Von Alexander
Montag, 20. April 2020

“Wir profitieren – so traurig das ist – von der aktuellen Entwicklung”

mojoreads vereint einen Buchshop mit einem sozialen Netzwerk. "Wir wachsen derzeit so stark, dass wir nun die nächste Finanzierungsrunde vorbereiten – denn gerade Wachstum muss ja in erster Linie gefüttert werden", sagt Gründer Volker Oppmann.

Das junge Berliner Unternehmen mojoreads kann man als Kombination aus einen Online-Buchshop und einem sozialen Netzwerk beschreiben. “Auf mojoreads treffen sich Leute, die sich gerne mit anderen über Bücher austauschen – und wenn jemand auf die Empfehlung einer anderen Person hin ein Buch kauft, bekommt diese Person eine Provision in Höhe von 10 % vom Kaufpreis”, sagt Gründer Volker Oppmann zum Konzept der Jungfirma, die 2018 an den Start ging.

Seitdem wächst mojoreads – allerdings “sehr langsam” wie Oppmann betont. “Durch unsere besondere Ausrichtung als ‘mission driven business’ – hier bevorzuge ich den englischen Ausdruck gegenüber dem deutschen “Sozialunternehmen” – war es gerade zu Beginn alles andere als leicht, das erforderliche Kapital einzuwerben, weshalb wir nur Schritt für Schritt vorangekommen sind. Je weiter wir aber gekommen sind und je mehr man von der Plattform sehen und damit auch erleben und verstehen konnte, desto leichter wurde es”, führt der mojoreads-Macher aus.

Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Oppmann außerdem über Kapital als Mittel zum Zweck, Waschmaschinen und Rezensionen.

Wie würdest Du Deiner Großmutter mojoreads erklären?
Auf mojoreads treffen sich Leute, die sich gerne mit anderen über Bücher austauschen – und wenn jemand auf die Empfehlung einer anderen Person hin ein Buch kauft, bekommt diese Person eine Provision in Höhe von 10 % vom Kaufpreis.

Hat sich das Konzept seit dem Start irgendwie verändert?
Was sich neben dem Funktionsumfang verändert hat, sind Ausrichtung und Kommunikation. Unsere erste Version war im Grunde eine reine B2B-Variante, die dazu gedacht war, den Verlagen die Funktion unserer Plattform zu demonstrieren, damit sie verstehen, was wir da machen und wie alles funktioniert – vor allem unser Reader und unsere Content Streaming Technologie (CST), da wir Bücher online genauso leicht zugänglich machen sollten wie im »echten« Buchladen. Denn um unsere eigentliche Zielgruppe, die Leser*innen, zu erreichen, mussten wir zunächst die Verlage erreichen, um die nötigen Inhalte auf die Plattform zu bekommen. Eine Lehre, die ich in über 12 Jahren digitaler Startup-Erfahrung in der Buchbranche verinnerlicht habe, lautet: Kund*innen haben online kein Verständnis für ein eingeschränktes Sortiment, sondern erwarten, dass das, wonach sie suchen, auch tatsächlich verfügbar ist. Die meisten Projekte, die ich habe scheitern sehen, sind an diesem Punkt gescheitert: Sie haben mit einer technischen Lösung angefangen, in der Hoffnung, dass dann mit der Zeit auch die Inhalte kommen. Das ist ein Teufels- Henne-und-Ei-Kreislauf: denn ohne Inhalte keine Kunden, aber ohne Kunden auch keine Inhalte. Das braucht viel Zeit und Vertrauen, bis dann alle Verträge stehen und man auch tatsächlich mit den Inhalten arbeiten kann – in Summe haben wir knapp drei Jahre gebraucht, bis wir wirklich ein Vollsortiment hatten. Und wir hatten natürlich auch das Glück, Gesellschafter zu haben, die das verstanden und uns die nötige Zeit gegeben haben, was bei klassischen Startupa sonst ja nicht gegeben ist. Da heißt es ganz lean mit einem MVP – am besten mit einem »killer feature« – anfangen und dann iterativ weiterentwickeln. Genau das geht bei Büchern mit über 70.000 Neuerscheinungen im Jahr nicht – entweder man hat die Inhalte oder man hat sie eben nicht.

