Hat Venture Capital ein Mindset-Problem?
“Weißt Du, Julius: Manchmal performt ein Team einfach nicht! Da müssen wir schnell verstehen, wen wir rausnehmen, damit der Rest weitermachen kann.” Diese Aussage hörte ich vor kurzem wieder im Gespräch mit einem führenden europäischen Fonds. War ich überrascht? Nein. Diese Einstellung und Vorgehensweise ist seit Jahren üblich.
Das Gespräch ließ mich trotzdem nachdenklich zurück: “Sollte die Frage nicht andersherum lauten? Sollten sich Investoren nicht dazu verpflichten, einen Weg finden zu finden, damit das Team wieder funktioniert? Ist das nicht sinnvoller, als einem Gründer den schwarzen Peter zuzuschieben?”
Denn in einem bin ich mir sicher: Dieses Verhalten entsteht nicht aus bösem Willen oder unverhohlener Ignoranz. Dafür arbeite ich lange genug in der Venture-Branche. Als ich also über ähnliche Gespräche nachdachte, die ich in den letzten Jahren geführt habe, dämmerte mir eine größere Erkenntnis: Hat Venture Capital ein strukturelles Problem mit persönlicher Entwicklung und Teamentwicklung?
Die Wachstumsfrage
Einen nicht leistungsfähigen Spieler in einem Team zu finden und zu entfernen ist einfach. Jedes Teammitglied zu befähigen, die beste Leistung zu bringen, ist viel schwieriger. Es ist viel komplexer als die Summe des persönlichen Wachstums des Einzelnen: Viele Teamkonstellationen könnten in der Zukunft funktionieren. Für Investoren kostet es viel Zeit, all diese Optionen zu evaluieren. Und es ist der Mangel an Zeit, (natürlich) nicht der Mangel an Geld, der Venture-Investoren am meisten treibt.
Ein erfolgreiches Team zu entwickeln, braucht also Zeit und Aufmerksamkeit. Daher ist die wichtigste Frage, die du stellen kannst: Was brauchst du, um erfolgreich zu sein? Ich nenne dies die “Wachstumsfrage”, den Ausgangspunkt aller guten Wachstumsgespräche. Um diese Frage zu stellen, musst Du kein Investor sein. Sie funktioniert immer. Sie entfesselt enorme Kraft, Klarheit und schafft ein Klima des Vertrauens – solange du dir die Zeit nimmst, der Antwort zuzuhören.
Growth & Fixed Mindset in der Praxis
Das Konzept des Growth vs. Fixed Mindset ist der beste Weg, um dieses Paradoxon zu verstehen: Die Stanford Psychologin Carol Dweck identifiziert zwei grundlegende Denkweisen, die Menschen einnehmen; das Fixed und das Growth Mindset.
- Menschen, die daran glauben, dass ihre Talente entwickelt werden können (durch harte Arbeit, gute Strategien und Input von anderen), haben ein Wachstums-Mindset. Sie neigen dazu, mehr zu erreichen als diejenigen mit einer eher fixen Denkweise (diejenigen, die glauben, dass ihre Talente angeboren sind).
– Carol Dweck
Auf dem Venture Path dreht sich alles um Wachstum: Die Entwicklung von Individuen, der Kapazität eines Teams, des Einflusses eines Unternehmens und seines finanziellen Erfolgs. Aufgrund der inhärenten Risiken geht es bei Venture sehr stark um Geschwindigkeit, Fokus und das Treffen harter Entscheidungen. Diese Risiken bringen uns dazu, eingreifen zu wollen, auch wenn wir die Lösung nicht kennen. Ich glaube gerne daran, dass wir bewusst ein Wachstums-Mindset einsetzen können. Wir können es in eine Praxis verwandeln und nicht in einen fixen Persönlichkeitstyp.
- Ein VC mit einem Fixed Mindset kann einem Managementteam nicht helfen, in ein Growth Mindset zu kommen. Sie sehen das Team nicht als Menschen, die entwickelt werden müssen, sondern eher als Menschen, die beurteilt und gehalten oder entlassen werden müssen.
– Derek Pilling
Die meisten Investoren verstehen das Konzept des Wachstums-Mindsets. Dennoch hindert sie der Mangel an Zeit und Aufmerksamkeit daran, ein Growth Mindset in ihrem Portfolio anzuwenden. Dies führt zu einer schlechten Gründerunterstützung, insbesondere für die Low-Performer im Portfolio.
Warum ist Zeit – nicht Geld – ist die knappste Ressource eines Investor?
