“Nur ein souveräner Umgang mit Rückschlägen ermöglicht es, erfolgreich zu sein”
Das Hamburger Startup HelloBetter, das 2015 als Get.on an den Start ging, bietet psychologische Online-Trainings zur Prävention und Behandlung psychischer Erkrankungen an. Insbesondere in den vergangenen Monaten boomte das Konzept. “Im ersten Quartal konnten wir mehr Nutzer betreuen als in den Jahren 2015 bis 2019 zusammen. Unsere Nutzerbasis hat sich von 2019 auf 2020 mehr als verdreifacht”, sagt HelloBetter-Macher Hannes Klöpper.
“HelloBetter hat sich von einem Universitätsprojekt zu einem Produkt entwickelt, das von der Software-Architektur, Design und Denke best-in-Class und eng an den Bedürfnissen der Nutzer:innen orientiert ist. Unsere Trainings ermöglichen es Menschen auf der ganzen Welt, ihre mentale Gesundheit selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Das freut mich total, und gleichzeitig ist es erst der Anfang”, ergänzt Gründerin Hanne Horvath.
Im Interview mit deutsche-startups.de sprechen die HelloBetter-Macher:innen Hannes Klöpper und Hanne Horvath außerdem über Krankenkassen, wissenschaftliche Belege und Routineversorgungen.
Wie würdest Du Deiner Großmutter HelloBetter erklären?
Hanne: Viele Menschen leiden unter Depressionen, Schlafstörungen oder Ängsten – jeder vierte von uns erkrankt einmal im Leben daran. Obwohl wir in Deutschland eines der besten Gesundheitssysteme weltweit haben, werden trotzdem 60 % der Menschen mit psychischen Beschwerden nie diagnostiziert und behandelt. Viele scheuen sich davor, mit Ärztinnen oder Therapeuten über ihre Beschwerden zu sprechen und wenn sie sich dann doch dazu durchringen können, müssen sie viele Monate auf einen der begehrten Therapieplätze warten – wenn sie denn überhaupt einen bekommen. Es müsste viel mehr Psychotherapeutinnen und -therapeuten geben und zusätzlich digitale Programme, um Versorgungslücken zu schließen und Menschen möglichst früh sehr niedrigschwellig zu erreichen. Mit unseren Online-Trainings helfen wir Menschen dabei, mit Depressionen, Stress, Angst, Panik, Burnout und weiteren psychischen Beschwerden fertig zu werden. Ohne Wartezeit, an jedem Ort, zu jeder Zeit. Unser Angebot wurde von Psychotherapeutinnen, Experten und Wissenschaftlern entwickelt, unsere Trainings gehören zu den wirksamsten weltweit und können ähnlich wirksam sein wie eine klassische Psychotherapie. Zahlreiche Krankenkassen erstatten mittlerweile die Kosten für Ihre Versicherten, die unser Angebot nutzen wollen.
Hat sich das Konzept, das Geschäftsmodell, in den vergangenen Jahren irgendwie verändert?
Hanne: Unsere Vision, die wir von Anfang an hatten, hat sich bis heute nicht verändert: Wir wollen das Versorgungssystem für psychische Erkrankungen neu denken und wirksame Präventions- und Behandlungsangebote für psychische Erkrankungen weltweit für jeden zugänglich machen. Wir haben uns mit der Zeit aber breiter aufgestellt und arbeiten jetzt zum Beispiel auch mit Unternehmen zusammen, die ihren Mitarbeitenden unsere Trainings anbieten oder wir bieten unsere Plattform anderen Pflegedienstleistern als SaaS-Lösung an.
Wie genau funktioniert euer Geschäftsmodell?
