Von Bazookas und Bankraub – zur Diskussion um Corona-Hilfen für Startups
Deutschland, Ende April 2020: Johns Hopkins meldet den sechstausendsten Covid-19-Toten. Christian Drosten berichtet dem Guardian von seinen Todesdrohungen. Armin Laschet redet sich bei Anne Will um die Kanzlerschaft. Ein guter Freund von Peter Thiel rät zur intravenösen Einnahme von Reinigungsmittel.
In diesen verrückten Zeiten bemüht sich die deutsche Startup-Szene, nicht nur in vielen Einzelstimmen, sondern auch gebündelt in ihren Verbänden um ein gemeinsames Vorgehen, um dem Ökosystem möglichst zeitnah und effektiv auch einen (kleinen) Teil der Scholz‘schen Bazooka zukommen zu lassen, hatten doch beide relevanten Ministerien Anfang April in harmonischer Einigkeit verkündet, nach den wohl weit über 500 Milliarden Euro sonstigen Staatshilfen und Garantien auch ein vergleichsbar angemessenes 2-Milliarden-Paket für die bisher nicht bedachte Startup-Szene zu schnüren.
Zur Erinnerung: Diese gesonderte Behandlung war notwendig geworden, nachdem sich leider wie befürchtet die Mitte März angekündigten allgemeinen Liquiditätshilfen als für Startups praktisch nicht nutzbar herausgestellt hatten.
Hauptpunkt dieses Webfehlers in der Vergabestruktur der ja eigentlich explizit für alle Arten und Größen von Unternehmen – vom Großkonzern bis zur Solo-Selbständigen – vorgesehenen Mitteln war primär das Festhalten am tradierten Tandem “KfW & Hausbank”, welches eben letztgenannter privatwirtschaftlichen Bank eine Kreditwürdigkeitsprüfung vorschreibt, die vereinfacht gesagt ein Startup, welches nicht vor Corona bereits mindestens ein bis zwei Jahre profitabel war, nicht erfolgreich bestehen kann. Sicherlich gut 90% aller innovationsorientierten Startups sind hier also außen vor, denn naturgemäß liegt der Fokus bei diesen Unternehmen über viele Jahre erstmal auf stetigem Investment in Technologie, Organisation und Kundenstamm und nicht auf kurzfristiger Profitabilität.
Auch die “Juchee-Meldung” vom 25. März, dass Startups nun auch unter den Schutzschirm des „Wirtschaftsstabilisierungsfonds“ schlüpfen könnten, entpuppt sich beim zweiten Blick als Lösung für sicher nur weit unter 1% aller Startups, denn neben der zumindest einfach aus vorhergehenden Finanzierungsrunden ermittelbaren Barriere eines Firmenwertes von >50 Millionen Euro (oder zwei ähnlichen Größenkriterien) ist zusätzlich im Gesetzestext verankert, dass der WSF sich grundsätzlich nur an systemkritische Unternehmen richtet, also Unternehmen, „deren Bestandsgefährdung erhebliche Auswirkungen auf die Wirtschaft, die technologische Souveränität, Versorgungssicherheit, kritische Infrastrukturen oder den Arbeitsmarkt“ hätten. Eine Hürde, die nur die allerwenigsten Startups/Grownups erreichen dürften.
Auch die am 6. April kurz aufkeimende Hoffnung, dass die neue Vergabe-Erleichterung (nun 100% Haftungsfreistellung der Hausbanken durch die KfW) im zusätzlichen, als „KfW-Schnellkredit“ firmierenden Programm nun endlich auch Startups den Zugang verschafft, hielt nur bis zu einer zügigen Klarstellung aus dem Bundesfinanzministerium, dass auch für diese Säule die Bedingung bestehen bleibt, dass mindestens im Jahr 2019 beim Antragsteller ein Gewinn angefallen sein müsste.
Neben den – ebenfalls für Startups faktisch nicht nutzbaren Soforthilfen der meisten Länderbanken (wie der IBB) – waren also bis auf das Kurzarbeitergeld alle bis Anfang April aktivierten Werkzeuge auf weit mehr als 90% aller Startups nicht anwendbar und auch die steuerlichen Hilfsmaßnahmen bringen nicht viel, wenn es keinen Gewinn zum versteuern gibt.
