#Interview

“Es war ein langer Weg, um dorthin zu gelangen, wo wir jetzt sind”

Das Hamburger Unternehmen Resourcify hilft Unternehmen seit 2015 dabei nachhaltiger zu werden. Ananda Impact Ventures, SpeedInvest und Co. investierten bereits 9 Millionen in das Unternehmen, das derzeit 35 Mitarbeiter:innen beschäftigt.
“Es war ein langer Weg, um dorthin zu gelangen, wo wir jetzt sind”
Donnerstag, 17. März 2022VonAlexander Hüsing

Das Hamburger Startup Resourcify, das 2015 von Gary Lewis, Pascal Alich und Felix Heinricy gegründet wurde, digitalisiert das Abfallmanagement. Resourcify entwickelt dafür eine Software, mit der Unternehmen ihre Abfall- und Recyclingprozesse online verwalten können und die sie noch dazu mit geeigneten Entsorgungs- und Recyclingpartnern verbindet. Ananda Impact Ventures, SpeedInvest, der High-Tech Gründerfonds (HTGF) und Co. investierten in den vergangenen Jahren bereits 9 Millionen Euro in das Unternehmen.

“Es war ein langer Weg, um dorthin zu gelangen, wo wir jetzt sind – es hat eine Weile gedauert, die Branche zu knacken. Aber jetzt geht es vorwärts – wir sind derzeit 35 Mitarbeiter:innen und unser Team wächst auf 50. Wir verwalten ein Abfallvolumen von rund 30 Millionen Euro und werden in diesem Jahr einen Umsatz im einstelligen Millionenbereich erzielen”, sagt Gründer Lewis zum Stand der Dinge bei Resourcify.

Im Interview mit deutsche-startups.de sprich Resourcify-Macher Lewis außerdem über Pauschalgebühren, Wertschöpfung und Lernschleifen.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Resourcify erklären?
Wir sind eine Recycling-Plattform, die Unternehmen dabei hilft, nachhaltiger zu werden. Wir identifizieren wertvolle Abfälle, die recycelt werden können, was nicht nur Kosten spart und die Umwelt schützt, sondern sogar neue Gewinne einbringt. Wir helfen Unternehmen, die große Mengen an Abfällen produzieren – die derzeit leider meist verbrannt werden. Unternehmen in Deutschland geben pro Jahr im Schnitt mehr als 500.000 Euro für die Abfallentsorgung aus. Das ist eine Menge Geld. Die Abfallentsorgung ist bis dato aber nicht nur teuer, sondern erfordert bisher auch einen hohen internen Koordinationsaufwand mit vielen Mitarbeitern. Mit unserer Plattform helfen wir Unternehmen, ein kosteneffizientes Abfallmanagement in großem Maßstab zu betreiben. Wir helfen dabei, mühsame Vorgänge und Papierkram zu automatisieren und das Recycling zu verbessern, indem wir mit spezialisierten, lokalen Recyclern zusammenarbeiten – und das alles über eine einfache und integrierte Plattform.

War dies von Anfang an euer Konzept?
Wir haben etwa fünf verschiedene Produkte in der Abfallwirtschaft auf den Markt gebracht und sind damit gescheitert, haben sie neu gestartet und skaliert, um schließlich unsere aktuelle Positionierung zu erreichen. Zu diesen Produkten gehören verschiedene Matchmaking-, Shop- und SaaS-Tools. Was jedoch immer gleich geblieben ist, ist unsere Vision, eine Kreislaufwirtschaft und eine abfallfreie Zukunft zu ermöglichen. Das war unser Fixpunkt. Das war für unser Team sehr hilfreich, um offen, aber fokussiert zu bleiben.

Wie genau funktioniert denn eigentlich euer Geschäftsmodell?
Wir helfen Unternehmen dabei, mühsame Vorgänge und Papierkram zu automatisieren und das Recycling zu verbessern, indem wir mit spezialisierten, lokalen Recyclingunternehmen zusammenarbeiten. Dafür erheben wir eine Pauschalgebühr, die sich nach der Menge der zu entsorgenden Abfälle richtet.

