Warum die wenigstens Startups und kaum Investoren Digitalisierung wirklich verstehen
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Wenn man sich mit der Startup-Welt beschäftigt, dann begegnen einem eher früher als später eine ganze Reihe gefühlter Wahrheiten, die man schon fast als Glaubenssätze bezeichnen könnte. Sie hängen immer mit Vorstellungen darüber zusammen, wie Digitalisierung funktioniert, wie sie abläuft und unter welchen Voraussetzungen sie erfolgreich sein kann. Das Problem ist nur: Diese Vorstellungen gehen allzu oft ziemlich weit an der Realität vorbei. Im Kern sind es drei große Missverständnisse, denen viele Gründer und Investoren aufsitzen.
Missverständnis Nummer 1: Mit Software lässt sich alles lösen
Viele Gründer glauben: Für so gut wie jedes in der Realität vorhandene Problem kann es eine Lösung geben, die auf Software basiert. Und wenn ich mit meiner cleveren Software ein real existierendes Problem lösen kann, dann verbirgt sich dahinter mit Sicherheit auch ein Geschäftsmodell, das nur noch gefunden werden muss.
Die meisten Investoren glauben: Angesichts dessen ist auf Software-Startups zu setzen eine Wette, die sich potenziell so richtig lohnt. Denn wenn das ganze funktioniert und das Startup zum Erfolg wird, dann skaliert das Ganze natürlich so richtig!
Was stattdessen gilt: Den Prozess der Digitalisierung allein aus der Software-Perspektive zu betrachten ist eine unrealistische Vereinfachung. In Wirklichkeit gibt es meist eine große, klaffende Lücke zwischen dem, wie sich Startup-Gründer die Digitalisierung einer Branche vorstellen und den Realitäten dieser Branche. Ein Beispiel ist der Bereich, in dem wir uns selbst bewegen: Auf der Baustelle braucht man gar nicht über komplexe Software-Lösungen für diverse Prozesse nachdenken, wenn man sich zunächst einmal eingestehen muss, dass hier sehr häufig noch Zettel, Stift und Fax regieren. Selbstverständlich kann Software sehr viele Probleme lösen – aber nur, wenn auch die nötige Basis-Digitalisierung bereits passiert ist.
Missverständnis Nummer 2: Buzzwords!
Gründer wissen: AI, Machine Learning, Blockchain – je mehr und häufiger diese und ähnliche Begriffe im Pitchdeck vorkommen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass man Termine mit Investoren an Land zieht. Also muss ich versuchen, diese Technologien auch auf jeden Fall irgendwie einzusetzen.
Investoren glauben: Diese Technologien sind die Zukunft. Das sieht man ja schon heute an den ganz großen Playern und an den Unicorns, die in den letzten Jahren entstanden sind.
Ernüchternd aber wahr ist: Die erfolgreichen Scale-ups mit den großen Exits haben meist kaum Berührungspunkte mit diesen Technologien. Wenn überhaupt spielen sie kommerziell eine völlig untergeordnete Rolle. Viel entscheidender sind solide Geschäftsmodelle, die diesen Unternehmen zugrunde liegen – und eine konsequente Wachstumsstrategie.
Missverständnis Nummer 3: Auch Digitalisierung findet im sozialen Raum statt
Gründer vergessen: Die meisten Prozesse, die digitalisierbar sind, finden nicht in einem sterilen Vakuum, sondern mit und zwischen echten Menschen statt. Je mehr Menschen an einer Transaktion beteiligt sind, desto schwieriger ist die digitale Transformation. Soziale Räume können sehr schnell sehr komplex werden und erstaunliche Beharrungskräfte hervorbringen. Die erfolgreiche Vermittlung einer Taxifahrt benötigt zwei Teilnehmer, Fahrer und Fahrgast. Auf einer Baustelle hingegen kommt man schnell auf 100 Teilnehmer.
Investoren übersehen: Erfolgversprechende Geschäftsmodelle haben nicht zwangsläufig die komplexesten Algorithmen, sondern brauchen auch eine funktionierende, Praxis-taugliche Schnittstelle zwischen der digitalen und analogen Welt (Mensch-Maschine-Interaktion). Diese Schnittstelle muss die Realitäten der sozialen Räume, in denen das Geschäftsmodell funktionieren soll, korrekt abbilden und vor allem auch “digital zurückhaltende” Teilnehmer effektiv mitnehmen und integrieren. Nur so lassen sich die besagten Beharrungskräfte Stück für Stück überwinden.
Fazit:
Wer in komplexen Umfeldern Digitalisierung erfolgreich umsetzen und sichtbar machen will, muss sich auf das jeweilige tatsächliche soziale Umfeld einlassen. Das heißt, man muss sich an den realen Fähigkeiten und Bedürfnissen innerhalb der sozialen Räume orientieren. Ausschließlich auf Technologie zu setzen, wird daher immer zu wenig sein.
Über den Autor
Alexander Gran ist Mitgründer und Geschäftsführer von bobbie. Gran bringt die digitale Komponente in das Gründer-Duo des Baustoff-Startups bobbie. Er blick auf eine langjährige Laufbahn in der IT-Branche zurück und hat viele internationale Digitalisierungsprojekte in den Bereichen CAx und Mobilität umgesetzt und geleitet. Zu seinen Stationen zählen u.a. das Fraunhofer-Institut für Produktionstechnologie, die Moduleworks GmbH, die MTU Aero Engines GmbH sowie die IVU Traffic Technologies AG. Seit 2017 arbeitet er gemeinsam mit Mitgründer Tim Kuhlmann und dem bobbie-Team daran, den Baustoffhandel in das 21. Jahrhundert zu bringen.
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