#Interview

“Ich halte Diversität für essenziell, um auf Erfolgskurs zu bleiben”

alcemy digitalisiert die Zementlieferkette. "Anfangs waren wir etwas naiv und dachten, dass es ausreicht, die Hersteller mit den richtigen Tools auszustatten. Wir merkten aber schnell, dass es Push and Pull braucht", sagt Gründer Leopold Spenner.
“Ich halte Diversität für essenziell, um auf Erfolgskurs zu bleiben”
Montag, 23. Mai 2022VonAlexander Hüsing

Die Berliner Jungfirma alcemy, die 2018 von Leopold Spenner und Robert Meyer gegründet wurde, digitalisiert die Zementlieferkette. “Unsere Software läuft bei Zement- und Betonherstellern und hilft ihnen, einen nie dagewesenen Einblick in ihre Produktion zu erhalten. Für die Nutzung dieser Software bezahlt der Kunde eine Gebühr, die sich nach der Menge des produzierten Zements und Betons richtet. Im Gegenzug können Hersteller die Qualität der Produkte genau vorhersagen und entsprechend produzieren”, erklärt Gründer Spenner das Konzept.

Entrepreneur First, La Famiglia, firstminute und investierten bereits in das Unternehmen, das derzeit 21 Mitarbeiter:innen beschäftigt. Das Ziel der Hauptstädter ist groß: “Wir wollen bis zum Ende des Jahrzehnts 100 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Und danach als Ziel eine Gigatonne CO2 anvisieren. Damit wir das erreichen, wollen wir sukzessive unsere Software bei mehr und mehr Beton- und Zementherstellern ausrollen und CO2-arme Zemente und Betone als Standard in der Bauwirtschaft etablieren”, sagt Spenner Im Interview mit deutsche-startups.de.

Wie würdest Du Deiner Großmutter alcemy erklären?
Wie du weißt, betrifft der Klimawandel uns alle und an allen Ecken benötigen wir Lösungen, die CO2 einsparen. Was du aber sicherlich noch nicht wusstest: Die Beton- bzw. Zementherstellung trägt einen signifikanten Teil zum Klimawandel bei. Insgesamt ist beispielsweise Zement, der wichtigste Bestandteil im Beton, für etwa acht Prozent des weltweiten CO2-Ausstoßes verantwortlich. Das wollen wir ändern und bieten deshalb Beton- und Zementherstellern die Möglichkeit, mit unserer Technologie deutlich nachhaltiger, gleichzeitig aber kosteneffizienter und qualitativ hochwertiger CO2-arme Produkte zu produzieren. Wir nehmen dazu den gesamten Herstellungsprozess unter die Lupe – also alles, was im Zementwerk bis hin zu den Fahrmischern, die zur Baustelle fahren, passiert. An jeder Station der Herstellung von Zement und Beton nutzen wir Daten aus den Werken. Mit diesen Daten können wir den Herstellern zeigen, wie sie ihre Prozesse effizienter gestalten und die Produktionsqualität steigern können. Im Ergebnis haben die Hersteller qualitativ hochwertigeren Beton bzw. Zement, der auch noch nachhaltiger ist und in Zukunft auch weniger kosten wird. Und auch das Klima profitiert natürlich: Bis 2030 wollen wir unseren Kunden ermöglichen, insgesamt 100 Millionen Tonnen CO2 einzusparen. Das ist ungefähr so viel wie die CO2-Emissionen pro Kopf von 12,5 Millionen Deutschen in einem Jahr.

War dies von Anfang an euer Konzept, oder hat sich euer Modell seit dem Start irgendwie verändert?
Unser Konzept hat sich seit der Gründung nicht verändert. Seit jeher haben wir die Mission, dass CO2-arme Zemente und Betone zum Standard im Bauen werden. Aufgrund der anfangs beschränkten Ressourcen haben wir uns aber natürlich Schwerpunkte gesetzt: Begonnen haben wir mit unserem Zementprodukt, das in Zementwerken läuft. Da wir aber die gesamte Wertschöpfungskette abbilden wollen, ist es uns ebenso wichtig, dass wir ein eigenständiges Beton-Produkt haben, das zusätzlich in Transportbetonwerken läuft. Wir wollen der Branche als fachkundiger Partner auf Augenhöhe zur Seite stehen und zeigen, dass Beton und Zement auch nachhaltiger geht und sich Wirtschaftlichkeit und Nachhaltigkeit nicht ausschließen. Deshalb bieten wir eine praxisnahe Lösung an, die schnell zu implementieren ist, wenig Investitionskosten erfordert und trotzdem einen riesigen Hebel für eine signifikante CO2-Einsparung bietet.

Beton, Zement und Startup-Welt passt das überhaupt zusammen?
Auch wenn es auf dem ersten Blick nicht so scheint, passt das sehr gut zusammen. Ich sehe es sogar als großen Vorteil, dass wir beide Welten miteinander verbinden. Denn gerade auch die sehr mittelständisch geprägte Beton- und Zementbranche kann frischen Wind und neue Ideen gut gebrauchen. Die Industrie steht vor der großen Herausforderung, sehr viel CO2 einsparen zu müssen. Hinzu kommt, dass die Branche noch sehr manuell und nur wenig digitalisiert arbeitet. Genau hier setzen wir als Start-up an. Da wir sehr viel Branchenerfahrung mitbringen, können wir umso besser an den wirklichen Bedürfnissen der Beton- und Zementhersteller ansetzen und so auch die tatsächlichen Probleme im Blick haben, die es für sie zu lösen gilt. Ich kann beispielsweise aufgrund meiner familiären Verbindung zum Thema Zement und Beton alleine ein Transportbetonwerk betreiben. Zusätzlich haben wir im Team noch viele andere Mitarbeitende, die fundierte Industrie-Expertise mitbringen.

