Wie der Düsseldorfer Sven Schmidt mit Podcasts Politik macht
Sven Schmidt hat kein politisches Amt, sitzt in keinem digitalen Beirat, ist in keinem parteinahen Netzwerk organisiert oder gar Lobbyist für einen Verband. Doch als die Bundesregierung auf dem Höhepunkt der Coronakrise im Frühjahr über ein milliardenschweres Rettungspaket für die Start-up-Branche nachdachte, suchte der für das Bundeswirtschaftsministerium zuständige Thomas Jarzombek trotzdem das Gespräch.
Der Düsseldorfer Schmidt ist als Gast in verschiedenen Podcasts in den vergangenen Jahren zu so etwas wie einem Gründerszene-Influencer aufgestiegen, einer Art Marcel Reich-Ranicki des Wirtschaftspodcasts. Der hauptberufliche Unternehmer analysiert und interpretiert Firmenbilanzen und Geschäftsmodelle wie der verstorbene Literaturkritiker Romane und Lyrik: oft genial, häufig gnadenlos. Der Europa-Chef des Internetkonzerns Google? »Wird intern nur Management-Roboter genannt.« Der Onlinemöbelhändler Home24? »Firmen, die nicht wachsen und Geld verlieren, gehören nicht an die Börse, sondern liquidiert.« Der Chef von Amazon-Deutschland? »Sollte in Beugehaft genommen werden.« Der Medienkonzern ProSiebenSat.1? »Das Kerngeschäft ist verloren.«
Auch zu dem damals geplanten Hilfspaket, das der CDU-Politiker Jarzombek und sein Kollege aus dem Bundesfinanzministerium, Staatssekretär Jörg Kukies, auf Drängen des Bundesverbands Deutsche Startups anlässlich der Pandemie im Frühjahr 2020 entwickelten, hatte Schmidt eine Meinung: »Eigentlich ist kein Start-up systemkritisch und die 38. Yoga-App erst recht nicht.« Aus seiner Sicht sollten stattdessen die Risikokapitalgeber, die nun teilweise über den Bundesverband Deutsche Startups ein solches Rettungspaket gefordert hatten, im Zweifel die Start-ups mit ihrem Geld retten. Es entbehre nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet Millionäre nach Staatshilfe rufen würden, so Schmidt. Das Hilfspaket sei nicht weniger als der »Versuch eines legalen Bankraubs«.
Rumms.
Mit seinen provokanten Formulierungen und seinen kritischen Analysen hat es der Düsseldorfer innerhalb der Szene zu einiger Berühmtheit gebracht: »Sven hat sich inzwischen eine eigene Fangemeinde aufgebaut. Es gibt gestandene Manager, die mich fragen, ob ich einen Kontakt zu ihm herstellen könnte«, sagte Philipp Westermeyer über seinen Freund. Westermeyer moderiert den OMR-Podcast der Hamburger Medien- und Marketing-Plattform Online Marketing Rockstars, in dem er Köpfe aus der Digitalszene und auch Prominente wie Günther Jauch oder Dieter Bohlen interviewt. 50.000 Hörer hat der Podcast im Schnitt pro Folge, in dem Sven Schmidt regelmäßig als »Stammgast« auftritt. Der Unterhaltungswert der beiden ist so groß, dass Westermeyer und Schmidt sogar für Konferenzen als Bühnenprogramm angefragt werden.
Im Juli 2018 startete das Portal deutsche-startups.de auch einen Insider-Podcast, in dem Chefredakteur Alexander Hüsing regelmäßig mit Sven Schmidt exklusive Nachrichten und Einblicke aus der deutschen Startup-Szene veröffentlicht. Der Podcast ist für viele Risikokapitalgeber, Gründer und Manager inzwischen Pflichtprogramm. Der Einfluss ist so groß, dass Schmidt vor einiger Zeit sogar zu einem Gespräch mit NRW-Wirtschaftsminister Andreas Pinkwart eingeladen wurde, nachdem zuvor Beamte im Ministerium die Sendungen mit ihm gehört hatten.
