#Gastbeitrag
Chancen und Herausforderungen für Startups in Zeiten von New Work
Die richtigen Mitarbeiter finden und entwickeln – Chancen und Herausforderungen für Start-ups in Zeiten von New Work. Warum das richtige Skalieren eine der größten personellen Herausforderungen darstellt?
Agentur? Lieber Startup!
Was die Werbeagenturen in den 80ern und 90ern für junge Menschen waren, sind heute die Startups. Sie stehen für individuellen Freiraum, Flexibilität, Agilität, Kreativität, flache Hierarchien und für die Möglichkeit, nicht nur ein kleines unbedeutendes Rad zu sein, sondern in modernen und offenen Strukturen wirklich etwas gestalten und bewegen zu können. Flexible Arbeitszeiten, Home-Office, die neuesten IT-Gadgets, Freigetränke und kostenloses Obst sowie gemütliche Sitzecken und der obligatorische Tischkicker sind weitere Bestandteile der sogenannten New Work-Bewegung, die insbesondere in Startups gelebt wird. Einige Unternehmer offerieren ihrem Team als besonderen Anreiz sogar (virtuelle) Firmenanteile. All dies führt zu einer starken Identifikation, einem „Wir-Gefühl“ und übt gerade auf Talente eine hohe Anziehungskraft aus – auch wenn Überstunden und eine eher durchschnittliche Bezahlung häufig mit dazu gehören. Schließlich arbeitet man mit lauter Freunden zusammen an einer großen Vision und sitzt mit den Gründern gemeinsam im schicken Loftbüro. Work und Life werden als ein Ganzes wahrgenommen. Auch wenn etablierte Großunternehmen eine quasi lebenslange Jobgarantie, überdurchschnittliche Sozialleistungen und höhere Gehälter bieten, lockt das viele Talente weniger als das große Abenteuer Startup.
Startups können den „War-for-Talents“ für sich entscheiden – machen sich aber das Leben gegenseitig schwer
Vermeintlich haben Startups also weniger Probleme im „War-for-Talents“ motivierte Mitarbeiter zu finden, als etablierte Unternehmen. Dennoch halten es, laut dem Berlin Startup Monitor 2018, mehr als 60 Prozent der Startups für schwierig, geeignete Mitarbeiter/innen aus Deutschland zu gewinnen, egal ob sie in Berlin oder in anderen Regionen ansässig sind. Das mag auch daran liegen, dass sich Startups immer mehr untereinander in Konkurrenz stehen. Allein in Berlin, der unangefochtenen Gründer-Hauptstadt, gab es laut dem Institut für Innovation und Technik und der Plattform Startupdetector 443 Neugründungen im letzten Jahr. Bundesweit kommen monatlich rund 130 weitere neue Firmen dazu. Zudem greifen nun auch immer mehr etablierte Unternehmen auf junge kreative Mitarbeiter zurück. So wird es zum Beispiel immer schwieriger Entwickler zu finden, weil auch die Großen wie Google oder Microsoft sowie Hubs und Ventures von deutschen Konzernen wie Moia von VW, Deutsche Bahn Ventures oder der Lufthansa Innovation Hub diese umwerben. Deshalb bedarf es immer individuellerer Ansätze, um sich von der ebenfalls hippen Konkurrenz abzuheben und für neue Mitarbeiter noch attraktiver zu sein.
Mitarbeiter entwickeln statt von außen neu besetzen
Statt ständig neue Talente zu suchen, kann es auch sinnvoll sein, sich im eigenen Unternehmen umzuschauen. Welcher Mitarbeiter würde vielleicht gerne seinen Horizont erweitern und in einen anderen Bereich wechseln? Zum Beispiel vom Marketing in die Personalentwicklung oder von Finance in Sales. Sind die grundsätzlichen Voraussetzungen beim Mitarbeiter gegeben, ist das eine tolle Möglichkeit für beide Seiten. Mitarbeiter lernen so das Unternehmen noch einmal von einer ganz anderen Seite kennen und können mit den Erfahrungen Optimierungspotenziale eher erkennen und so Verbesserungen anstoßen oder später einmal eine Führungsposition einnehmen.
