#Gastbeitrag
Pre-Seed-Investitionen in Zeiten von Corona
Der Ausbruch von COVID-19 hat uns alle vor beispiellose Herausforderungen gestellt. Im Internet tummeln sich zwar viele Informationen über die wirtschaftlichen Auswirkungen des Virus und seiner Folgen für Startups und Investoren, aber nicht viele davon sind auf Pre-Seed-Investitionen ausgerichtet.
Es gibt unzählige Blog-Beiträge und Artikel über Startups in der Seed- oder Series-A-Phase, über Venture Capital Funds und darüber, wie sie mit der Situation umgehen und welche Entwicklung sie erwarten. Diese Startups haben eine etwas „bessere“ Berechenbarkeit, zumindest auf der Kostenseite, und ein besseres Verständnis ihres Runways. Aber was ist mit Unternehmen in der Ideenphase? Was ist mit Startups, die erst kurz vor ihrem ersten MVP stehen? Wie gehen diese mit den Unsicherheiten um, die ihnen die Krise auferlegt? Und was ist mit ihren Investoren?
Lasst uns einen Blick darauf werfen, wie Early Stage Startups von der aktuellen Krise betroffen sind, insbesondere in Bezug auf Umsätze, Produkte und Fundraising.
Keine Umsätze = kein Umsatzverlust
Die gute Nachricht ist, dass durch den Corona-Lockdown keine Umsätze verloren gehen, wenn ein Unternehmen noch keine Umsätze erwirtschaftet hat. Die Kehrseite der Medaille ist jedoch, dass Markt-Launches verschoben werden müssen. Viele PoCs werden abgesagt, der Aufbau einer Pipeline wird schwieriger. Das wirkt sich auf den Runway aus und erhöht den Druck, lean zu bleiben.
Die Zeit nutzen, um das Produkt zu perfektionieren – ohne User-Feedback
Viele unserer Teams konzentrieren sich jetzt auf ihre Produkte und machen sie bereit für einen starken Start, sobald die Märkte wieder an Momentum gewinnen. Für sie ist das Problem, dass potenzielle Nutzer, insbesondere B2B, zu diesem Zeitpunkt andere Fokusthemen haben. Eine nutzerzentrierte Produktentwicklung wird also schwieriger, da sie von konstantem User-Feedback abhängt, das aktuell schwer einzuholen ist.
Große Unsicherheit in Sachen Fundraising
Die Kapitalbeschaffung ist der Bereich, in dem Pre-Seed-Unternehmen am stärksten von der Krise betroffen sind. In der Regel beschaffen unsere Startups zusätzliches Kapital über Business Angels (in der Regel zwischen 200.000 und 500.000 Euro) und entscheiden sich dann neun bis zwölf Monate später für Venture-Capital-Seed-Runden (über 1 Mio. EUR). Manche Unternehmen, die in der Lage waren, frühzeitig Traktion und Dynamik zu erzeugen, können sogar unmittelbar nach unserem Programm Kapital von institutionellen Investoren wie Venture Capitalists oder Corporates aufnehmen. Aber heute liegen die Dinge etwas anders.
Viele Business Angels sind sicherlich zögerlicher, jetzt neue Investitionen zu tätigen, und reservieren ihre Liquidität für mögliche zusätzliche Investitionen in ihr bestehendes Portfolio, wenn sie überhaupt investieren. Einige investieren weiterhin in neue Unternehmensgründungen. Allerdings haben sich die Investments insgesamt verlangsamt, da Business Angels in der Regel eine Beziehung zu Gründern aufbauen wollen, was aktuell durch Social Distancing und Remote Work schwieriger wird. Darüber hinaus treffen Gründer neue Business Angels typischerweise auf physischen Events – ein Format, das momentan nicht zugänglich ist.
Venture Capitalists stehen vor anderen Herausforderungen: Obwohl sie in der Regel einen Teil ihrer Mittel für Folgeinvestitionen reservieren (und damit etwas mehr am Steuer sitzen), ist noch unklar, inwiefern Neuinvestitionen betroffen sind. Die meisten Venture Capitalists, mit denen wir gesprochen haben, investieren weiterhin in Unternehmen, allerdings mit dem Hinweis, dass die Messlatte nun sehr hoch angesetzt wird und neue Investments gründlicher geprüft werden. Einige erwarten sogar, dass die Bewertungen insgesamt deutlich zurückgehen. Das setzt Startups noch mehr unter Druck, sich um Investitionen zu bemühen. Venture Capitalists, die sich derzeit im Fundraising befinden und ihre Fonds noch nicht geschlossen haben, müssen auf einer ganz anderen Ebene kämpfen – sie müssen LP-Engagements sichern und das Risiko von LP-Ausfällen mindern.
5 Tipps, wie es weitergehen kann
Man könnte sagen, dass “Earliest Stage”-Investor sind – wir unterstützen viele Startups, wenn noch kein anderer Investor an Bord ist, und in den meisten Fällen bereiten sich unsere Portfolio-Startups gerade erst auf den Start ihres MVP vor. Offen gesagt ist unsere Rendite direkt an die Fundraising-Fähigkeit unserer Startups gebunden: Wenn kein anderer Investor den Startups Liquidität verschafft, droht ihnen in der Regel innerhalb von sechs bis zwölf Monaten die Insolvenz und unsere Anfangsinvestition ist verloren. Pre-Seed-Unternehmen haben grundsätzlich den Luxus, sich schneller wandeln zu können und dabei schlank bleiben zu können. Allerdings ist es ihnen in dieser Phase unmöglich, einen positiven Cashflow zu erzielen und somit auf externes Kapital verzichten zu können.