Hanne: Unser Geschäftsmodell setzt sich aus verschiedenen Strategien zusammen, bei denen Versicherungen, andere Unternehmen oder Health Care Provider die Kosten für Endverbraucher übernehmen. Wir haben Partnerschaften zahlreichen Krankenkassen, die unser Angebot aktiv an ihre Mitglieder kommunizieren und die Kosten zum Teil oder vollständig erstatten. Zusätzlich arbeiten wir mit Unternehmen zusammen, die unsere Trainings im Rahmen des betrieblichen Gesundheitsmanagements ihren Mitarbeitern zur Verfügung stellen. Außerdem erweitern wir unsere Reichweite durch die Zusammenarbeit mit etablierten Pflegedienstleistern, die unsere Plattform mit Inhalt und Technologie als SaaS-Lösung nutzen und gleichzeitig ihre eigene psychologische Beratung anbieten.
2020 habt ihr euren Namen von Get.on zu HelloBetter geändert. Was waren die Gründe dafür?
Hannes: Das Forschungsprojekt, aus dem unsere digitale Lösung hervorgegangen ist, hieß “Get.On”. Was kaum jemand weiß: Get.On steht für Gesundheitstraining Online. Damals waren psychologische Online-Trainings bei weitem noch nicht so etabliert wie heute. Es gab viele Vorbehalte und so suchte das Gründerteam eine enge, auch namentliche Anbindung an den Forschungskontext, aus dem das Unternehmen hervorgegangen ist. Schließlich gab es zu all unseren Produkten wissenschaftliche Belege zu ihrer Wirksamkeit – bis heute auch im globalen Vergleich ein echtes Alleinstellungsmerkmal. Gleichzeitig hatte der Name natürlich gewisse Limitationen. HelloBetter ist einfach verständlich, eingängig und transportiert unser Wertversprechen: Wer unsere Produkte nutzt, sieht einer bessere Zukunft entgegen.
Lief bei der Umbenennung alles glatt?
Hannes: Es war ein längerer Prozess, bei dem wir zunächst mit einer Agentur gearbeitet zusammengearbeitet haben aber schnell den Eindruck hatten, dass es nicht in die richtige Richtung geht. Daraufhin haben wir uns entschieden, mit einer befreundeten Freelance-Beraterin zu arbeiten und sind so auch sehr schnell zu einem tollen Ergebnis gekommen. Es war also nicht reibungslos, aber das Ergebnis stimmt und das ist letztlich was zählt.
Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt teilweise hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Hannes: Uns wurde schon ganz zu Beginn der Pandemie klar, dass neben der akuten Bedrohung durch Corona auch mit einer Epidemie im Bereich der psychischen Erkrankungen wie Stress, Angststörungen oder Depression zu rechnen ist. Wir haben direkt im ersten Quartal 2020 einen großen Ansturm auf unser Angebot erlebt. Für uns ist psychische Gesundheit ein Menschenrecht, und jeder Erkrankte sollte möglichst schnell psychologische Unterstützung bekommen. Deshalb haben wir überlegt, wie unser Beitrag aussehen könnte, und in relativ kurzer Zeit eine umfassende Initiative mit verschiedenen niederschwelligen Angeboten entwickelt: Gemeinsam mit der Allianz haben wir die Initiative “Stark durch die Krise” ins Leben gerufen: eine kostenlose Hotline und eine Online-Community ins Leben gerufen, die von Psychologinnen und Psychologen moderiert wird, sowie eine Mediathek, die über Strategien zum Umgang mit psychischen Beschwerden aufklärt. Aber auch die Nachfrage von Unternehmen ist stark angestiegen: Sie haben erkannt, wie wichtig es ist, ihren Teams dabei zu helfen, ihre psychische Gesundheit zu stärken und investieren jetzt mehr in das Thema betriebliches Gesundheitsmanagement. Um die hohe Nachfrage stemmen zu können haben wir unser Team stark ausgeweitet – seit Beginn 2020 hat sich die Anzahl der Mitarbeitenden mehr als verdoppelt und heute sind wir rund 70.
Wie ist überhaupt die Idee zu HelloBetter entstanden?
