#Interview

“Hier kann vieles auf dem kurzen Dienstweg geschehen”

Bochum hat in den vergangenen Jahren wirtschaftlich arg gelitten! "Ich glaube, dass mit Bochum keine Stadt im Ruhrgebiet besser verstanden hat mit der Vergangenheit abzuschließen", findet Christian Großmann, Mitgründer des Bochumer IndustrialTech-Startups Ingpuls.
“Hier kann vieles auf dem kurzen Dienstweg geschehen”
Freitag, 24. Mai 2019VonAlexander Hüsing

Der Zufall führte Christian Großmann, André Kortmann und Burkhard Maaß, die Gründer von Ingpuls, zusammen. Das Ruhrpott-Trio traf sich erstmals im Oktober 2002 an der Ruhr-Uni Bochum, bei einem Mathevorkurs kurz vor dem Start ihres Maschinenbaustudiums. Nach dem Studium blieben die angehenden Gründer an der Ruhr-Uni und stemmten gemeinsam ihre Promotionen. Bereits zuvor entdeckten die Materialwissenschaftler ihr Herz für so genannte Formgedächtnislegierungen, kurz FGL. Genau um solche Mechanismen geht es auch heute noch bei Ingpuls, dem Unternehmen, dass die Wissenschaftler im Jahre 2009 gegründet haben. Die Bochumer entwickelten diese Technologie aber umfangreich weiter, machten sie fit für neue Anwendungsfälle. Im Interview mit deutsche-startups.de spricht Mitgründer Großmann über Institutionen, die Vergangenheit und Kalifornien.

Reden wir über das Ruhrgebiet. Wenn es um Startups in Deutschland geht, richtet sich der Blick sofort nach Berlin. Was spricht für das Ruhrgebiet als Startup-Standort?
Wir wollen und können und kein Urteil bilden, ob hier im Ruhrgebiet irgendetwas besser oder schlechter ist als in Berlin. Dazu kennen wir Berlin nicht gut genug. Was uns hier aber gefällt ist der unkomplizierte Umgang miteinander. Die Menschen hier im Ruhrgebiet sind sehr bodenständig, offen und hilfsbereit. Hier kann vieles auf dem kurzen Dienstweg geschehen. In der Startup-Szene sowieso, aber zunehmend auch in öffentlichen Institutionen. Die Wege sind kurz wir sind zwar noch in Städte aufgeteilt, aber für uns ist der der Pott eins uns unsere Heimat.

Was genau macht den Reiz der Startup-Szene in Bochum aus?
Unsere Szene hier in Bochum ist nach einiger Anlaufzeit inzwischen extrem dynamisch geworden. Ob IT-Security, Data Science, oder diverse Themen aus dem Bereich IndustrialTech. Wir sind gefühlt sehr eng vernetzt. Zwar entstehen derzeit im Ruhrgebiet an mehreren isolierten HotSpots – unter anderem Duisburg, Essen, Bochum, Dortmund – Keimzellen. Mit fortschreitendem Wachstum dieser Spots kommt es dann aber schnell zur Begegnung die letztlich in einem Miteinander resultiert. Es gibt hier in Bochum auch schon viele spannende Beispiele. Exits – Employour -, langfristige Player wie 9elements oder schnell wachsende Tech-Startups wie Voltavision finden nebeneinander statt und arbeiten teilweise Hand in Hand. Das macht Spaß und erhöht die Erfahrungswerte für alle im ganzen System.

Was ist in Bochum einfacher als im Rest der Republik?
Ich glaube, dass mit Bochum keine Stadt im Ruhrgebiet besser verstanden hat mit der Vergangenheit abzuschließen und sich Neuem zuzuwenden. Die ernüchternden Erlebnisse der vergangenen Dekade mit Nokia, Opel, Johnson Controls, der Insolvenz von Wollschläger oder starken Einschnitten bei ThyssenKrupp haben sicher dazu beigetragen. So langsam wurde begriffen, dass man loslassen muss und sein Schicksal selbst in die Hand nehmen muss. Man setzt auf Newcomer, unterstützt diese und hat auch verstanden, dass Dienstleistung alleine oder den eigentlichen Kern, um den sich diese Services drehen einfach nicht funktioniert. Stadt, Wirtschaftsentwicklung, IHK, Unis und Hochschulen, teilweise auch die regionalen Banken für die ersten Finanzschritte funktionieren inzwischen deutlich besser im Team, was allen Gründern zu Gute kommt.

Was fehlt in Bochum bzw. im Ruhrgebiet noch?
Sicherlich gilt das nicht nur für Bochum, sondern auch den Großteil unserer Republik. Einerseits fehlen uns hier noch mehr erfahrene Gründer, Vorbilder oder Leitfiguren, die Junggründer auf Ihrem Weg unterstützen. Außerdem natürlich wesentlich mehr Finanzierungsoptionen durch qualifizierte Investoren. Man muss leider festhalten, dass Banken in der Regel mit Fremdkapital keine geeigneten Partner für Startups im Aufbau sind. Verluste durch Wachstum und Investitionen passen mit Ihrer Welt und ihren strengen Regularien einfach nicht zusammen. Das ist schade, wird sich aber wahrscheinlich nicht ändern können. Von daher brauchen wir hier Investoren, die an die Technologien glauben, die Geschäftsmodelle verstehen und bereit sind die Transformation zu begleiten. Wir sehen hier ein wirklich unfassbares Potenzial, dass in der Dichte nur ganz selten in der Welt zu finden ist. Gäbe es hier einen vergleichbaren Venture-Background wie in Kalifornien, dann könnten sich die anderen warm anziehen. Haben wir aber – noch – nicht.

Zum Schluss hast Du hast drei Wünsche frei: Was wünscht Du Dir für den Startup-Standort Ruhrgebiet?
Erstens: Eine bessere Berichterstattung durch die regionalen Medien. Zweitens: Eine zentrale Plattform und ordnende Hand zur Bündelung der vielen Startup-Initiativen in den einzelnen Hotspots. Drittens: Mehr Investoren.

Der digitale Pott kocht – #Ruhrgebiet


Mit hunderten Startups, zahlreichen Gründerzentren und -initativen, diversen Investoren sowie dutzenden Startup-Events bietet das Ruhrgebiet ein spannendes Ökosystem für Gründer. ds, die Gründerallianz Ruhr und der ruhr:HUB berichten gemeinsam über die Digitalaktivitäten im Revier.

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Foto (oben): Ingpuls

Alexander Hüsing

Alexander Hüsing, Chefredakteur von deutsche-startups.de, arbeitet seit 1996 als Journalist. Während des New Economy-Booms volontierte er beim Branchendienst kressreport. Schon in dieser Zeit beschäftigte er sich mit jungen, aufstrebenden Internet-Start-ups. 2007 startete er deutsche-startups.de.