Wie ich ein Startup aufbaue, das keines ist
Irgendetwas zwischen Gründer und Geschäftsführer. So würde ich meine aktuelle Position bei der Solarenergie-Plattform Otovo beschreiben. Seit mittlerweile mehr als einem halben Jahr leite und verantworte ich das Startup, das kein Startup ist. Warum ich mich trotzdem als Gründer fühle und welche Stolpersteine mir in den Weg gelegt wurden, erfahrt ihr in diesem Gastbeitrag.
Tag 1. Ich sitze nicht in der Firmenzentrale in Oslo. Ich höre mir nicht den Adaptionsplan für Deutschland an. Ich bekomme keine zentralen Vorgaben und Guidelines für den erfolgreichen Launch auf dem so wichtigen deutschen Markt. Ich sitze alleine zuhause, in Berlin-Charlottenburg, und starre in meinen privaten Gmail-Account. Ja, ich werde mir als erstes eine Firmen-Email-Adresse einrichten. Danach dann ein Geschäftskonto eröffnen, die GmbH anmelden und den ganzen Legal-Bereich aufsetzen. Obwohl ich auf dem Papier kein “echter” Gründer bin, werde ich die nächste Zeit eine Rolle im deutschen Gründungsapparat einnehmen. Und ich kann sagen: Es ist furchtbar! Kompliziert, nebelig, langsam. Wenn dann noch eine Muttergesellschaft aus Norwegen dazukommt, es sich aber um eine eigenständige, deutsche GmbH handelt, reicht mein BWL-Studium offenbar nicht mehr aus. Zeit für den Anwalt!
Better call Saul: Gründen ohne Anwalt, vergiss es!
Mein Anwalt war gerade in der Anfangszeit auf Wahlwiederholung. Als Plattform gibt es viele rechtliche Stricke, gerade wenn es um das Vermitteln von externen Handwerksbetrieben geht. Wir bringen Endverbraucher und Solar-Fachbetriebe zusammen. Wir analysieren den Energiebedarf und das Potenzial, machen ein erstes grobes Angebot und verbinden dann. Was einfach klingt – und so soll es auch sein soll – ist im Hintergrund ein wahres Legal-Labyrinth. Als “der etwas andere Gründer” möchte ich hier eine Lanze für all die Gründer und Gründerinnen brechen: Respekt, dass ihr euch durch den Verwaltungsdschungel kämpft und heute da seid, wo ihr seid. Ich war auf dieser abenteuerliche Reise zum Glück nie alleine, habe mich aber oft so gefühlt. Manchmal denke ich, das Unternehmen hat sich Deutschland als Markt so spät ausgesucht, weil sie wussten, wie nervenzermürbend eine Gründung hier ist…
Es gibt keine europäische Blaupause
Als kleine Einordnung: Das Unternehmen wurde 2016 von Andreas Thorsheim, Simen Fure Jørgensen, Lars Syse Christiansen und Andreas Bentzen in Norwegen, Oslo, gegründet. Danach wurden die Märkte in Schweden, Frankreich, Spanien, Polen, Italien und zuletzt Deutschland erschlossen. Dabei bleibt die Vision überall gleich: Europas Dächer voller sauberer, lokaler Energie. Jede Hausbesitzerin bekommt schnell, kostentransparent und unkompliziert ein verbindliches Angebot und wird so aktiv Teil der europäischen Energiewende. Damit wir schnell vorwärts kommen – es ist aktueller denn je – setzen wir auf ein agiles Geschäftsmodell mit dezentralem Ansatz. Heißt im Klartext: Jedes Land steht für sich und wird wie ein Startup behandelt. Warum? Weil die Marktgegebenheiten unterschiedlich sind. Deutschland funktioniert nicht wie Polen und Portugal nicht wie Norwegen. Ein Copy-Paste-Button ergibt keinen Sinn. Deshalb haben wir auch keine Country Manager, sondern eben “die etwas anderen Gründer”. Leute, wie mich, die sich weniger im geschäftsführerischen Sinne verantwortlich fühlen, sondern eher als Gründer berufen. Teil dieser Berufung heißt dann auch: sich um (fast) alles selbst kümmern. Das fängt bei der Geschäfts-Email an, dem Schreibtischstuhl, den eingesetzten Business-Tools (Reporting, Slack, HRIS etc.) und geht weiter über den kompletten People-Bereich, den HR-Prozess, die Vertriebsmannschaft und hört bei bei der Auswahl externer Partner (Recht, Steuern, PR, Marketing) auf.