Erstaunlich ist das alles vor allem deswegen, weil der Düsseldorfer all diese Projekte quasi als Hobby betreibt. Sein Geld verdient er eigentlich als Unternehmer und Investor. Schmidt ist seit einiger Zeit Geschäftsführer beim Essener Start-up Maschinensucher.de, einem Marktplatz für Gebrauchtmaschinen, den er gemeinsam mit dem Gründer durch Marketing und strategische Übernahmen zum international dominierenden Spieler in diesem Segment ausbauen will. Die Podcasts sind daher für ihn auch ein Stück weit Mittel zum Zweck: »Ich mache fast keine Geschäftsreisen. Wenn man in Düsseldorf lebt, nicht mehr für eine bekannte Marke arbeitet und nicht reist, läuft man schnell Gefahr, sein Netzwerk zu verlieren.« Die Podcasts würden ihm helfen, im Gespräch zu bleiben, und Anlass für Telefonate mit alten Bekannten und Weggefährten geben.
Es ist eine Freiheit, die Schmidt erst heute, als finanziell unabhängiger Unternehmer hat. Denn jahrelang gehörten Flüge und Reisen zu seinem Alltag. Nach dem Studium an der Gründer-Hochschule HHL in Leipzig fing er bei McKinsey als Unternehmensberater an, bevor er anschließend sechseinhalb Jahre bei Risikokapitalgebern wie Earlybird und Accel Partners in London arbeitete, für die er unter anderem in die Start-ups Mitfahrgelegenheit.de, Prezi und Vinted (Kleiderkreisel) investierte. Dabei sammelte Schmidt nicht nur Bonusmeilen, Erfahrungen und viele wichtige Kontakte, sondern gewann auch eine wichtige Erkenntnis: »Das eigene Bett ist immer noch angenehmer als jeder Sitz im Flugzeug.«
In der nordrhein-westfälischen Landeshauptstadt wurde Schmidt geboren und ist dort auch aufgewachsen. Hier besuchte er zunächst das Humboldt-Gymnasium und studierte anschließend bis zum Vordiplom an der Heinrich-Heine-Universität Betriebswirtschaft. Die Eltern seines Vaters waren Fabrikarbeiter, Vater Schmidt der erste Studierte in der Familie. Seinem Sohn Sven abonnierte er USA Today, damit dieser eine englischsprachige Zeitung lesen konnte. Aufstieg durch Bildung ? eine Maxime, die Schmidt auch heute noch als eine der zentralen Aufgaben des Staates ansieht.
Vom Penner zum Schlossbesitzer – wie das geht, hat Schmidt auch schon selbst erlebt. Nicht persönlich natürlich. Aber als Investor von Farbflut Entertainment, dem Unternehmen hinter dem Onlinespiel Pennergame. Im Jahr 2008 sorgte das Spiel für einen deutschlandweiten Hype und Millionen Menschen versuchten damals, einem Obdachlosen virtuell zu Reichtum zu verhelfen, indem sie im Spiel Flaschen sammelten oder Currywurstbuden überfielen. Beim Diakonischen Werk sah man in dem Spiel damals »ein Indiz für soziale Verrohung«, ein Sprecher des französischen Roten Kreuzes nannte das Spiel »eine Schande«. Doch für die Macher war es ein riesiger Erfolg. Zwischenzeitlich zählte Pennergame mehr als eine Milliarde Seitenaufrufe pro Monat.
Der heutige Capnamic-Investor Jörg Binnenbrücker suchte damals noch bei DuMont Ventures nach Start-ups und war dabei laut Schmidt auf das Onlinespiel gestoßen. Er machte ihm und seinem Geschäftspartner ein Angebot: Wenn ihr Pennergame bei ICS inkubiert, dürft ihr im Gegenzug investieren. ICS Internet Consumer Services war das Unternehmen, mit dem Schmidt und sein Geschäftspartner Start-ups aufbauten und entwickelten. Möglich wurde das durch einen Erfolg im Fahrwasser des Neuen Markts.
