#Interview
“Viele Gründer stellen sich den Weg zu einem erfolgreichen Unternehmen zu einfach vor”
Wie starten ganz normale Gründerinnen und Gründer so in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag? Wie schalten junge Unternehmerinnen und Unternehmer nach der Arbeit mal so richtig ab und was hätten die aufstrebenden Firmenlenker gerne gewusst bevor sie ihr Startup gegründet haben? Wir haben genau diese Sachen abgefragt. Heute antwortet Jonathan Kurfess, Gründer von Appinio, einem Marktforschungsunternehmen.
Wie startest Du in einen ganz normalen Startup-Arbeitsalltag?
Mein Tag beginnt in der Regel mit einem Blick aufs Smartphone. Ich weiß, das ist nicht der gesündeste Start in den Tag – und ich arbeite daran, mir dieses Verhalten abzugewöhnen –, aber ich checke morgens gerne schnell die Slack- und Mail-Nachrichten. Wenn es mein Terminkalender zulässt, versuche ich dann noch joggen zu gehen und fahre danach mit dem Fahrrad ins Büro und arbeite erst einmal Mails ab. Mein erstes Frühstück nehme ich gegen 11 Uhr zu mir – meistens Müsli.
Wie schaltest du nach der Arbeit ab?
Am besten kann ich abschalten, wenn ich mich nach Feierabend mit Freunden auf einen Drink treffe – im Sommer gern ein Glas Rosé, im Winter eher Rotwein. Auch Sport und Yoga ist ein sehr guter Ausgleich.
Was über das Gründer-Dasein hättest du gerne vor der Gründung gewusst?
Viele Gründer stellen sich den Weg zu einem erfolgreichen Unternehmen zu einfach vor. Ich hatte das zu Beginn auch unterschätzt. Das liegt vermutlich daran, dass wir häufig nur die positiven Start-up-Stories zu hören bekommen und seltener die Geschichten, die die Probleme und Herausforderungen oder gar das Scheitern beschreiben. Jedem sollte klar sein: Der Weg zu einem erfolgreichen Unternehmen ist steinig und zeitintensiv. Hätte ich das vorher gewusst, hätte ich auf jeden Fall trotzdem gegründet, aber ich hätte mich besser darauf einstellen können. Heute sind wir bei Appinio stolz, selbst eine dieser positiven Start-up-Stories zu sein.
Was waren die größten Hürden, die Du auf dem Weg zur Gründung überwinden musstet?
Da ich kein Entwickler bin, sondern einen betriebswirtschaftlichen Hintergrund habe, brauchte ich zu Beginn jemanden, mit dem ich die Idee umsetzen kann. Das war die erste Hürde, die ich zu nehmen hatte. Damals hatte ich das große Glück, unseren jetzigen CTO Kai Granaß kennenzulernen, der Feuer und Flamme für meine Idee war. Im weiteren Verlauf komplettierte unser jetziger COO Max Honig das mittlerweile eingespielte Führungstrio – die Heterogenität im Management-Team ist sicherlich ein essenzieller Faktor unseres bisherigen Unternehmenserfolgs und die größte Challenge, die man bei einer Gründung hat. Eine weitere Hürde war die Finanzierung: Ich musste ein Darlehen aufnehmen und dadurch privat ins Risiko gehen, weil ich damals nicht zu früh Unternehmensanteile abgeben und durch einen Investor verwässern wollte. Und da wäre noch das Thema Glaubwürdigkeit oder neudeutsch “Street Credibility”: Es ist nicht einfach, mit Anfang 20 eine ganze Branche auf den Kopf stellen zu wollen. Ich musste anfangs häufig sehr dicke Bretter bohren, um in den Chefetagen ernst genommen zu werden. Das ist heute glücklicherweise nicht mehr nötig.
Was waren die größten Fehler, die Du bisher gemacht hast – und was hast Du aus diesen gelernt?