Die Corona-Krise trifft die Startup-Szene derzeit hart. Wie und in welcher Form spürt ihr die Auswirkungen?
Im Gegensatz zu vielen anderen Unternehmen gehören wir zum so genannten “stay at home stock”, also Unternehmen mit Angeboten, die vor allem von zuhause aus genutzt werden. Das heißt, dass wir – so traurig das ist – von der aktuellen Entwicklung sogar profitieren, in unserem Fall gleich dreifach: Erstens natürlich durch die massive Zunahme von Bestellungen über den Online- Versand. Zweitens durch die aktuelle Geschäftspolitik von Amazon, die gerade keine Bücher mehr bei den Verlagen einkaufen, um stattdessen Kapazitäten für Haushaltsartikel zu schaffen, sodass immer mehr Titel bei Amazon fehlen, die über uns aber natürlich nach wie vor lieferbar sind. Und Drittens durch unsere Content Streaming Technologie (CST), die Bücher in digitaler Form genauso einfach im Netz – sowie über unsere Apps – verfügbar macht wie Filme auf Netflix – einziger Unterschied: Bücher gibt es bei uns nicht im Abo, sondern »à la carte« – also im Einzelverkauf.

Welche langfristigen Auswirkungen erwartest du für mojoreads?
In unserem Fall tatsächlich eher positive Auswirkungen, da die Vorteile unseres Systems durch die aktuelle Situation ja evident sind und nun quasi »von allein« entdeckt werden.

Wie genau bereitet ihr euch auf die Zeit nach der Corona-Pandemie vor?
Wir wachsen derzeit so stark, dass wir nun die nächste Finanzierungsrunde vorbereiten – denn gerade Wachstum muss ja in erster Linie gefüttert werden. Hier liegt tatsächlich die größte Herausforderung, da wir uns als ein so genanntes »mission driven business« ein Stück weit der gängigen Marktlogik – im Bereich Venture Capital – entziehen, da unser Ziel eben kein klassisches Exit-Szenario ist, sondern langfristige Unabhängigkeit im Dienste einer Sache. Unser Ziel: mit unserer Plattform einen Beitrag zu einer freiheitlich-demokratischen Wissens- und Informationsgesellschaft zu leisten. Kapital ist dabei stets Mittel zum Zweck, aber kein Selbstzweck. Nichtsdestotrotz kann und wird unsere Plattform im Erfolgsfall ironischerweise natürlich allein schon durch die Skalen- und Netzwerkeffekte hochprofitabel sein.

Anderes Thema: Wie ist überhaupt die Idee zu mojoreads entstanden?
Dass sich alles immer stärker in Richtung online verlagert, liegt ja auf der Hand. Interessant war aber die Beobachtung, dass sich online-affine Büchermenschen im Netz permanent zwischen drei verschiedenen Arten von Plattformen hin-und her bewegen. Das Entdecken frischer Literatur und der Austausch darüber findet in erster Linie in sozialen Netzwerken statt – seien dies allgemeine Netzwerke wie Facebook, Instagram oder Twitter oder in auf Büchern spezialisierten Netzwerken wie Lovelybooks oder Goodreads. Doch selbst in den Buch-Netzwerken wird lediglich über Bücher gesprochen, die Bücher selbst sind dort nicht zugänglich – noch nicht einmal als Leseprobe. In der Regel wird man deshalb von dort per Affiliate-Link – an dem wiederum die Plattformen verdienen, nicht aber die einzelnen Nutzer*innen – hinüber zu einem Shop geschickt, in dem man dann sowohl die Leseprobe als auch das Buch selbst bekommt. Und der Teil von uns, der tatsächlich digital liest, wird anschließend selbst bei den Brancheriesen hinüber auf eine dritte Art von Plattform geschickt, auf der man seine Inhalte dann auch tatsächlich lesen und mit ihnen »arbeiten« kann – sei es in Form von Lesezeichen, Markierungen, Kommentaren oder Listen / Tools zur Bibliotheksverwaltung. Der einzige Anbieter, der derzeit alle drei Bereiche abdeckt, ist Amazon, der nicht nur im E-Commerce Marktführer ist, sondern sich 2013 mit Goodreads auch das weltgrößte Buch-Netzwerk einverleibt hat sowie mit seiner Kindle-Plattform natürlich auch den digitalen Lesemarkt dominiert.Diese Größe ist zugleich aber auch Amazons Schwäche, da sie verhindert, dass Amazon diese drei Bereiche – Community, Reader und Shop – tiefer integriert, da Amazon eben nicht nur für Bücher funktionieren muss, sondern auch für Waschmaschinen, Autoreifen oder eben wie aktuell Hygiene- und Haushaltsartikel. Daher unsere Idee: Ein Ort im Netz, der sich durch die Kombination aus sozialem Netzwerk, Reader und Shop mit einer seamless user experience ausschließlich um die Bedürfnisse von Leser*innen kümmert, die über ihre Aktivitäten und Empfehlungen nicht nur ideell, sondern auch wirtschaftlich von der Plattform profitieren.