Venture Fonds haben asymmetrische Renditen: Nur eine kleine Anzahl der Investments wird den Großteil der Fonds-Rendite erwirtschaften. Aus diesem Grund muss ein Fonds seine Wetten diversifizieren: Ein typisches Seed-Portfolio umfasst am Ende der Investment-Periode etwa 25 Unternehmen.
Doch zu Beginn hat jedes einzelne Unternehmen das Zeug dazu, den gesamten Fonds profitabel zu machen. Wenn mit jedem Investment das Portfolio des Fonds wächst, wird die Herausforderung größer: Wie sollen die Investoren ihre Aufmerksamkeit steuern? Sie wissen nicht genau, welches Unternehmen zum Ausreißer wird. Also haben sie ihre Augen überall und können nicht zu viel Aufmerksamkeit auf einzelnen Teams “verschwenden”.
Rechnen wir als dieses Portfolio einmal durch: 25 Unternehmen bedeutet mehr als 50 Gründer. Schlimmer noch, es bedeutet ständig wechselnde Teamkonstellationen. Selbst bei Firmen mit vielen Partnern kann es sein, dass ein Investor in bis zu zehn Boards zur gleichen Zeit sitzt. Ich kann Euch sagen: Zehn Boards nehmen eine Menge Zeit in deinem Kalender ein. Zeit, die du brauchen würdest, um dich mit den einzelnen Teams zu beschäftigen. Das bedeutet: Du musst oft Teamentscheidungen vereinfachen, indem du Annahmen über Einzelpersonen ohne Kontext triffst.
So manifestiert sich eine fixe Denkweise in deiner Arbeit. Was kannst du also tun?
Die besten Investoren verstehen sowohl Wachstum als auch Fokus.
Es ist wichtig zu verstehen, dass du kein Wachstums-Mindset “hast”. Wir tragen sowohl ein fixes als auch ein Wachstums-Mindset in uns. Wir können uns jederzeit dafür entscheiden, aus einem von beiden zu handeln.
Zugegebenermaßen erfordert das etwas Selbstkenntnis: Wir müssen verstehen, was unser “fixed” Verhalten auslöst. Dann können wir uns dazu verpflichten, bewusst eine wachstumsorientierte Denkweise zu praktizieren. Wie sieht diese bewusste Praxis aus? Geoff Colvin schreibt in seinem Buch Talent Is Overrated:
“Deliberate practice is hard. Es tut weh. Aber es funktioniert. Mehr davon ist gleichbedeutend mit besserer Leistung und Tonnen davon sind gleichbedeutend mit großartiger Leistung. (…)
Bewusste Praxis zeichnet sich durch mehrere Elemente aus: Es ist eine Aktivität, die speziell darauf ausgerichtet ist, die Leistung zu verbessern, oft mit der Hilfe eines Lehrers; sie kann oft wiederholt werden; Feedback zu den Ergebnissen ist kontinuierlich verfügbar; sie ist geistig sehr anspruchsvoll, egal ob die Aktivität rein intellektuell ist, wie Schach oder berufliche Tasks, oder stark körperlich, wie Sport; und sie macht nicht viel Spaß.”
Du merkst, das klingt nach Arbeit, und nach zeitintensiver Arbeit noch dazu. Gerade die Ressource, die Investoren am wenigsten haben. Wie setzen wir das also in der Arbeit mit Gründern um? Wachstum ist eine Konversation ist, die mit der Frage “Was brauchst du, um erfolgreich zu sein?” beginnt. Manchmal ist das wesentlich weniger, als wir dachten. Lasst uns bewusstes und menschliches Wachstum in unserer Gründerszene feiern. Indem wir unser Growth Mindset in der Arbeit mit Gründern aktiv einsetzen, ersetzen wir die Tendenz, die Schuld bei einer einzelnen Person zu suchen, durch Vertrauen. Das Ergebnis? Nachhaltigere, erfolgreichere Teams und besserer Output.
Über den Autor
Julius Bachmann ist Executive Coach für VC-finanzierte Unternehmer/innen. Als ehemaliger Venture Investor und Start-up CFO hat er sich unter dem Leitbild “Making Venture More Human” dem Gründer-Support verschrieben. Neben seiner Arbeit als Coach ist er aktiver Angel Investor und gründete 2021 mit Julian Riedelsheimer JRNY, eine Mobile App für Persönlichkeitsentwicklung . Für seine Arbeit wurde Julius bereits 2017 von Forbes Magazine und dem Capital Magazin ausgezeichnet.
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