Hanne: Mit HelloBetter ging es uns von Anfang an darum, Menschen mit psychischen Beschwerden ganz niedrigschwellig und trotzdem wirksam zu erreichen. Im Schnitt dauert es sechs bis acht Jahre, bis Betroffene sich dazu durchringen können, zum Arzt oder Therapeuten zu gehen, Stigma und das sozusagen urmenschliche Bedürfnis, die eigenen Probleme selbstständig zu lösen sind die häufigsten Gründe. Und wenn man sich dann endlich zu einer Behandlung durchgerungen hat, macht es das deutsche Gesundheitssystem einem nicht immer leicht. Durchschnittlich warten Betroffene in Deutschland bis zu sechs Monate auf einen Behandlungsplatz, manche bekommen gar nicht erst einen Therapieplatz. In der Konsequenz bleiben zu viele psychische Erkrankungen unbehandelt und werden mit der Zeit zu chronischen Erkrankungen oder werden nur von Hausärzten behandelt. Wir wollten diese Versorgungslücke schließen, das Gesundheitssystem entlasten und Menschen mit psychischen Belastungen insgesamt stärker eine Stimme geben. Gestartet sind wir 2011 als EU-Forschungsprojekt an der Leuphana Universität Lüneburg. Wir haben für Deutschland untersucht, wie man mit digitalen Lösungen Menschen bei der Linderung ihrer psychischen Beschwerden helfen kann. Das Projekt war von Anfang an überdurchschnittlich erfolgreich. Das hat mich damals überrascht, denn ich war digitalen Behandlungsmodellen während meines Psychologie-Studiums noch einigermaßen kritisch eingestellt. 2015 kam dann die Ausgründung, damals noch unter dem Namen GET.ON Institut für Online Gesundheitstrainings GmbH.
Wie hat sich HelloBetter seit der Gründung entwickelt?
Hanne: HelloBetter hat sich von einem Universitätsprojekt zu einem Produkt entwickelt, das von der Software-Architektur, Design und Denke best-in-Class und eng an den Bedürfnissen der Nutzer:innen orientiert ist. Unsere Trainings ermöglichen es Menschen auf der ganzen Welt, ihre mentale Gesundheit selbstbestimmt in die Hand zu nehmen. Das freut mich total, und gleichzeitig ist es erst der Anfang. Wir waren einer der ersten Anbieter für digitale Lösungen zur Behandlung psychischer Beschwerden – mittlerweile gibt es jede Menge Digital Mental Health Angebote auf dem Markt. Es macht uns stolz zu sehen, dass wir als Vorreiter auf dem Gebiet diese Entwicklung mitgestaltet haben, gleichzeitig stellen wir leider immer wieder fest, dass noch immer nicht alle Angeboten da draußen transparente und gute Wirksamkeitsbelege vorlegen. Davon werden wir uns immer abgrenzen: HelloBetter hat sich zum führenden Digital Mental Health Startup weltweit entwickelt und wir arbeiten jeden Tag hart daran, diese Position weiter auszubauen. Es gibt keinen anderen Anbieter in unserem Bereich mit einem so starken wissenschaftlichen Fundament. Was ich damit meine: Über 30 Studien belegen zweifelsfrei, dass unsere Trainings wirksam und kosteneffektiv sind, und es kommen immer wieder neue hinzu. Kein anderes Startup kann eine so breite Studienlage aufweisen. Ein wichtiger Treiber unseres Erfolgs ist unser starkes, achtköpfiges Management Team, das wir ganz bewusst senioriger aufgestellt haben, als es in manchen anderen Startups der Fall ist. Mit diesem Set-up ist es uns gelungen, jede Menge Erfahrung aus der Startup- und Forschungswelt miteinander zu verbinden. Das macht in der täglichen Arbeit einfach unheimlich Spaß.
Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist HelloBetter inzwischen?