Abfall- und Wertstoffmanagement klingt nach einer altmodischen Branche. Wie digital ist das Segment denn schon?
Die Abfallwirtschaft ist eher traditionell und stützt sich auf Papierkram und Faxe – aber auch auf Netzwerke, die seit Jahrzehnten bestehen. Das ist eine Herausforderung für jeden neuen Akteur, der in diese Branche eintritt. Schätzungen zufolge fanden im Jahr 2020 mehr als 97 % der Branchen-Aktivitäten offline statt. Das möchten wir ändern. Die USA sind bei der Digitalisierung schon ein paar Schritte weiter. Hier sind bekannte Investoren wie Leonardo DiCaprio bereits auf den Milliardenmarkt der Abfallwirtschaft gestoßen und investieren kräftig – das ist gut für die Branche. Aber Europa hat einen bemerkenswerten Vorteil: Wir haben bereits eine Recycling-Infrastruktur. Wir nutzen sie nur nicht effektiv. Das bedeutet, dass das Potenzial für erhebliche Verbesserungen riesig ist, und deshalb können wir die in Amerika erzielten Gewinne – schnell – übertreffen, aber mit ähnlichen Akteuren.

Die Deutschen gelten als Recycling-Champions. Ist dieser Ruf gerechtfertigt und hilft euch dieses Image im Ausland?
Sagen wir es mal so: Wir haben im Vergleich relativ früh und richtig mit dem Recycling angefangen, aber nicht weiter über das Problem unserer Abfälle nachgedacht. Die Mülltrennung hat sich in den letzten Jahrzehnten verbessert, und es gibt ein allgemeines Bewusstsein dafür, aber es landet immer noch viel Abfall im Restmüll, der dort nicht hingehört. Auch die Abfallmenge hat zugenommen. Es gibt sehr viel unnötigen Einweg-Plastikmüll. Wir müssen dringend von der Wegwerfmentalität der Gesellschaft wegkommen. Das Problem liegt aber nicht nur bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern, sondern auch und vor allem bei den großen Unternehmen, für die eine nachhaltige Wertschöpfung bisher teuer und mühsam war. Der Markt für die Kreislaufwirtschaft wird allein in Deutschland auf über 200 Milliarden Euro geschätzt. Wir müssen zirkulär denken, wir müssen Abfall als die Ressource unserer Zeit sehen.

Wie ist überhaupt die Idee zu Resourcify entstanden?
Aus der Vision einer abfallfreien Zukunft heraus und der Erkenntnis wie weit wir noch von diesem Ziel entfernt sind. Außerdem haben wir die eigentlich so viel versprechende Grundlage in Deutschland gesehen: die bereits existente Recycling-Infrastruktur, die aber nicht vollumfänglich genutzt wird. Wir dachten, das könnte und müsste man ändern. Vor allem mit Blick auf die Big Player der Wirtschaft, nicht nur auf die einzelnen Konsument*innen. Denn gerade diese Unternehmen sollten verantwortungsvoll mit Abfall umgehen, um die Ressourcen, die wir importieren müssen, zu schonen. Auf lange Sicht sollten sich die linearen Produktions- und Abfallwege zu einem Kreis schließen, also eine zirkuläre Wirtschaft etabliert werden, um unabhängig von Importen zu sein und aus Abfall so viele Sekundärressourcen wie möglich zu schöpfen.

Kürzlich konntet ihr weitere 5 Millionen einsammeln. Wie seid ihr mit euren Investoren in Kontakt gekommen?
Viele Investoren haben Interesse an der Cleantech-Branche, aber es gibt nur wenige skalierbare Geschäftsmodelle in diesem Bereich – zumindest im Vergleich zur Menge des Kapitals. Das bringt uns in eine recht gute Position, denn wir konnten einige große Kunden gewinnen. Der Impact-VC Ananda ist mit einigen wirklich interessanten Ideen an uns herangetreten. Wir haben in unseren Gesprächen festgestellt, dass wir strategisch gut zusammenpassen – und von da an nahm alles seinen Lauf. Noch stehen wir jedoch erst am Anfang.