Auf der anderen Seite heißt Dezentralität bei uns auch: kurze, pragmatische Wege, eigene, schnelle Entscheidungen und eigenverantwortliches Denken. Als Fan von iterativen Prozessen kommt mir das entgegen: Schnell in den Markt gehen, das Produkt in der echten Welt testen, es stetig optimieren. Nur mit dieser Denke war und ist das ganze Projekt in Deutschland überhaupt möglich. Ich (anfangs ich, später wir) musste viele Prozesse und To-Dos parallel anschieben, anders wäre es zeitlich nicht möglich gewesen. Wir wollten schnell auf den deutschen Markt, brauchten schnell gute Handwerksbetriebe, enge, verlässliche Partnerschaften, dann erste Marketing-Maßnahmen und ausgebildete Vertriebsmenschen. Wir haben uns entlang des Sales-Funnels immer weiterentwickelt und Tag für Tag aufgeschlaut, verbessert. Ich habe mir die Fachbetriebe persönlich angesehen, mit ihnen gesprochen und ganz genau hingehört, welche needs und pain points sie haben. So konnte ich schnell wichtige Insights gewinnen und diese ans Team weitergeben.
Der Auftrag war klar – der Rest ein weißes Blatt Papier
Bei all der eigenverantwortlichen Tätigkeit bin ich froh, dass ich vom Headquarter nicht allein gelassen werde. Da gibt es zum Beispiel den Bereich Tech, also das Produkt selbst, unsere Plattform. Sie wird zentral im Headquarter entwickelt und ich darf mich “bedienen”. Auch in puncto Strategie spreche ich mich mit den CEOs des Headquarters ab, wir tauschen uns aus, optimieren uns gegenseitig. Otovo Deutschland – die ganze Firma, die Marke – muss ich aber mit Leben füllen. An Tag 2 habe ich mich also gefragt: Wie baue ich mein Organigramm auf? Welche Positionen möchte ich als erstes besetzen? Wie sieht meine Recruiting-Strategie aus? Gerade die ersten Jobeinstellungen müssen sitzen. Hier bildet sich das menschliche Gerüst, dass du brauchst, um vernünftig wachsen zu können.
Jetzt, sechs Monate später, sind wir knapp 30 Leute. Das hätten wir nicht geschafft, wenn das Gerüst wackelt. Die ersten Stellen müssen Volltreffer sein, damit es schnell und gut werden kann – hier habe ich viel Zeit und Leidenschaft investiert. Denn ich denke weniger in Milestones, sondern in Menschen. Meine Etappenziele waren Jobeinstellungen. Ich bin der festen Überzeugung: Der Rest kommt (fast) von ganz alleine. Es sind die Menschen um dich herum, die das Business gedeihen lassen.
Über den Autor
Christian Rahn ist Geschäftsführer von Otovo Deutschland. Ursprünglich aus Norwegen kommend bringt die Solar-Plattform klima- und preisbewusste Hausbesitzer mit kompetenten Solarinstallateuren zusammen. Das Unternehmen demokratisiert mit günstigen Preisen und großer Transparenz die Branche – und übernimmt die lästigen Aufgaben der Energiewende , indem es nicht nur bürokratische Hürden abbaut, sondern auch die zeitintensive Handwerkersuche stemmt.
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