Hannes: Vor mittlerweile anderthalb Jahren haben wir die Marke HelloBetter ins Leben gerufen und sind seitdem stark gewachsen. Im ersten Quartal 2021 konnten wir mehr Nutzer betreuen als in den Jahren 2015 bis 2019 zusammen. Unsere Nutzerbasis hat sich von 2019 auf 2020 mehr als verdreifacht. Während wir fast ein ganzes Jahr gebraucht haben, um die ersten 100.000 Visits auf unserer Website zu generieren, generieren wir jetzt konstant weit über 100.000 Visits jeden einzelnen Monat. Auf unseren Social-Media-Kanälen konnten wir bislang über 20.000 Follower gewinnen. Innerhalb der letzten Monate konnten wir zudem einige neue Krankenversicherungen als Partner gewinnen, die ihren Mitgliedern die Kosten für die Nutzung unseres Angebots ganz oder zum Teil erstatten: Neben unseren langjährigen Partnern Barmer und SVLFG arbeiten wir nun auch mit Allianz Partners, der Allianz PKV und der AudiBKK und konnten überdies einen Rahmenvertrag mit der GWQ abschließen – einer Einkaufsgemeinschaft der Betriebskrankenkassen. Über 100 Firmenkunden, darunter mehrere DAX-Unternehmen, aber auch Mittelständler wie Visit Berlin, Rebuy und Hidden-Champions wie Schaeffler, bieten unsere Kurse ihren 1,5 Millionen Mitarbeitern an. Insgesamt werden die Kosten für unsere Lösungen für den Erhalt und die Wiederherstellung der psychischen Gesundheit mittlerweile für über 15 Millionen Menschen in Deutschland von einem Kostenträger gedeckt, so dass sie durch unsere Lösungen kostenlos Unterstützung erhalten.
Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Hannes: Natürlich haben wir an einigen Stellen Lehrgeld bezahlt und die Dinge sind nicht immer so gelaufen, wie wir uns das gewünscht hätten. Aber das ist Teil des Startup-Lebens. Resilienz ist da enorm wichtig. Man muss analysieren was schiefgelaufen ist, wieder aufstehen, sich abstauben und weiter geht’ s. Nur ein souveräner Umgang mit Rückschlägen und die Bereitschaft aus den eigenen Fehlern zu lernen, ermöglichen es langfristig erfolgreich zu sein.
Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Hanne: Es gibt einiges, worauf wir sehr stolz sind, zum Beispiel unsere langjährige, vertrauensvolle Partnerschaft mit einem der größten Versicherer Deutschlands. Als wir vor über fünf Jahren an den Start gingen, waren das Verständnis und die Akzeptanz digitaler Gesundheitsanwendungen natürlich nicht vergleichbar mit heute. Einen großen Versicherer wie die Barmer davon zu überzeugen, mit uns zusammenzuarbeiten und unsere Produkte in die Routineversorgung zu bringen – das war schon eine ziemliche Herausforderung und ein großer Meilenstein für die weitere Entwicklung von HelloBetter. Auch unsere starke Unternehmenskultur ist etwas, worauf wir sehr stolz sind. Seit Anfang 2020 bis heute hat sich die Zahl unserer Mitarbeitenden mehr als verdoppelt. Ein so schnelles Wachstum führt oft zu Wachstumsschmerzen, aber das konnten wir verhindern, weil wir sehr früh in das Aufsetzen der richtigen Prozesse investiert haben. Wir konnten die typischen Reibungen, die Hypergrowthphasen mit sich bringen, vermeiden und fragen die Zufriedenheit in dem Team regelmäßig ab – mit sehr guten Ergebnissen. Unsere Initiative „Stark durch die Krise“ wurde vom Weltwirtschaftsforum als eine von 15 Lösungen ausgewählt, die sich mit den unmittelbaren Auswirkungen der Pandemie und ihren langfristigen Folgen befassen, wir haben beim DT50-Award in der Kategorie „Healthcare“ gewonnen und wurden in das renommierte German Accelerator Programm aufgenommen – das macht uns natürlich auch sehr stolz.
Wo steht HelloBetter in einem Jahr?
Hannes: In einem Jahr werden ein halbes Dutzend unserer Produkte offiziell als Digitale Gesundheitsanwendungen gelistet sein. Dann können alle Versicherten den Großteil unserer Angebots auf Verschreibung kostenlos nutzen. Das ist ein sehr, sehr bedeutender Meilenstein in Richtung unserer Vision einer flexibleren, niedrigrschwelligeren, vielfältigeren und somit letztlich besseren psychotherapeutischen Versorgung.
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