Wie hat sich Resourcify seit der Gründung entwickelt?
Es war ein langer Weg, um dorthin zu gelangen, wo wir jetzt sind – es hat eine Weile gedauert, die Branche zu knacken. Aber jetzt geht es vorwärts – wir sind derzeit 35 Mitarbeiter:innen und unser Team wächst auf 50. Wir verwalten ein Abfallvolumen von rund 30 Millionen Euro und werden in diesem Jahr einen Umsatz im einstelligen Millionenbereich erzielen.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Der Markt war noch nicht bereit. Die Sustainable Development Goals – kurz SDGs -, 1,5 Grad, CO2-Beschränkungen, das Bewusstsein für Verbrennung. All diese Themen  wurden nicht breit diskutiert und entsprechende politische Ziele haben gefehlt, als wir anfingen. Recycling ist fast vollständig reglementiert, so dass der Markt gerade erst in Gang gekommen ist – und wir sind in der Pole Position. Aber ja – wir hätten ein paar Jahre sparen können, wenn die gesellschaftliche Richtung schon früher mit konkreten Zielen vorgegeben wäre. 

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Ich glaube alles entscheidend bisher war unser fester Glaube an die richtige Vision und der Wille, flexibel zu bleiben, um diese Vision zu erreichen. Der Anfang war steinig, wir blieben aber verbissen. Das zahlt sich jetzt aus, der Markt scheint bereit, denn wir gewinnen große Kunden, die federführend voran gehen. Das gesellschaftliche Momentum ist auf unserer Seite.

Welchen generellen Tipp gibst Du anderen Gründern mit auf den Weg?
Seid unerbittlich bei eurer Vision – doch bleibt flexibel bei den Details und nutzt den Markt und sein Feedback, um eure Lernschleifen zu beschleunigen. Ein wichtiges Thema ist außerdem das Teambildung für Mitgründer*innen: Unternehmt etwas, bei dem ihr mit euren potenziellen Mitgründer*innen über einen längeren Zeitraum auf engem Raum zusammen seid, damit ihr deren wahre Persönlichkeit und Arbeitsweise kennenlernen könnt. Geht von mir aus gemeinsam in einen Escape Room, fahrt in eine Hütte auf dem Land oder in die Berge. Sprecht darüber, wofür ihr jeweils verantwortlich seid. Sprecht aber auch darüber, wofür ihr nicht verantwortlich sein möchtet. Redet über Geld: Wer wird wie bezahlt, wie werden die Anteile bei der Gründung prozentual aufgeteilt, und unter welchen Umständen würdet ihr darüber nachdenken, auszusteigen oder das Unternehmen zu verkaufen. Bereitet euch auf ein schonungsloses Gespräch vor. Auf diese Weise lassen sich mögliche Konflikte schnell erkennen.

Wo steht Resourcify  in einem Jahr?
Wir sind gerade dabei, von SaaS zu einer Plattform zu transformieren – und im nächsten Jahr werden wir die Umstellung abgeschlossen haben. Wir werden die Software zu einer umfassenden Lösung aus einer Hand ausgebaut haben, die Unternehmen hilft, ihre Abfallbelastung und Kosten zu reduzieren. Man wird in den Medien viel häufiger über die Kreislaufwirtschaft lesen, und wir helfen immer mehr Unternehmen, mit ihren Abfällen eine neue Einnahmequelle zu erschließen und ihre Nachhaltigkeitsziele zu erreichen. Die Recyclingbranche hat ein enormes Potenzial, das noch nicht ausgeschöpft wurde. Abfall, Recycling und die Kreislaufwirtschaft sind die Zukunft für die Wirtschaft in Deutschland. Dieser Branche sind keine Grenzen gesetzt – was bedeutet, dass es auch keine Grenzen für unsere Größe gibt. Wir denken dabei nicht nur an Deutschland, sondern auch an Europa und darüber hinaus.

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Foto (oben): Resourcify 

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.