Wie genau funktioniert denn euer Geschäftsmodell?
Unsere Software läuft bei Zement- und Betonherstellern und hilft ihnen, einen nie dagewesenen Einblick in ihre Produktion zu erhalten. Für die Nutzung dieser Software bezahlt der Kunde eine Gebühr, die sich nach der Menge des produzierten Zements und Betons richtet. Im Gegenzug können Hersteller die Qualität der Produkte genau vorhersagen und entsprechend produzieren.
Einerseits können sie sich auf diesem Wege von Wettbewerbern abheben, andererseits ist eine stabile Qualität auch essentiell für die Herstellung CO2-armer Betone und Zemente, da diese deutlich sensibler sind.

Wie ist überhaupt die Idee zu alcemy entstanden?
Zement und Beton begleiten mich schon mein ganzes Leben. Ich komme aus einer Familie, die schon seit einigen Generationen mehrere Zement- und Betonwerke betreibt und kenne die Branche und ihre Besonderheiten daher sehr gut. Als Jugendlicher habe ich die Einführung des Emissionszertifikatehandels hautnah mitbekommen, der dazu geführt hat, dass bei der Herstellung von Zement für jede Tonne CO2 ein bestimmter Preis gezahlt werden muss. Wenn man dann bedenkt, dass eine Tonne Zement ca. 600 Kilogramm CO2 bei der Herstellung emittiert, dann kann man sich gut vorstellen, wie das die Industrie aufrüttelte. Genau da habe ich beschlossen, dass ich aktiv an dieser großen Herausforderung arbeiten möchte. Um mein Wissen zu vertiefen, habe ich am Karlsruher Institut für Technologie (KIT) studiert und bei der Boston Consulting Group an verschiedenen Beton- und Zementprojekten mitgearbeitet. Die Idee zur Gründung eines Start-ups kam jedoch erst bei einem Programm von Entrepreneur First, wo ich meinen späteren Co-Gründer Robert kennenlernte. Zusammen überlegten wir uns, wie wir der Beton- und Zementindustrie Lösungen anbieten können, die ihnen auch einen wirklichen Mehrwert bringen. Und es passte perfekt zusammen: Mein Wissen über die Prozesse bei der Herstellung von Zement und Beton und Roberts Know-how beim Thema Machine Learning – kurzerhand war alcemy gegründet.

Wie genau hat sich alcemy seit der Gründung entwickelt?
Wir sind super stolz auf das, was wir seit unserer Gründung 2018 geschafft haben. Momentan sind wir schon über 21 Kolleg:innen und wachsen beständig weiter. Im letzten Jahr konnten wir zudem unsere Kundenanzahl deutlich erhöhen und unseren Umsatz vervielfachen. Nun gehen wir in diesem Jahr den nächsten Schritt und wollen mit unserem Beton-Produkt die Transportbetonhersteller anvisieren. Wir freuen uns sehr, dass die Branche dabei schon großes Interesse zeigt.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Anfangs waren wir etwas naiv und dachten, dass es ausreicht, die Hersteller mit den richtigen Tools auszustatten, damit sich die Bauwirtschaft dann quasi von selbst dekarbonisiert. Wir merkten aber schnell, dass es Push and Pull braucht und dass neben den Herstellern auch die Bauunternehmen und Projektentwickler an Bord sein müssen. Das haben wir uns zu Herzen genommen und viele Gespräche mit Unternehmen entlang der gesamten bauwirtschaftlichen Wertschöpfungskette geführt.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Beim Team! Wir haben ein großartiges Team bei alcemy und ich bin jeden Tag dankbar dafür. Wir sind ein bunt gemischtes Team mit Expert:innen aus ganz unterschiedlichen Bereichen und Background. Von jedem unserer Mitarbeiter:innen kann ich noch unglaublich viel lernen. Wir alle sind zwar sehr verschieden, aber uns treibt gleichermaßen die Vision einer dekarbonisierten Zukunft an.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründer:innen mit auf den Weg?
Versucht eure Ansichten und Perspektiven selbst regelmäßig zu hinterfragen und auch von anderen hinterfragen zu lassen. Ich halte Meinungsvielfalt und Diversität in jeder Hinsicht für essenziell, um langfristig auf Erfolgskurs zu bleiben. Gerade in einem Gründerteam kann man so von unterschiedlichen Herangehensweisen und den Stärken seiner Partner profitieren und aus der eigenen Komfortzone ausbrechen.

Wo steht alcemy in einem Jahr?
Wir denken da schon weiter. Wie gesagt, wollen wir bis zum Ende des Jahrzehnts 100 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Und danach als Ziel eine Gigatonne CO2 anvisieren. Damit wir das erreichen, wollen wir sukzessive unsere Software bei mehr und mehr Beton- und Zementherstellern ausrollen und CO2-arme Zemente und Betone als Standard in der Bauwirtschaft etablieren. Ich bin davon überzeugt, dass wir seit der Gründung schon einen großen Schritt in diese Richtung gegangen sind. Aber die Reise hat erst begonnen.

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Foto (oben): alcemy

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.