#Interview

“Als Bootstrapping-Startup ist es schwieriger in Startup-Medien zu kommen”

Seit 2012 bietet Coyo eine Social-Intranet-Software an. Bis zum vergangenen Jahr setzte Gründer Jan Marius Marquardt komplett auf Bootstrapping. Dann investierte Marlin Equity Partners eine zweistellige Millionensumme in das Unternehmen.
“Als Bootstrapping-Startup ist es schwieriger in Startup-Medien zu kommen”
Mittwoch, 27. Januar 2021VonAlexander

Das Hamburger Unternehmen Coyo wurde 2010 von Jan Marius Marquardt gegründet – zunächst als IT-Beratungsagentur (Mindmash). Seit 2012 bietet Coyo eine Social-Intranet-Software an. Bis zum vergangenen Jahr setzte Gründer Marquardt komplett auf Bootstrapping. Dann investierte die amerikanische Investmentfirma Marlin Equity Partners eine zweistellige Millionensumme in das Unternehmen. Derzeit beschäftigt das Unternehmen 140 Mitarbeiter:innen, das Annual Recurring Revenue (ARR) liegt bei über 14 Millionen Euro.

“Weder haben wir uns stets bewusst für noch gegen Bootstrapping entschieden. Wenn sich ein Markt innerhalb kürzester Zeit auftut und es darum geht sich Marktanteile zu sichern, dann sind Investorengelder einfach eine ganz andere Priorität. Unser Markt hingegen hat sich langsam weiterentwickelt und wir waren mit die Ersten. Ich glaube auch nicht, dass hier nur Platz für einen einzigen Player ist und es sich um einen ‘the winner takes it all’ Markt handelt”, sagt Marquardt.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht der Coyo-Macher außerdem über Stabilität, Erfahrungen und kluge Köpfe.

Wie würdest Du Deiner Großmutter Coyo erklären?
Oma, stell dir vor: Du gehst in einen Raum und dort findest du nicht nur alle Neuigkeiten von deinem Unternehmen, sondern es sind auch alle Kollegen da, die bei dem Unternehmen angestellt sind. Und in diesem Raum kannst du alles lesen sowie ansehen und dich mit Kollegen frei und unbegrenzt austauschen – auch, wenn du diese Menschen noch nie im Büro getroffen oder gar mit ihnen gesprochen hast. Dieser Raum ist Coyo und nicht wirklich physisch vorhanden, sondern virtuell auf deinem Computer oder sogar mobil auf dem Handy.

Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Seit dem Start 2010 sind wir natürlich sehr stark gewachsen. Unsere Mitarbeiterzahlen sind auf 140 angestiegen und auch unser Produkt hat sich in den Jahren weiterentwickelt.
Wir haben gemerkt, dass viele Anforderungen und Bausteine in unserem Produkt mittlerweile Grundvoraussetzung geworden sind. Ein Produkt wie unseres hat heute nicht nur einfach eine Active-Directory-Anbindung, sondern braucht den gesamten Baukasten aus Office365 Integration, Single Sign On, die Integration zu anderen Werkzeugen und mindestens vier bis fünf Features, die früher noch innovativ waren und heute einfach vorausgesetzt werden. Die Kundenansprüche haben sich somit definitiv weiterentwickelt. Von den Kunden haben wir auch gelernt, dass die Social Features sehr gut angenommen wurden. Die eigentliche Unternehmenskommunikation lief am Anfang aber noch auf dem “normalen Intranet”. Deshalb haben wir uns ein innovatives Konzept überlegt, das ein demokratisiertes Content Management darstellt. So kann jeder in Coyo einen eigenen Bereich bekommen, sei es eine Abteilung oder eine Business Unit und ganz allein, ohne Schulung, sich den Bereich aufzubauen und darüber mit dem Rest der Firma kommunizieren. So wurde Coyo eine Vernetzungsplattform, die unternehmensweit als Organismus untereinander vernetzt und eine neue, transparente Kommunikation ermöglicht. Gleichzeitig gibt es immer wieder neue Trends und Technologien, die wir einsetzen, um uns vom Wettbewerb abzuheben.