Mit allem im Hinterkopf, was ich anfangs über den Fundraising-Markt gesagt habe, sind hier fünf Tipps, wie Startups und Investoren in der Pre-Seed Phase in diesen Zeiten der Unsicherheit weiter agieren können:
Kosten senken
Üblicherweise ermutigen wir Startups „to think big“, ermutigen sie, ehrgeizige Ziele zu setzen und einen „Hustler“-Ansatz an den Tag zu legen, um diese zu erreichen. Das bedeutet in der Regel, dass unsere Startups erhebliches Kapital aufwenden müssen, um dorthin zu gelangen, und daher in der Regel einen maximalen Runway von sechs Monaten haben. Angesichts der gegenwärtigen Situation ermutigen wir alle unsere Gründer, Kosten zu senken und ihren Runway somit auf mindestens zehn bis zwölf Monate zu verlängern, in der Annahme keiner Umsätze. Bei konservativen Annahmen zu Umsätzen, sogar einen Runway von zwölf bis achtzehn Monaten.
Kreativ sein und Low Hanging Fruits zur Monetarisierung identifizieren
Hier gehen die Meinungen auseinander: Insbesondere Startups ohne Traktion stehen ständig im Zwiespalt zwischen Business-Model-Flexibilität und dem Festlegen auf ein Business Model, respektive der Form der Monetarisierung.. Typischerweise ist letzteres der entscheidende Punkt, den sie in dieser Phase validieren wollen, um den Seed-Venture Capitalists ihre Investitionsbereitschaft und Skalierbarkeit zu signalisieren. Viele argumentieren, dass man durch das Bootstrapping von Einnahmen den Fokus und den Blick für das große Ganze verliert. Aber verzweifelte Zeiten erfordern verzweifelte Maßnahmen. Wir raten unseren Unternehmen daher, kreativ zu sein und über Wege nachzudenken, ihr derzeitiges Produktangebot oder ihre Fähigkeiten so zu monetarisieren, dass sie möglichst einfach und schnell zu Geld gemacht werden können. Kreativität in Bezug auf die Monetarisierung kann ein gutes Signal an Investoren sein, dass Gründer auch in Krisenzeiten ihren Mut und ihre Lösungsorientiertheit nicht verlieren. Doch wichtiger als dieses Signal zu senden ist es, den Runway zu erweitern und die Burn Rate zu senken. Warum? Weil es Zeit verschafft – und Zeit ist derzeit die wichtigste Ressource.
Öffentliche Mittel nutzen
Ein No-Brainer: Selbst in „normalen“ Zeiten raten wir unseren Startups immer, sich nach jeder Art von freiem Kapital umzusehen. Öffentliche Zuschüsse und Förderprogramme sind eine großartige Quelle dafür. Bezüglich der verschiedenen Formen der Corona-Unterstützung ermutigen wir Startups, sich für Hilfspakete zu bewerben und zu prüfen, ob sie für eine Förderung in Frage kommen.
Mit dem Investorennetzwerk kommunizieren
Noch nie war es so wichtig wie jetzt, die aktive Auseinandersetzung mit dem eigenen Investorennetzwerk zu suchen und sich so nahe wie möglich zu bleiben. Abgesehen von den 1:1-Interaktionen mit unseren engsten Kontakten im Ökosystem nutzen wir die Vorteile der aktuellen Remote-Phase und versuchen, noch mehr Investoren für unsere digitalen Pitch-Formate zu gewinnen.
Die Community nutzen
Gründer sind nie allein. Mehr denn je ermutigen wir Startups, sich mit Gleichgesinnten auszutauschen und gegenseitig zu unterstützen. Unser Portfolio umfasst bspw. mehr als 50 Unternehmen, und weil wir mit allen so eng zusammenarbeiten (wir sitzen normalerweise buchstäblich 100 Tage lang nebeneinander), ist unser Portfolio eine Gemeinschaft und eine Ressource, die wir allen Gründern für Synergien und Ideenaustausch zur Verfügung stellen.
Wie man sieht, befinden wir uns aktuell in einer ungewissen, aber auch spannenden Zeit. Egal, an welchem Punkt man als Gründer oder Startup gerade steht, versucht weiterzumachen!
Über die Autorin
Maja Markowitz gehört zum Investment-Team von APX. Sie ist für, Follow-on-Investitionen, das Portfoliomanagement und Investor Relations zuständig. Ihre Hauptaufgabe ist es, Startups bei der Kapitalbeschaffung u<snd beim Wachstum zu unterstützen. APX ist ein Frühphaseninvestor und Accelerator-Programm mit Sitz in Berlin, der branchenübergreifend in Early Stage Startups in ganz Europa investiert – oft als erster Investor. APX ist ein Joint Venture von Axel Springer und Porsche und hat seit 2018 in über 50 Unternehmen mit Gründern aus über 20 Ländern investiert. APX ist der Nachfolger des Axel Springer Plug and Play Accelerator, der von 2013 bis 2017 erster Investor in mehr als 100 Startups wie bspw. das Fintech-Unicorn N26 war.
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