Skalieren – gilt nicht nur für das Geschäftsmodell
Eine weitere große Personalherausforderung liegt für Startups in der ungewissen, schwankenden oder rasanten Geschäftsentwicklung ihrer Neugründungen. Laufend muss das Geschäftsmodell den Entwicklungen angepasst werden, entstehen neue Projekte, die wieder neu bewertet und priorisiert werden. Entsprechend benötigen Startups unterschiedliche personelle Qualitäten und Kapazitäten in ihren Entwicklungsphasen. Jederzeit die richtigen Mitarbeiter in optimaler Zahl bereit zu halten, zu skalieren, ist dabei selbst für ein erfahrenes Führungsteam nahezu unmöglich. Schließlich dauert laut einer Studie von Indeed aus April 2019 das Einstellen eines neuen Mitarbeiters vom Beginn der Suche bis zum ersten Arbeitstag durchschnittlich sechs Wochen in Deutschland – für Spezialisten ungleich länger. Dafür müssen Startups – oftmals noch ohne echte HR-Abteilung – teure Anzeigen schalten und im Idealfall viele Bewerbungsgespräche führen. Das ist extrem zeitraubend. Entsprechend nehmen 45 Prozent der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Suche nach Mitarbeitern als die größte Herausforderung wahr. Eine Lösung könnte Active Sourcing sein, die aktive Ansprache von potenziellen Mitarbeitern. Sei es über die Suche und eigene Direktansprache durch das Führungsteam über Xing und LinkedIn oder das Motivieren des Teams mittels Finding-Fee mit dem Ziel, dass Freunde Freunde werben. Zudem sollte auch das Bewerbungsmanagement höchste Priorität erfahren und auf eingehende Bewerbungen sehr schnell reagiert werden, um nicht das Nachsehen zu haben. Gerade bei den stark umworbenen IT-Fachkräften kann es sinnvoll sein, sich innerhalb einer Stunde nach Eingang der Unterlagen zurückzumelden und bereits für den nächsten Tag einen Gesprächstermin zu vereinbaren. Bei der Kandidatenauswahl zählt nicht der beste Hochschulabschluss und das vorhandene Fachwissen – das kann der Arbeitgeber vermitteln – sondern der Charakter, die Arbeitseinstellung und die Teamkultur.
Besser organisch wachsen, als Hire & Fire
Um einem unheilvollen Kreislauf von Personalmangel und Personalflut zu entgehen, sollten Startups auf ein organisches und gesundes Wachstum und eine vorausschauende und verantwortungsvolle Personalplanung setzen. Sonst kann es passieren, dass man Mitarbeiter/Innen, die man noch vor kurzem händeringend benötigte, plötzlich wieder kostspielig vor die Tür setzen muss, nur weil sich die Aufgaben kurzerhand verschoben haben. Wenn hierdurch der gute und mühsam erworbene Teamgeist Schaden nimmt, kann das nicht nur die Stimmung, sondern auch nachhaltig den Geschäftserfolg gefährden. Zudem ist es viel aufwändiger und teurer, neue Leute einzustellen, als die bestehenden guten zu behalten. Daher sollte die Personalhaltung auch stets vor der Personalneueinstellung stehen.
Bin ich eher Startup- oder Konzern-Typ?
Die aufgezählten und fast schon obligatorischen „Goodies“ der Startups sollten bei der Entscheidung zwischen Konzern oder Neugründung als solche erkannt und nicht überbewertet werden. Viel wichtiger ist eine ehrliche Antwort auf die zentrale Frage was für ein Typ man ist: „Benötige ich gefestigte Strukturen und geordnete Prozesse, die ich eher in etablierten Unternehmen finde, oder komme ich mit flachen Hierarchien zurecht, möchte ich mich entwickeln, selbstverwirklichen und mit entsprechendem Einsatz und Ehrgeiz schnell Verantwortung übernehmen und Projekte sowie ganze Abteilungen leiten?“
Nicht der CEO hat recht, sondern die beste Idee
Natürlich muss es in jedem Unternehmen Personen geben, die die grundsätzliche Richtung vorgeben. Sonst würden alle in unterschiedliche Häfen segeln wollen. Gleichzeitig sollte aber immer die beste Idee gewinnen – nicht die des höchsten Titels. Im Idealfall wird das umgesetzt, was das Unternehmen weiterbringt, egal wer das Thema angestoßen hat. Das bedeutet, das eigene Ego muss zum Wohl der Firma hintenanstehen. Auch als CEO muss ich in der Lage sein zu sagen: „Der Praktikant hatte recht. Seine Idee ist besser als meine.“ Ob Mitarbeiter dauerhaft im Unternehmen bleiben ist ganz stark davon beeinflusst, ob es diese Kultur gibt oder nicht gibt.
Zum Autor
Henning Frank ist CEO von Civum, dem Betreiber der digitalen Immobilienfinanzierungsplattform Zinsland.