Die Corona-Krise traf die Startup-Szene zuletzt hart. Wie habt ihr die Auswirkungen gespürt?
Interne Kommunikation ist ein so großes Thema wie nie in nahezu allen Unternehmen. Ganze Teams arbeiten nun dezentral im Homeoffice und der Kontakt zu den KollegInnen scheint zu entfallen. Daher konnten wir unsere Expertise mit vielen Unternehmen, vom Mittelständler bis hin zu großen Corporates, teilen und die Kommunikation in so schweren Zeiten vereinfachen und ihnen eine Digitale Heimat geben. Wir sind stolz hier einen großen Beitrag leisten zu können. Zusätzlich hat sich natürlich gerade in Krise unsere interne Struktur mit dem organischen Wachstum der letzten Jahre bewährt. Aufgrund unserer Bootstrapping-Vergangenheit ging uns beispielsweise nicht etwa das Geld aus, weil Investoren nicht nachlegten. Diese Stabilität hat uns Rückenwind gegeben.

Marlin Equity Partners investierte gerade eine zweistellige Millionensumme in Coyo. Wofür braucht ihr dieses Geld?
Gemeinsam mit Marlin Equity Partners wollen wir unsere Plattform weiter entwickeln und vor allem auch die internationale Expansion vorantreiben, um möglichst vielen Teams auf der Welt eine Digitale Heimat geben zu können. Außerdem wollen wir unser Wachstum im DACH-Markt voranbringen und unser Produktportfolio weiter ausbauen.

Zuvor hast Du Coyo zehn Jahre ohne Investorengelder aufgebaut. War dies von Anfang an eine bewusste Entscheidung?
Weder haben wir uns stets bewusst für noch gegen Bootstrapping entschieden. Wenn sich ein Markt innerhalb kürzester Zeit auftut und es darum geht sich Marktanteile zu sichern, dann sind Investorengelder einfach eine ganz andere Priorität. Unser Markt hingegen hat sich langsam weiterentwickelt und wir waren mit die Ersten. Ich glaube auch nicht, dass hier nur Platz für einen einzigen Player ist und es sich um einen „the winner takes it all“ Markt handelt.

Wie war der Start ohne fremdes Geld – was geht recht einfach, was ist als Bootstrapping-Startup recht schwierig?
Die Vorteile waren für uns vor allem, dass wir uns komplett auf die Execution und unser Produkt konzentrieren konnten. Wir haben gerade in den Anfangsjahren keine Zeit mit „Financial Engineering“ und der Suche nach Investoren verschwendet. Stattdessen haben wir angepackt, sind nach sehr kurzer Zeit an den Markt gegangen und haben mit Kunden gemeinsam gelernt sowie die Produkte weiterentwickelt. Das Thema Skalierung kam bei uns erst relativ spät, nämlich als wir gemerkt haben, wie der Markt genau funktioniert und wie man in der Breite neue Kunden gewinnen kann. Aus Gesellschaftersicht kommt natürlich noch hinzu, dass es bis zuletzt keine Verwässerung für uns Gründer gab. Aber natürlich gab es auch diverse Nachteile. Als Bootstrapping-Startup ist es natürlich schwieriger in die einschlägigen Startup-Medien beispielsweise zu kommen aufgrund von fehlenden Investmentrunden. Wir haben auch die eine oder andere unnötige Schleife mehr gedreht, was durch das Wissen und die Erfahrung von Business Angels oder VCs hätte sicherlich vermieden werden können.

Gab es denn viele Dinge, die Du einfach nicht umsetzen konntest, weil das Geld fehlte?
Für unsere nächsten Pläne, unser Produkt auch in anderen internationalen Märkten anzubieten, brauchen wir nun externe Kapitalgeber und freuen uns natürlich über die entsprechende Expertise. Den Schritt in andere Länder hätten wir ohne die Finanzierung sonst erstmal hinten angestellt. Zudem merken wir langsam, dass unser Markt reifer wird und dadurch geht der Blick auch in Richtung Konsolidierung und Akquisitionen.

Was rätst du anderen Gründer, die sich für Bootstrapping entscheiden?
Versucht doch mal Kunden als Quasi-Investoren zu finden, bevor ihr gleich den Blick auf das Einsammeln großer Beträge richtet. Ich meine damit, dass man Kunden findet, die bereit sind, die Entwicklung eines Produktes von Beginn an zu begleiten und auch mit zu finanzieren. Man kann frühen Referenzkunden beispielsweise kostenlose Nutzungsperioden in der Zukunft in Aussicht stellen. Aus meiner Sicht sind Kunden nämlich die besten Investoren, die man haben kann. Sie haben ein ganz klares Interesse am Erfolg und stellen von Anfang an den Product-Market-Fit sicher. Und ihr werdet wirklich überrascht sein, wie viele Unternehmen dazu bereit sind, wenn sie von Beginn an Einfluss nehmen und ihre Ideen mit einbringen können.