Wir hatten im Jahr 2016 eine wilde Phase, in der Appinio unglaublich schnell gewachsen ist. Leider haben wir auf diese Entwicklung damals mit zu vielen Neueinstellungen reagiert, woraufhin ich einige Mitarbeiter*innen kurz darauf wieder entlassen musste. Ich gebe gern zu: Diese Kündigungen auszusprechen war extrem hart für mich. Aber ich habe daraus gelernt: Heute ist ein ordentliches Recruiting und ein optimaler Auswahlprozess ungemein wichtig für uns. Wir treffen die Entscheidungen mit sehr viel Augenmaß und sind uns als Arbeitgeber unserer Verantwortung gegenüber den Mitarbeiter*innen sehr bewusst.
Wie findet man die passenden Mitarbeiter für sein Startup?
Ich beantworte diese Frage immer anhand von drei Faktoren: Smartness, Begeisterung fürs Produkt und freundliches bzw. leidenschaftliches und überzeugendes Auftreten. Letzteres ist mir persönlich sehr wichtig. Der Drive, also ein gewisser Anspruch, selbst etwas erreichen zu wollen, muss deutlich spürbar sein. Der Lebenslauf kommt erst an zweiter Stelle.
Welchen Tipp hast Du für andere Gründer?
Bleibt hartnäckig! Was Gründer*innen von Nicht-Gründer*innen unterscheidet, ist die Hartnäckigkeit und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, selbst wenn es ungemütlich wird. Ein paar weitere Tipps: Seid zu 100 Prozent von eurer Idee überzeugt, habt keine Angst vor dem Urteil anderer, habt keine Angst vor dem Scheitern und nehmt euch selbst und andere nicht immer zu ernst. Außerdem: Karma is a bitch. Pflegt einen freundlichen Umgang und ihr erfahrt viel Unterstützung, was gerade als junge*r Gründer*in extrem wertvoll ist. Klingt nach Binsenweisheit, nimmt sich aber nicht jeder zu Herzen und wird unterschätzt.
Ohne welches externes Tool würde dein Startup quasi nicht mehr existieren?
Hubspot als sehr zentrales Tool für Sales und Teile des Marketings, Slite als Wiki, die G-Suite und Slack sind für unser Unternehmen extrem wichtig – auch wenn ich nicht so weit gehen würde zu sagen, dass Appinio ohne diese Tools nicht existieren könnte.
Wie sorgt ihr bei eurem Team für gute Stimmung?
Gerade in Zeiten der Corona-Pandemie haben wir Wege und Mittel gefunden, die Stimmung innerhalb des Teams aufrecht zu erhalten. Wir haben beispielsweise ein virtuelles Pub-Quiz initiiert und einen Zauberkünstler per Videokonferenz zugeschaltet. Eine gute Stimmung leitet sich aber vor allem über den Erfolg des Unternehmens ab. Wir dürfen uns glücklich schätzen, in der Krise weder Mitarbeiter*innen entlassen noch in Kurzarbeit gehen zu müssen. Im Gegenteil: Das Geschäft läuft gut und wir stellen aktuell sogar monatlich zwei neue Mitarbeiter*innen ein. Eine solche positive Entwicklung innerhalb einer Wirtschaftskrise stärkt den Zusammenhalt des Teams enorm.
Was war Dein bisher wildestes Startup-Erlebnis?
Die Coronakrise war für uns auf jeden Fall eine wilde Zeit. Wir sind für circa drei Monate ins Home Office gegangen und sind es zum Teil immer noch, was eine starke Umstellung für uns war. Wir haben allerdings gemerkt, dass wir remote ohne Produktivitäts- und Effizienzverlust als Organisation funktionieren. Vom Gefühl her waren wir in Teilen sogar noch effizienter. Das war ein großes Learning für mich. Außerdem ist die Dynamik und das Commitment im Team in dieser Zeit sehr hoch, da alle nochmal eine Schippe drauf gelegt haben und wir so bisher weiterhin profitabel mit deutlich mehr als 100 Neukunden in diesem Jahr durch die Krise gekommen sind.
Tipp: Wie sieht ein Startup-Arbeitsalltag? Noch mehr Interviews gibt es in unserem Themenschwerpunkt Gründeralltag.
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