Corporate meets Startup oder auch Südkorea trifft Nordkorea
Unternehmen und Start-ups können nicht unterschiedlicher sein. Diese kulturellen Hürden sind ein wenig vergleichbar mit Süd- und Nordkorea: Im Prinzip sprechen beide die gleiche Sprache, haben denselben Ursprung und trotzdem sind sie sehr unterschiedlich. Bei dem Vergleich mit Nord- und Südkorea geht es übrigens nicht darum, eine Seite als schlechte Seite und eine Seite als gute darzustellen. Es geht lediglich darum, mit diesem Beispiel die elementaren Unterschiede aufzuzeigen.
Die Praxis zeigt, dass etablierte Unternehmen immer noch viele Hürden aufstellen, wenn es um die Zusammenarbeit mit Start-ups geht. Sie pochen auf Sicherheit, Kontrolle und geistiges Eigentum und setzen ihre Themen eher langfristig nach dem Wasserfallprinzip um. Dabei ist die Angst, Ideen offen zu teilen und früh über sie zu sprechen, überholt. Denn heutzutage ist eine Idee nichts wert. Vielmehr kommt es darauf an, was man aus ihr macht, wie unter anderem der Zusammenschluss von etventure und EY zeigt.
Warum war es der richtige Schritt?
In der Beraterwelt war es eine der Top-Transaktionen im Jahr 2017: Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft EY kauft Digitalberater und Company Builder etventure. Die Schlagzeilen reichten damals von „EY kauft die Zukunft ein und übernimmt etventure“ (deutsche-startups.de) bis „Treiber für den Wandel“ im „Handelsblatt“. Mein persönliches Umfeld reagierte teilweise so: „Wow Philipp, ihr werdet eure unternehmerische Freiheit verlieren“, „Ihr werdet sofort integriert und gelb angemalt“, „Du kannst direkt mal den Hoodie ausziehen und Anzug und Krawatte kaufen gehen“ sowie „Eure coolen Marketing-, PR- und Sales-Aktivitäten könnt ihr ja dann sofort einstellen. EY wird eine solche Kommunikation niemals zulassen“. Die krasseste Äußerung aber war: „Sie werden euch auffressen und sofort integrieren.“
In der 100-jährigen Geschichte von EY ist etventure – auch drei Jahre nach der Transaktion – die erste Akquisition, bei der die Gesellschaft nahezu vollständig unabhängig bleibt: mit eigenem Business-Case, eigenem Recruiting, eigenen Offices, eigener Marktorganisation. Einfach war die Verbindung auf Anhieb nicht: Die etventure-DNA, stark geprägt durch eine Start-up-Kultur, unterscheidet sich fundamental von den strukturierten und durchorganisierten Prozessen einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft. Daher reagierten damals insbesondere die etventure-Mitarbeiterinnen unsicher und verhalten. Wir hatten uns sieben Jahre lang als Anti-Beratung positioniert und jetzt wurde etventure verkauft; zwar an keine reine Beratungsfirma, aber sollten Wirtschaftsprüfer tatsächlich besser sein?
Wir benötigten zusätzliche Fähigkeiten und Stärken
Die große Stärke von etventure bestand in der Vergangenheit vor allem darin, dass wir ohne großes Branchen-Know-how zu Kunden gefahren sind und unvoreingenommen Digitalprojekte in einem geschützten Raum anstoßen konnten. Wir haben für Klöckner die Digitaleinheit kloeckner.i aufgebaut und digitale Kanäle entwickelt, die darauf abzielen, die ineffizienten Liefer- und Leistungsketten in der Stahlbranche sowie den angrenzenden Industrien zu beseitigen. Wir haben Schacht One (Haniel), SMS digital (SMS-group), W&W digital (Wüstenrot & Württembergi- sche) aufgebaut oder waren für BASF, Schwan-Stabilo oder Putzmeister direkt im Einsatz, um nur einige Milestones zu nennen. Das hat uns zu Digitalpionieren gemacht.