Zurück zur aktuellen Situation und den eingangs angesprochenen Aktivitäten der Verbände: Sowohl der erst kürzlich grundsanierte Bundesverband Deutsche Startups mit neuem, breiten Personaltableau, welches erstmals explizit sowohl Gründer, Angels als auch VCs umfasst, als auch beispielsweise das strukturell deutlich ältere Business Angels Netzwerk Deutschland, aber auch der eher konzernlastige Bitkom sind seit Mitte/Ende März unter Strom, um für ihre Mitglieder, und damit eben das gesamte Startup-Ökosystem in allen Facetten, zu kämpfen, konkret, die Politik also beim Wort zu nehmen und entsprechend die zügige und praxisnahe Ausgestaltung des 2-Milliarden-Programmes einzufordern – sowohl teils forsch in der Presse, als auch kaum hörbar auf Arbeitsebenen hinter den Kulissen – und jeweils diverse Strukturierungsideen aufzubringen.
Soweit, so wenig überraschend. Nun muss jedoch mitten im Covid-News-Overload, wer noch medial Gehör erhalten will, ganz schön dick auftragen. So melden sich mehr oder weniger anerkannte Experten aufgeregt, ja mit dem Furor des rechtschaffenden Whistleblowers, gleich an mehreren Stellen – auch hier auf deutsche-startups.de – zu Wort und verwenden dabei Begrifflichkeiten, die mit dem Holzhammer auf maximale Empörung programmiert sind.
Praktisch wörtlich will hiernach ein Kartell porschefahrender, altdeutscher Industriefamilien der armen Kassiererin das bisschen Billig-Margarine mit vorgehaltener Pistole vom Discount-Brot nehmen. Ein „legaler Bankraub“ würde knallhart exekutiert. Moralisch höchst verwerflich.
Ein auf billige Klicks ausgelegter Sturm im Wasserglas oder berechtigte Kritik an den bisherigen Strukturierungsüberlegungen? Dazu lohnt ein genauerer Blick in die Details:
Das typische Corona-Förderungsszenario für ein handelsübliches Startup ist, dass ein solches Unternehmen exemplarisch 1 Million Euro (oder ein Vielfaches davon) benötigt, um über die nächsten 12 bis 18 Monate „über den Berg“ zu kommen und die eigenen Entwicklungstätigkeit fortzuführen, aber derzeit im Gesellschafterkreis nur 500.000 Euro zusammenbekommt und externe Investoren Corona-bedingt abspringen oder nicht zu finden sind.
In so einer Situation sollte das Startup (nicht ein Investor) eben zum Beispiel die zweiten 500.000 Euro auf anderen Wegen erhalten können, damit die Runde durchgezogen werden kann, statt ansonsten per Insolvenz abgewickelt zu werden, womit uns am Standort Deutschland zukunftsgerichtete Arbeitsplätze und weitere Innovationskraft verloren gingen. Ferner wäre Eigenkapital natürlich konzeptionell für innovative Unternehmen auch deutlich sinnvoller als Fremdkapital und der Staat würde so auch die Gewinne und nicht nur die Verluste sozialisieren.
Die genaue Umsetzung der passenden Lösung wird nun seit Wochen diskutiert. Nach Dafürhalten nicht nur dieses Gastautors hätte man dazu zum Beispiel auch den bestehenden, (halb-)staatlichen Eigenkapital-Investment-Vehikeln wie Coparion, dem HTGF, der IBB Beteiligungsgesellschaft sowie dem sehr gut funktionierenden BAFA-INVEST-Programm weitere Mittel geben können, die diese nach eigenen Prüfkriterien (mit eingebautem Pari-passu-Missbrauchsschutz, also wie auch bisher „Skin in the Game“ der anderen Investoren) ausgeben. Aber es gibt mehr als eine Lösungsvariante.
Erste Informationen aus den aktuell hoch responsiven Ministerien gehen in die Richtung, dass im ersten Schritt ähnlich der Fremdkapital-Programme, bei dem die Hausbank quasi den First Level Support übernimmt, einzelne VCs, die schon eine Beziehung mit KfW Capital oder dem EIF haben, und später weitere akkreditierte Investoren analog den Erstkontakt übernehmen und die staatlichen Mittel für das entsprechende Startup in einer Finanzierungsrunde durchleiten nehmen können – wohlgemerkt jedoch nur, wenn sie selbst 50% investieren.
