Was uns 2021 noch im internationalen Online-Handel erwartet
Hermes, DPD, DHL und Co. liefern dieser Tage das kleine Stück Normalität per Overnight Express direkt an die Haustüre. Wenn Shoppingcenter und Fußgängerzone keine Option mehr sind, zieht es uns regelmäßig in die bunte Welt der Onlineshops. Die Pandemie hat nicht nur unsere Lebensweise extrem durcheinandergewirbelt, sondern auch unser Konsumverhalten stark beeinflusst. Der Onlinehandel in Deutschland boomt und 2020 war laut Bundesverband E-Commerce und Versandhandel ein absolutes Rekordjahr mit über 84 Millionen Euro Umsatz und satten 15 % Wachstum. 2021 setzt sich dieser Trend nun weiter fort und vor allem Marktplätze wie Amazon oder Zalando befeuern das Wachstum stetig.
Gerade kleine und mittlere Unternehmen (KMU) sowie Start-ups profitieren vom “All-inclusive”-Modell der großen Marktplätze. Sie fungieren längst nicht mehr nur als Vermittler zwischen Kunde und Verkäufer, sondern übernehmen zunehmend auch die gesamte Logistik, Lagerung, Versand sowie die Bearbeitung von Retouren. Dieses Konzept kommt an und vereinfacht den Handel auch außerhalb Deutschlands stark.
So verkaufen laut einer Studie von Amazon rund 80 Prozent aller in Deutschland ansässigen KMUs ihre Waren in ausländischen Amazon-Märkten. Aus gutem Grund – der Online-Handel im europäischen Ausland bringt weitreichende Skalierungschancen. Allerdings bringt er auch komplexe Steuerprozesse mit sich und vor allem für kleine Händler und junge Unternehmen sind diese Prozesse häufig schwer abbildbar.
Hier kommt in diesem Jahr die EU-weite Reform des aktuellen Umsatzsteuerrechts ins Spiel. Sie soll Erleichterung schaffen. Doch die Reform ist bereits veraltet, bevor sie überhaupt in Kraft tritt. Der schnelllebige E-Commerce hat das 2017 aufgesetzte Regelwerk bereits überholt und so umfasst es bei weitem nicht mehr alle Aspekte, die das Geschäft heutzutage mit sich bringt. Sie scheint bereits vor ihrem Start obsolet. Was bedeutet das nun für den E-Commerce 2021 und in Zukunft?
Das Umsatzsteuerrecht hinkt hinterher
Bedenkt man, dass das derzeit gültige Umsatzsteuerrecht noch weitgehend aus dem Jahr 1993 stammt, wird einem klar, wie sehr sich die Anforderungen seither verändert haben. Während Anfang der 90er Jahre nur wenige große Versandhändler den Markt dominierten, agieren heute über 300.000 kleine bis große Onlinehändler in 27 EU-Staaten. Der grenzüberschreitende Handel ist damit deutlich vielfältiger geworden. Die bisherigen Regelungen bedeuten daher vor allem viel Bürokratie und sind dadurch auch mit hohen Kosten verbunden. So müssen sich beispielsweise Onlinehändler für die Abwicklung ihrer Umsatzsteuerpflichten in den jeweiligen Bestimmungsländern an die lokalen Finanzbehörden wenden und dabei mit unterschiedlichen verfahrensrechtlichen Anforderungen umgehen.
Diese Barrieren sollen nun durch die Reform beseitigt werden. Die Idee: Über einen sogenannten “One-Stop-Shop” (OSS) können in der EU ansässige Händler ihre internationalen Umsatzsteuer-Verpflichtungen abwickeln. In der Theorie funktioniert diese neue Abwicklung standardisiert, zentral und in der jeweils eigenen Landessprache.
OSS – die neuen Fallstricke für den Onlinehandel
Was auf den ersten Blick nach einem zeitgemäßen Lösungsansatz für den modernen Onlinehandel aussieht, lässt beim Blick auf die Details allerdings einige Stolpersteine erkennen. Onlinehändler nutzen heutzutage vor allem multiple Verkaufskanäle und unterschiedlichste Logistikstrukturen, zum Beispiel über große Marktplätze oder Fulfillment-Anbieter. Und genau hier entstehen Transaktionen, die nicht über den OSS abbildbar sein werden. Unternehmen können über den OSS lediglich sogenannte Fernverkäufe – also grenzüberschreitende Verkäufe innerhalb der EU an private Endverbraucher – angeben. Sobald Waren jedoch von einem Logistikzentrum in Deutschland etwa zu einem Warenlager in Polen verbracht werden, kann diese Transaktion nicht mehr über den OSS gemeldet werden.
Damit wird die Umsatzsteuer-Abwicklung nach Einführung der Reform für viele Händler sogar noch komplexer. Nachdem sich viele Händler Anfang des Jahres im Zuge des Brexit schon aus dem Export nach UK zurückgezogen haben, kommt mit dem OSS nun die nächste Hürde auf sie zu.
Fazit: Es braucht mehr “E” für den E-Commerce
Um Barrieren für den internationalen Handel zu überwinden bräuchte die Reform schon jetzt, unmittelbar vor dem Inkrafttreten, eine Verjüngungskur. Da diese nicht absehbar ist, müssen Unternehmen darauf hoffen, dass die Erfassung von Fernverkäufen als eigenständige Transaktionsart bald ermöglicht wird. Das Bestimmungslandprinzip erfordert zudem eine automatisierte Umsatzsteuerabwicklung. Auch eine Ermittlung der Steuersätze in Echtzeit ist empfehlenswert, um Händlern endlich einen modernen und unkomplizierten EU-weiten Handel zu ermöglichen. Die Digitalisierung ist dafür der Schlüssel.
Über den Autor
Roger Gothmann ist Co-Founder und Geschäftsführer der Compliance-Plattform Taxdoo, über die Onlinehändler aller Größen ihre Umsatzsteuer im EU-Ausland sowie ihre Finanzbuchhaltung automatisiert abwickeln können. Roger hat viele Jahre für die Bundes- und Landesfinanzverwaltung im Bereich Umsatzsteuer gearbeitet und zuletzt die Steuerabteilung einer internationalen Forschungseinrichtung geleitet. Zu den Kunden von Taxdoo gehören Unternehmen wie Beiersdorf, Purelei, Yfood und air up.
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