Genau wie die späteren Gründer der Hotelsuchmaschine Trivago hatte auch Schmidt in Leipzig studiert und währenddessen ein Netzwerk aufgebaut. Er war dabei, als rund um die Jahrtausendwende das Gründerfieber ausbrach – und der Verkauf von Alando an eBay die Samwer-Brüder zu heimlichen Stars an den Hochschulen machte. Schmidt kannte Oliver Samwer von einigen Begegnungen an der WHU bzw. in Leipzig. Ende 1999 hatten die Brüder dann ehemalige Kommilitonen und Kontakte von der HHL zu einer Art Businessplan-Wettbewerb in das Alando-Büro nach Berlin eingeladen und Schmidt fuhr hin. War das der Impuls zum Gründen? Nein, sagt Schmidt, denn damals »musste niemand mehr ermutigt werden, das war ja wie beim Goldrausch.« Am Neuen Markt seien Firmen über Nacht mit Millionen bewertet worden, das Alter der Gründer hingegen spielte bei Internetgeschäftsmodellen keine Rolle mehr. Der junge Hochschulabsolvent konnte in kürzester Zeit erfolgreicher sein als der erfahrene Unternehmer. »Da dachte jeder, jetzt gründe ich was.«
Schmidt fing damals zunächst als Unternehmensberater bei McKinsey an, beschloss dann aber, mit Freunden und Kollegen lieber einen eigenen Onlinetickethandel aufzubauen: GetGo. Das Team konnte unter anderem den Risikokapitalgeber ECONA von einem Investment überzeugen, führte das Portal anschließend innerhalb von zwei Jahren von Hamburg aus in die schwarzen Zahlen und zur Marktführerschaft – und verkaufte es dann 2002 mit Gewinn an den Offline-Marktführer CTS Eventim, der damit im Onlinemarkt an Profil gewann.
Nach dem Verkauf 2005 gründete er gemeinsam mit einem Partner dann ICS Internet Consumer Services, mit dem er wiederum andere Firmen aufbaute wie das Gelbe-Seiten-Portal Dialo, den Onlinestammbaumanbieter Verwandt.de, die Schnäppchenseite Dealjaeger – oder eben das Unternehmen hinter Pennergame. Dessen Erfolg war so immens, dass das Pennergame-Team praktisch rund um die Uhr damit beschäftigt war, das Wachstum zu organisieren, Serverkapazitäten bereitzustellen und Werbeflächen zu vermarkten. Es fehlte die Zeit, das Modell auszubauen, weitere Einnahmemöglichkeiten zu generieren, etwa durch die Einführung eines Freemiummodells, bei dem die Basisversion kostenlos wäre, Erweiterungen aber Geld kosteten. Freemium-
modelle werden heute zum Beispiel von vielen Medienhäusern genutzt,die einen Teil ihrer Artikel kostenpflichtig hinter einer Bezahlschranke anbieten. Im Jahr 2012 wurde die Firma von ICS verkauft. »Es ist schade, dass wir da das Optimum nicht rausgeholt haben«, sagte Schmidt rückblickend. Er schaut daher auf diese Zeit mit einem lachenden und einem weinenden Auge zurück.
Doch insgesamt hat sich die Zeit als Investor gelohnt. Dialo und speziell Verwandt.de wurden mit Gewinn verkauft und glichen damit den Verlust, den Schmidt beim gescheiterten Portal Dealjaeger machte, mehr als aus. »Unternehmertum ist wie Lose ziehen, man kann nicht immer gewinnen«, sagte der Investor einst. Schmidt gewann bislang häufiger, als er verlor. Alleine sein Investment in die IT-Beratung Senacor Technologies sei äußerst erfolgreich, hört man in der Branche. Als das Unternehmen vor Jahren einen Management-Buy-out unter Führung eines Kommilitonen machte, soll Schmidt eingestiegen sein und bis heute einen zweistelligen Prozentsatz an dem profitablen Unternehmen halten.
Vermutlich müsste Schmidt nicht mehr arbeiten, vermutlich könnte er sich ganz auf das Hobby der Podcasts konzentrieren. Aber will man das mit Mitte 40? Schmidt zumindest nicht. Daher suchte er vor einigen Jahren nach dem Ausscheiden aus dem VC-Geschäft nach einem neuen Projekt – und erinnerte sich dabei an einen Onlinemarktplatz, auf den er während seiner Tätigkeit für Accel aufmerksam geworden war: Maschinensucher.de.
Thorsten Muschler hatte die Plattform für gebrauchte Maschinen wie Spritzguss-, Fräs- oder Hobelmaschinen bereits 1999 während des Studiums in seiner Heimatstadt Essen gegründet. Als Hauptquartier diente ihm zunächst das ehemalige eigene Kinderzimmer. Drei Jahre später begann er damit, für Inserate auch Geld zu nehmen. Mit den Einnahmen finanzierte er zunächst das Studium und ab 2008 auch den ersten Mitarbeiter, den er einstellte, nachdem er einen Schottlandurlaub wegen eines Serverausfalls hatte abbrechen müssen.