Und hier beginnt also die Legende, die von einigen fälschlicherweise gestrickt wird, sich zunehmend aufzulösen: 1. Es geht explizit kein Geld an Investoren, sondern immer nur an Startups. 2. Ebenfalls erhalten die durchleitenden Investoren keinerlei Vergütung, also weder eine sogenannte Management Fee noch eine Gewinnbeteiligung, den sogenannten Carried Interest oder kurz Carry. 3. Zusätzlich wird als weitere Absicherung noch diskutiert, dass nicht nur einzelne Investments eines Investors, sondern zur zusätzlichen Vermeidung eines Cherry Pickings alle Investments über eine gewisse zeitliche Strecke gedoppelt werden sollen, was konzeptionell sogar über den Mißbrauchsschutz der bisher bestehenden, via Coparion/HTGF/BAFA und Co. verfügbaren Deal-by-Deal-Lösungen hinaus gehen würde und last but not least; 4. wurde diese Strukturierungsvariante via akkreditierter VCs nicht von den Verbänden aus „bösem“ Lobbyinteresse, sondern von den Ministerien aus Gründen der Vergabeeffizienz gewählt.
Allen Modellen und Strukturierungsideen ist dabei gemein, dass sie sich grauenhaft unoriginell an bestehenden Programmen orientieren, z.B. beim vorgenannten BMF/BMWI-Konzept, dem European Angels Fund, der seit einigen Jahren diverse akkreditierte Business Angel durchaus wirtschaftlich erfolgreich mit zusätzlichen Mitteln ausstattet. Diese Anlehnung an bestehende Blaupausen ist sowohl verständlich als auch sinnvoll, denn für den Aufbau komplett neuer Vergabewege fehlen Zeit und (Human-)Ressourcen.
Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen. Ebenfalls keimt erneut Hoffnung auf, dass auch noch im Fremdkapitalbereich (Stichwort: 800k Euro Rahmen wie beim Schnellkredit) eine Nachbesserung und / oder dezentrale Lösung über die Länder-Förderbanken möglich sein könnte.
Im Fazit: Ob Staatshilfen generell Sinn machen, mag gerne an anderer Stelle kontrovers diskutiert werden. Und dass ein Verband für die Interessen seiner Mitglieder arbeitet, taugt generell nicht zum Aufreger. Wenn also Startups, also innovative Firmen, die auch Technologien und Arbeitsplätze der Zukunft stellen, nicht aus dem allumfassenden “Bazooka”-Versprechen rausgekürzt werden sollen, muss es eben einfach auch zumindest eine handwerklich passende Vergabestruktur für möglichst viele Startup-Ausprägungen geben und nicht nur für 1% dieser Unternehmen. Nicht mehr, nicht weniger.
Die im Laufe des März und April vorgestellten Corona-Programme sind, strukturell wie hinlänglich erläutert, (bis auf Kurzarbeitergeld) praktisch vollständig nicht für Startups zugänglich. Diverse Optionen für das letzte Panzerbüchsen-Derivat liegen nun auf dem Tisch. Allen ist gemein, dass nicht „Startup-Investoren sich vom Staat retten lassen“, wie in einem anderen Medium fälschlich getitelt, sondern einzelne Startups-Liquiditätshilfen für halbvolle Runden erhalten.
Ein solches Konstruktionsziel kann maximal so empörend sein, wie die jahrzehntelangen Tiefschläfer der Automobilindustrie oder die gute alte Lufthansa (mal wieder) aus dem Dreck zu ziehen – im Übrigen oft ohne eine Gewinnbeteiligung des Staats im Erfolgsfall und ohne Pari-passu-Co-Investoren aus der Privatwirtschaft, wie bei Startups in praktischen allen Gestaltungsvarianten vorgesehen.
Wie auch immer: Hauptsache, es passiert jetzt schnell etwas in der Sache. Sicherlich selten, wenn historisch noch nie, hatte die Politik so ein offenes Ohr für Hinweise aus der gesamten Startup-Praxis. Das macht Mut und darf gerne auch nach Corona so bleiben.
Über den Autor
Nikolas Samios ist Gründer, Angel, Venture Capitalist und Autor von diversen Fachartikeln und -Büchern (z.B. DEALTERMS.VC) rund um die Startup-Finanzierung, Exits und Good Governance. Durch den Aufbau des auf Super Business Angel spezialisierten Multi Family Offices Cooperativa und VC-Fonds (z.B. PropTech1 Ventures) verfügt er über Erste-Hand-Erfahrung aus weit über 100 Transaktionen von Friends-and-Family-Runden bis zum IPO auf beiden Seiten des Verhandlungstisches und propagiert entsprechend die Philosophie eines „Level Playing Field“ zwischen Gründer*innen und Investor*innen jeder Couleur.
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