Wie genau funktioniert eigentlich euer Geschäftsmodell?
Unser Geschäftsmodell basiert auf Services rund um das Erstellen, Kommunizieren, Vermarkten und Konsumieren von Inhalten – kurz: wir stellen Öffentlichkeit her. Und unser Erlösmodell basiert auf der wirtschaftlichen Auswertung dieser Inhalte wie insbesondere durch den Verkauf von Büchern – oder platt gesagt: auch wenn wir nach außen anders aussehen mögen, sind wir letztlich auch Buchhändler*innen.

Wie hat sich mojoreads seit der Gründung entwickelt?
Sehr langsam. Durch unsere besondere Ausrichtung als “mission driven business” – hier bevorzuge ich den englischen Ausdruck gegenüber dem deutschen “Sozialunternehmen” – war es gerade zu Beginn alles andere als leicht, das erforderliche Kapital einzuwerben, weshalb wir nur Schritt für Schritt vorangekommen sind. Je weiter wir aber gekommen sind und je mehr man von der Plattform sehen und damit auch erleben und verstehen konnte, desto leichter wurde es.

Nun aber einmal Butter bei die Fische: Wie groß ist mojoreads inzwischen?
Wir haben mittlerweile knapp 20 Mitarbeiter*innen an zwei Standorten. Unser Katalog ist mit über 18 Millionen Titeln gut gefüllt und allein im Februar wurden über 42.000 Rezensionen auf der Plattform veröffentlicht. Die Umsätze steigen momentan zwar auch sprunghaft an, sind aber noch keine relevante Kennzahl, da wir uns momentan noch voll und ganz auf den Aufbau der Community konzentrieren. Denn auch hier gilt: Erst die interessanten Inhalte, dann der Rest!

Blicke bitte einmal zurück: Was ist in den vergangenen Jahren so richtig schief gegangen?
Wir haben die letzten Jahre neben der Content-Akquise ja vor allem damit verbracht, alle möglichen user cases zu testen – unter anderem verschiedene Startseiten- Konzepte, wobei wir mitunter schon mal richtig tief ins Klo gegriffen haben. Aber zumindest waren wir im Nachhinein wieder ein Stückchen schlauer.

Und wo hat Ihr bisher alles richtig gemacht?
Beim grundlegenden Konzept sowie der Analyse, wie sich der Markt entwickeln wird. Hier hilft tatsächlich eine grundsätzliche Frage, die Jeff Bezos immer stellt, nämlich: Was wird sich in zehn Jahren gerade nicht ändern? Kurz gesagt: Es wird auch in zehn Jahren noch Menschen geben, die gerne lesen und auf der Suche nach für sie relevanten Inhalten sind. Und es wird auch in zehn Jahren noch Menschen geben, die gerne schreiben und auf der Suche nach Abnehmer*innen für ihre Geschichten sind. Und es wird zentrale Plattformen geben, die zwischen Angebot und Nachfrage vermitteln. Nur werden diese aller Voraussicht nach nicht so aussehen, wie wir das von Online-Shops heute – noch – gewohnt sind, denn das ist ein Konzept aus den 90-er Jahren des letzten Jahrtausends. Interaktion und Kommunikation der Nutzer*innen untereinander sind die entscheidenden Schlüssel für die Zukunft – idealerweise auf einer multisided platform, welche die unterschiedlichen Interessengruppen rund um das Buch zusammenbringt und damit einen Mehrwert für alle Beteiligten schafft.

Wo steht mojoreads in einem Jahr?
Wieder ein Stückchen weiter als in diesem Jahr.

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Foto (oben): mojoreads