und wurden jüngst mit dem RemoteTech Award ausgezeichnet. Also es läuft.

Bis zum Sommer 2021 habt ihr auf Investorengelder verzichtet. Warum setzt ihr nun nach so vielen Jahren doch auf Investorengelder?
Wir haben einfach enormes Potenzial im Markt erkannt und beschlossen, unsere Marktposition noch schneller und aggressiver auszubauen – denn nicht zuletzt aufgrund der beschleunigten Digitalisierung seit der Pandemie ist die Nachfrage nach Produktivitäts- und Kollaborations-Tools in Unternehmen und Bildungseinrichtungen enorm und nachhaltig gestiegen. Es ist ein gemeinsames Ziel von Meister und unserem Investor Verdane, Meister zu einem großen europäischen Herausforderer der US-Unternehmen zu etablieren, die derzeit den SaaS-Markt für Produktivität dominieren.

Wie war der Start ohne fremdes Geld – was geht recht einfach, was ist als Bootstrapping-Startup recht schwierig?
Unser Start war 2007, seitdem hat sich sicher einiges am Markt verändert. Rückblickend würde ich sagen, dass der Bootstrapping-Spirit doch ein anderer ist. Als Gründer:in hat man mehr das Gefühl, mit ein paar Gleichgesinnten etwas richtig Cooles zu bauen – ohne zu großem Druck von außen. Jeder Euro ist viel wert, weil es ja das eigene Geld ist. Darum denkt man auch über jede Ausgabe lange nach und fokussiert stark. Das hat natürlich auch Nachteile: Du bewegst dich langsamer, sparst vielleicht anfangs etwas mehr beim Hiring, und hast natürlich auch viel weniger Marketing-Budget als die vorhandene und ggf. besser finanzierte Konkurrenz.

Gab es denn viele Dinge, die Du einfach nicht umsetzen konntest, weil das Geld fehlte?
Nein, dass wir Dinge gar nicht umsetzen konnten, ist uns nicht passiert. Aber einige Dinge wurden eben doch langsamer und weniger professionell in Angriff genommen, als wir vielleicht gewollt hätten. Zu einem ESOP, also einem Employee Stock Option Plan oder Mitarbeiterbeteiligungsplan, haben wir uns allerdings erst nach dem Investment durchgerungen.

Was rätst du anderen Gründer:innen, die sich für Bootstrapping entscheiden?
Ich würde raten, die Konkurrenz genau im Auge zu behalten. Denn wenn das eigene Startup keinen messerscharfen USP hat bzw. das Produkt nicht um Klassen besser ist als das der Mitbewerber:innen, dann spielt das vorhandene Geld sehr wohl eine Rolle. Denn in einem Markt, an dem externe Investitionen ein Unternehmen rasant nach vorne katapultieren und Marktanteile bedeuten, macht das Geld eben doch einen Unterschied. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit, die – nach Meinung vieler Expert:innen sowie auch meiner eigenen – vor uns liegen, kann Bootstrapping allerdings die sichere und bessere Wahl sein. So können Startups unabhängiger von der nächsten Finanzierungsrunde arbeiten und behalten bei gutem Wirtschaften den längeren Atem.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Der wahrscheinlich größte Fehler, den wir gemacht haben, war die Macht von Google zu unterschätzen. In unserem ersten Tool – MindMeister – boten wir Nutzer:innen die Möglichkeit, ihre Maps zu veröffentlichen und auf ihren eigenen Websites und Blogs einzubetten. Google bewarb damals die Möglichkeit, Backlinks in diese Embed-Codes einzufügen, was wir natürlich getan haben, denn in Sachen SEO waren Backlinks extrem wertvoll. Das hat super funktioniert, bis Google im März 2014 plötzlich entschied, dass es diese Art von Backlinks doch nicht mehr mochte, und wir durch ein Penalty von Platz eins in den Suchresultaten auf Seite zwei oder drei rutschten. Plötzlich waren wir für Interessent:innen praktisch nicht mehr auffindbar, was zu Umsatzeinbußen in Millionenhöhe führte. Es kostete uns Monate an manueller Arbeit, alle Backlinks zu entfernen, und etliche weitere Monate, um uns wieder an die Spitze der Suchresultate zu arbeiten.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Ich glaube, in Sachen Unternehmenskultur haben wir unsere Sache immer recht gut gemacht. Meister hat lange wie eine große Familie funktioniert, man mochte sich gegenseitig sehr und hat auch Zeit außerhalb der Arbeit gern miteinander verbracht, und wir hatten – und haben immer noch – eine der niedrigsten Fluktuationsraten bei Mitarbeitenden im Markt. Diese Metapher einer Familie ist einerseits nicht ewig haltbar und nicht für alle positiv besetzt, darum sehen wir uns mittlerweile lieber als ein tolles Sportsteam, wo jeder sein Bestes gibt, um neue Rekorde aufzustellen und den Pokal zu gewinnen. Wir haben auch immer darauf geachtet, dass unsere Büros nicht nur modern und funktional sind, sondern ein Ort, an dem wir uns wirklich wohlfühlen und gerne Zeit verbringen – in Zeiten von Covid ist das natürlich etwas in den Hintergrund getreten. Auch auf Teambuilding legen wir großen Wert und veranstalten etliche Events pro Jahr – von mehrtägigen “Hackfests”, unserer unternehmensweiten Workation, über gemeinsame Pub-Quiz-Abende bis zu Grillfesten im Garten unseres Wiener Büros.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Da gibt es viele – aber am ehesten Folgendes: Umgebt Euch mit den richtigen Leuten. Angefangen von Euren Mitgründer:innen, wo die Chemie unbedingt stimmen muss, um auch schwere und stressreiche Zeiten gut zu überstehen. Bei Till und mir tut sie das Gott sei Dank. Über die ersten Key Employees und Entwickler:innen, bis später dann zur ersten Führungsriege: Denn nur die Menschen machen den wirklichen Unterschied.

Wo steht Meister in einem Jahr?
In einem Jahr sind wir über 200 Leute, haben die Büros in Berlin, München und Seattle ausgebaut, vielleicht noch weitere in Städten wie Hamburg oder London eröffnet, haben einen oder zwei Remote Development Hubs in Ost- oder Südeuropa eröffnet, und sind allgemein in puncto Prozesse und Strukturen noch viel besser aufgestellt für das kommende Wachstum und die Übernahme der Weltherrschaft.

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Foto (oben): Meister