Wovon hast Du in der Anfangszeit gelebt?
Aufgrund des Beratungsgeschäfts, das wir in den Anfangsjahren noch hatten, war Coyo von Anfang an profitabel. Da ich für die Gründung von Coyo mein Hauptstudium abgebrochen habe, konnte ich dadurch sogar auf Anhieb besser leben als noch während des Studiums.

Wie ist überhaupt die Idee zu Coyo entstanden?
Wir haben damals die Bertelsmann Music Group (BMG) beraten und schließlich schrieben sie auch ein neues Intranet aus. Also saßen wir mit ihnen zusammen und haben festgestellt: das Intranet wie es zu der Zeit existierte, war nur die Informationsquelle für den Kantinenplan der nächsten Woche. Die Interaktionen mit Kollegen sowie ein zentraler Platz für wichtige, relevante Informationen fehlten. Deshalb wollten wir eine digitale Heimat für alle im Unternehmen schaffen. Dabei erkannten wir, dass der Bedarf nicht nur bei BMG vorhanden war. Denn: die meisten, wenn nicht gar alle, Unternehmen haben zwar ein Intranet und geben Geld dafür aus, doch niemand will es wirklich nutzen.

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Wir arbeiten nach dem Software-as-a-Service-Modell. Sprich wir verkaufen unseren Kunden nicht wie früher die Software einmalig, sondern als Lizenz auf monatlicher bzw. jährlicher Basis. So erhalten unsere Kunden immer regelmäßige neue Funktionen sowie die aktuellsten Updates. Zusätzlich lassen sich weitere Services und Add-Ons erwerben, die das Produkt beispielsweise erweitern. So stellen wir sicher, dass der Kunde unser Produkt in dem Funktionsumfang erhält und nutzen kann, in welchem er es benötigt.

Wie hat sich Coyo seit der Gründung entwickelt?
Zuerst haben wir uns auf die Beratung von Kunden fokussiert, wie sie ihre Business-Software intuitiver an die Nutzer anpassen können – damals hießen wir noch mindsmash. Schließlich haben wir begonnen einfach selbst eine Plattform zu bauen, wo Kolleginnen und Kollegen miteinander interagieren, sich austauschen und zusammenarbeiten können. Die Grundsteine von Coyo, wie wir es heute kennen, waren gelegt. Wir haben uns somit seit der Gründung vom Beratungsgeschäft hin zur Produktentwicklung verändert.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist Coyo inzwischen?
Derzeit sind wir ein Team aus 140 MitarbeiterInnen und rechnen dieses Jahr mit einem Annual Recurring Revenue (ARR) von über 14 Millionen Euro bei einer Wachstumsrate von circa 35 % – ohne Investment.

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Wir haben immer mal wieder kleinere und größere Fehler gemacht. Richtige Fuck-ups waren aber nicht dabei, weil unser großartiges Team stets gut und schnell auf drohende Risiken reagiert hat.

Und wo habt Ihr bisher alles richtig gemacht?
Interessanterweise haben wir von Beginn an eine Sache intuitiv richtig gemacht. Aus unseren eigenen Erfahrungen der ersten Jobs war uns eines enorm wichtig: wir wollten ein Unternehmen aufbauen, in dem es einfach richtig Spaß macht zu arbeiten. Ein Unternehmen, das die klügsten Köpfe zusammenbringt und mit einem positiven Mindset Bock haben etwas Großartiges zu erschaffen. Deshalb haben wir von Anfang an Wert auf das gelegt, was sich heute Employee Experience nennt und auf dem Weg einfach unglaublich coole Mitarbeiter an Bord geholt. Das ist der eigentliche Schlüssel zu unserem Erfolg.

Wo steht Coyo in einem Jahr?
Im Vordergrund steht nun erst einmal die Weiterentwicklung unseres Produkts, im neuen Jahr wollen wir einige neue Features einführen. Diese und die Expansion in einen anderen Markt haben wir in einem Jahr geschafft. Dabei werden wir das Team noch mal deutlich vergrößern und auf die 200 Mitarbeiter zugehen. Und ja, der Umsatz wird natürlich mitziehen.

Tipp: Bootstrapping: Was dafür und was dagegen spricht

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Foto (oben): Coyo

Alexander

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.