Im Jahr 2017 stieg Sven Schmidt als Mitgesellschafter bei dem Start-up ein, seitdem erhöht sich die Schlagzahl kontinuierlich. Wer eine gebrauchte Maschine sucht, soll irgendwann nicht mehr über den Umweg Google zu Maschinensucher kommen, sondern sich direkt an das Portal erinnern. Dafür warb das Essener Unternehmen im Umfeld der Darts-WM, buchte großflächig Bandenwerbefläche bei mehreren Vereinen in der 2. Fußball-Bundesliga und versuchte zuletzt sogar, die Namensrechte am Stadion des MSV Duisburg zu erwerben. Natürlich helfen Schmidts Podcastauftritte, das Unternehmen in die Medien zu bringen – auch wenn nicht jeder über seine Aktivität erfreut ist. Denn der Düsseldorfer polarisiert so sehr, dass es immer wieder zu Beschwerden kommt. Mal war es der Fußball-Club Borussia Mönchengladbach, der sich nach einem Liveauftritt zu hart kritisiert fühlte, ein anderes Mal nahm OMR eine Folge des Podcasts sogar kurzfristig aus dem Netz, weil sich der Kölner Plakatvermarkter Ströer über Schmidts Analysen beschwert hatte. Der Bonner Investor Frank Thelen schaltete einmal sogar nach einer Folge des Insiderpodcasts von Deutsche Startups einen Anwalt ein.
Auf rheinländische Solidarität sollte man bei Schmidt jedenfalls nicht hoffen, wie diese und andere Beispiele zeigen. Speziell Thelen ist immer wieder Thema. Genüsslich zitiert Schmidt im Startup-Insider-Podcast, dass dieser in Investorenkreisen »der Realschüler« genannt würde. Den Kölner Gameduell-Gründer Boris Wasmuth nennt er regelmäßig »den kleinen Gauselmann« in Anlehnung an den umstrittenen Spielhallenkönig – und wenn die Sprache auf den Risikokapitalgeber Project A kommt, spricht Schmidt lieber von »Heinemann & Associates«, als würde Florian Heinemann in der Hierarchie über seinen Partnern stehen.
Schmidt und Heinemann waren eigentlich eng befreundet und hatten sich kurz nach der Jahrtausendwende während Heinemanns Zeit bei Justbooks in Düsseldorf kennengelernt. Später baute Schmidt dann auch zu anderen Partnern von Project A ein enges Verhältnis auf. Doch es kam zum Bruch, als man sich über ein geplantes, aber dann nicht zustande gekommenes gemeinsames Geschäft zerstritt. Seitdem haben die beiden kein Wort mehr miteinander gewechselt. »Sven Schmidt ist unheimlich schlau, aber wenn er irgendwo emotional involviert ist, verliert sein Verstand an Schärfe und er wird unfair«, heißt es in Branchenkreisen im Hinblick auf seine verbalen Spitzen bei bestimmten Personen.
Trivago-Gründer Rolf Schrömgens und der Maschinensucher-Geschäftsführer kennen sich aus gemeinsamen Zeiten an der HHL in Leipzig. Schrömgens schätzt Schmidt, sagt aber auch, dass dieser schon zu Studienzeiten die Menschen stark daran gemessen habe, ob sie ihm intellektuell gewachsen seien: »Der hatte früher ein schwieriges Interface. Aber spannend zu sehen, wie er sich in den Jahren positiv entwickelt hat.«
Mit seiner Kritik am Rettungspaket für Start-ups war er hingegen nicht alleine. Auch einige andere Risikokapitalgeber äußerten sich hinter vorgehaltener Hand skeptisch über den Plan, mit staatlichem Geld Finanzierungsrunden von Risikokapitalgebern aufzustocken. Verhindert wurde er dennoch nicht. Ein Fehler? Das wird man erst in einigen Jahren wissen. Denn Schmidt ist zwar analytisch brillant, immer richtig liegt er deswegen aber trotzdem nicht. Insofern dürfte man auch in der nordrhein-westfälischen Landesregierung darauf hoffen, dass sich Schmidts Prognose zu den Zukunftschancen des Start-up-Standorts Rheinland als falsch herausstellt: »Berlin und München haben internationale Strahlkraft. Düsseldorf und Köln sind hingegen über die Landesgrenzen hinaus nicht bekannt.« Doch gerade so eine Anziehungskraft brauche es, um internationale Talente zu gewinnen und langfristig zu halten: »Ich lebe sehr gerne in Düsseldorf, muss aber auch ganz ehrlich sagen: Wenn man als Nicht-Düsseldorfer nach Düsseldorf kommt, gibt es im Grunde nichts, was einen hier hält.«
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