Aber der Markt entwickelte sich rasant weiter: Für viele Unternehmen ging es nicht mehr nur darum, schnell digitales Neuland zu entdecken, sondern neu entdeckte und validierte Geschäftsmodelle auch langfristig in der entsprechenden Breite und Tiefe als Teil des Kerngeschaäfts auszubauen. Dafür benötigten wir zusätzliche Fähigkeiten und Stärken, etwa im Hinblick auf spezialisiertes Branchen-Know-how oder auch auf organisatorische Themen in der übergreifenden Konzern-Transformation. Wichtig waren auch spezielle technologische Themen wie Cybersecurity, Data und IoT sowie auch das Erreichen einer globalen Schlagkraft für die internationale Skalierung von Digitalinitiativen. Das fehlte etventure und daher stand für uns fest: Wenn wir langfristig und nachhaltig Wirkung entfalten möchten – wirklich „Impact“ haben möchten – müssen wir uns in diesen Themen weiterentwickeln. Um dies in hoher Geschwindigkeit zu erreichen, brauchten wir eine Partnerin mit einem tiefen Organisationsverständnis – und die fanden wir in EY. Wichtig war aber auch eine Partnerin, die unsere Werte wie Zusammenhalt und Teamwork, Offenheit und Respekt, Enthusiasmus für die Sache und das ambitionierte Ziel, die digitale Zukunft entscheidend mitzugestalten, teilte.
Kulturen und Fähigkeiten beider Seiten ergänzen sich
Um das Beste aus beiden Welten kombinieren sowie unsere gemeinsamen Kundinnen ganz unterschiedliche Beratungsphilosophien aus einer Hand bieten zu können, war es wichtig, dass wir als etventure unsere DNA und unsere Motivation beibehielten. Was uns gelungen ist: etventure ist auch nach über drei Jahren noch immer eine starke Marke. Ohne Reibung lief das jedoch nicht ab. Es mussten Prozesse installiert werden, die wirtschaftsprüfungskonform waren, die gleichzeitig aber eine agile Organisation mit ausgeprägter Start-up-DNA wie etventure überforderten. Bei einigen Kundinnen mussten wir die Arbeit beenden, weil EY dort als Wirtschaftsprüfer aktiv war – so wollten es die Independence-Regeln.
Es war eine Umbruchphase: Aus diversen Gründen verließen uns zahlreiche Mitarbeiterinnen. Einige zog es wieder in die Start-up-Welt, viele haben gegründet, manche sind auf die Kundenseite gewechselt und, auch das gab es, manche sind auf die EY-Seite gewechselt – im Übrigen auch andersherum. Dabei haben beide Seiten voneinander gelernt, sich gegenseitig inspiriert und gemeinsame interne wie auch externe Projekte gemeistert. Es hat aber auch geknirscht und geruckelt – und tut es bisweilen immer noch. Was aber auch normal ist, wenn zwei so unterschiedliche Kulturen aufeinandertreffen. Doch trotz aller Herausforderungen haben wir zahlreiche Leuchttürme geschaffen, die weder etventure noch EY so für sich allein hätten umsetzen können. So haben wir viele Kundinnen nur deshalb gewonnen, weil sich die Kulturen und Fähigkeiten beider Seiten ergänzen – und das ist die Zukunft.
Die Start-up-DNA ist nicht zu transplantieren
Unser Erfolgsmodell ist, dass EY und etventure nicht unkontrolliert aufeinanderprallten. Beide werden auch in Zukunft ihre DNA beibehalten und nicht verwässern, sie werden kooperieren und ihre Stärken kombinieren – eben nicht konkurrieren.
Daher sollten Unternehmen, wenn sie sich an Start-ups beteiligen, sie kaufen oder mit ihnen kooperieren möchten, unbedingt bedenken, dass hier zwei völlig verschiedene Welten aufeinandertreffen. Was sich bereits beim Vertragswesen zeigt: Bestehen Unternehmen auf Kooperationsverträge, die monatelang von ihrer Rechtsabteilung erstellt werden (Start-ups verfügen in der Regel nicht einmal über eine solche), verschwenden sie nicht nur unnötig Zeit, die sie besser in die Zusammenarbeit investieren sollten. Sie riskieren auch, dass es das Start-up am Ende nicht mehr gibt. Denn gerade die Zeit ist für Start-ups, die noch in der frühen Phase ihrer Gründung stecken, enorm relevant, da sie meist nicht über die finanziellen Mittel verfügen, die ihnen langwierige Vertragsverhandlungen erlauben.
Ferner sollte für Unternehmen bei der Zusammenarbeit mit Start-ups nicht nur die Motivation vorhanden sein, sie direkt zu kaufen. Sie sollten sich vielmehr auf gemeinsame Produkte und Kooperation fokussieren. So nämlich profitieren beide Seiten von den Stärken des jeweils anderen. Und weil die Transformation nicht zu kaufen ist, kann die DNA des Start-ups auch nicht ins Unternehmen transplantiert werden. Damit zerstört man nur die DNA des Start-ups und am Ende das Start-up selbst.
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